Re: Kuba 2012 - Erste Auslandsreise mit dem Rad

von: bikekiller39

Re: Kuba 2012 - Erste Auslandsreise mit dem Rad - 26.03.16 09:58

Tag 5, 20.02.2012, Soroa – San Diego de los Banos

Fahrzeit gesamt: 2 Stunden, 28 Minuten
Distanz: 61 Kilometer
Stundenschnitt: 17 Kilometer
Höhenmeter: 280

In der Nacht hatte es geregnet. Ich hatte trotzdem gut geschlafen und wachte auf, als der erste Lichtschein durch die Fenster fiel. Ich ging auf den Balkon, die Luft war frisch und klar, der Himmel wolkenverhangen.

Kurz vor 7 Uhr startete ich ohne Frühstück in Richtung San Diego de los Banos, zu Anfang des letzten Jahrhunderts einmal ein beliebter Kur- und Badeort. Hier wollte ich in den von einem Forumsmitglied im Rahmen meiner Reiseplanungen wärmstens empfohlenen Schwefelquellen baden.
Soroa schlief fast noch, als ich losfuhr. Die Attraktion von Soroa, ein herrlicher Orchideengarten mit seinen über 700 Arten, war so früh noch nicht geöffnet, so blieb nur der kurze Blick durch das Eingangstor. Den Sonnenaufgang in der Ferne, zwischen Palmen, erlebte ich mit Blick auf ein Tal, in dem der kleine Ort Candelaria liegt.

[img][/img]

Hier oben blieb ich für eine ganze Zeit stehen, genoss die Ruhe, von Vogelgezwitscher untermalt, und die Weite Sicht auf das Tal. Unbeschreiblich schön!

Bei der Abfahrt überholte ich zwei Jungen in Schuluniform, die zu Fuß unterwegs waren. Die Menschen in Candelaria schienen bereits seit Stunden wach zu sein, an der Hauptstraße herrschte munteres Treiben. Ich konnte hier nicht einfach durchfahren, zu spannend war, was und wer hier alles auf den Beinen war.
Man konnte hier nahezu die gesamte Palette von Fortbewegungsmitteln der auf dem Lande wohnenden Kubaner bestaunen. Zahlreiche Menschen trafen sich an einem Platz, um kurze Zeit später die Ladefläche eines LKW zu besteigen, der in Richtung Carretera Central davonfuhr. In einem Anhänger, der von einem Traktor gezogen wurde, standen Männer auf dem Weg zur Arbeit nach Soroa. Auf der Straße waren Männer in Arbeitskleidung und ihrem Handwerkszeug auf Fahrrädern unterwegs, andere saßen auf den Böcken eines Wagens, der von einem Pferd oder Esel gezogen wurde. Ein voll beladener Bus, überwiegend Schüler saßen darin, fuhr in Richtung Soroa.







Die Menschen strahlten eine Zufriedenheit aus, wie ich sie in meinem Heimatland bislang nur selten beobachtet hatte. Kein Streß, kein Schreien, kein wildes Gestikulieren; Freundlichkeit im Umgang miteinander herrschten vor. Die Menschen lachten und scherzten miteinander und winkten sich teilweise von ihren fahrbaren Untersätzen her gegenseitig zu. Es machte einfach nur Spaß, die Menschen zu beobachten.

Nach einer guten halben Stunde fuhr ich weiter in Richtung Carretera Central (CC), wo ich kurz vor Erreichen derselben zwei Kubaner auf einem weiteren Fortbewegungsmittel, einem Ochsenkarren, überholte.

[img][/img]


Ich bog auf die CC in Richtung meines heutigen Etappenzieles ab. Auf gut asphaltierter Straße kam ich zügig voran und erreichte San Cristobal, eine typische, kubanische Kleinstadt. Hier pulsierte das Leben. Im Zentrum findet man einen kleinen Park mit schattenspendendem Baumbestand und reichlich Sitzgelegenheiten. Diverse Straßenhändler und Imbisse sowie Shops mit Außenverkauf bieten leckere Speisen und Getränke an. An einem dieser Stände holte ich mir etwas zu essen und setzte mich auf eine Bank im Park. Wie ich dort saß, aß und mir das Treiben in der näheren Umgebung ansah, kam ein europäisch aussehendes Paar auf mich zu und sprach mich an. Ich erzählte von mir und erfuhr, dass das Paar aus Dänemark stammte und auf Besuch bei ihrer Tochter in Pinar del Rio war. Heute hatte man eine Tour nach San Cristobal gemacht.
Ich sah mich im Anschluss noch in den Straßen um das Zentrum herum um. Auffällig waren in vielen Ecken Mengen unterschiedlicher Arten an Müll, die einfach neben Straße, Bürgersteig oder auf unbebauten Grundstücken abgelagert waren. Auch das ist Kuba.
Hier erhielt ich auch wieder einen Eindruck von den Wohnverhältnissen vieler Kubaner, die in Städten leben und die sich hier ein eigenes, kleines Häuschen nicht leisten können. In vielen Städten sieht man mehrstöckige Häuser, die zumindest äußerlich einen heruntergekommenen und sanierungsbedürftigen Eindruck machen. Das saftige Grün der Gartenanlagen und die kräftigen Blüten von Sträuchern und Bäumen bilden einen starken, farblichen Kontrast zu dem vielfachen Grau der Gebäude.




Kirche von San Cristobal

War die Strecke von Candelaria nach San Cristobal doch recht einsam und verkehrsarm, durchfährt man im weiteren Verlauf zahlreiche Ortschaften und taucht so in das kubanische Landleben ein. In Erinnerung blieben mir, neben unzähligen anderen Eindrücken, die vielen Schülerinnen und Schüler in ihren Schuluniformen, die in Bussen oder mit Pferdewagen transportiert oder mir am Straßenrand zu Fuß entgegenkamen, teils freundlich winkten und miteinander spielten.



Bevor ich in der Mittagshitze in Richtung des in Sichtweite gekommenen Gebirges nach rechts abbog, machte ich unter einem großen, schattenspendendem Baum ausgiebig Rast.
Nachdem ich einige Zeit später die ersten Häuser von San Diego de los Banos erreicht hatte, fuhr ich auch an einer Gruppe junger Männer vorbei, die im Schatten standen und sich unterhielten. Kurze Zeit später bemerkte ich, dass mich einer aus dieser Gruppe auf einem Fahrrad verfolgte. „Aha“, dachte ich, „ein Jinetero, von dem du im Reiseführer gelesen hast“.

Jinetera heißt im spanischen eigentlich „Prostituierte“ und bezeichnet diejenigen Personen, die auf der Straße ihre Dienste anbieten. Meist sind es junge Männer und Frauen, die sich etwas dazu verdienen wollen. Das normale Arbeitsentgelt eines Kubaners von durchschnittlich 15 Dollar monatlich reicht vielen nicht aus, weil die meisten „Luxusartikel“ nur in Devisengeschäften zu kaufen und unverhältnismäßig teuer sind.
Jineteros spechen meistens ein bisschen schlechtes Englisch. „My friend, where are you come from?“ ist ein typischer Sprachgebrauch eines Jinetero. Manchmal fragen sie auch einfach nur nach Feuer oder um die Uhrzeit, um mit dir ins Gespräch zu kommen. Sie sind in der Regel sehr freundlich, fragen, seit wann man schon hier ist, ob einem Kuba gefällt oder ob man gerade eine Unterkunft oder andere Dinge oder Örtlichkeiten sucht und bieten ihre Hilfe an.
Ein Jinetero hat selbst meistens gar nichts zu verkaufen oder zu vermieten, kennt sich aber in seiner Stadt gut aus und kennt jede Menge andere Leute. So weiß er u. a. auch, wo im Ort eine Casa Particular zu finden ist und führt einen dort hin. Diese Dienstleistung lässt er sich dann vom Betreiber der Casa bezahlen, der die Kosten wiederum auf die Vermietungskosten aufschlägt.

Ich suchte Blickkontakt, woraufhin er zu mir aufschloss. Auf englisch kamen wir ins Gespräch. Es war tatsächlich einer dieser Spezies, allerdings gab er vor, nicht aus finanziellen sondern vielmehr aus familiären Gründen zu handeln.
Er führte mich zur einzigen, von ursprünglich drei, im Ort verbliebenen Casa Particulares. Betreiber seien seine Tante und der Onkel. Okay, ob es tatsächlich so war, war für mich nicht zu überprüfen, glaubhaft klang es jedoch. Ich war jedenfalls froh, schnell eine wirklich tolle Unterkunft bekommen zu haben.





Nachdem ich mein Gepäck im Zimmer abgestellt, Badezeug herausgeholt und noch das Abendbrot bestellt hatte, saß ich wieder auf dem Fahrrad. Ich wollte in der Schwefelquelle baden. Das Balneario San Diego war nicht weit entfernt von der Unterkunft. Zu meiner Enttäuschung war das Kurhaus jedoch wegen umfangreicher Sanierungsarbeiten geschlossen. Ob es zwischenzeitlich wieder geöffnet hat, vermag ich nicht zu sagen.

Kurzentschlossen nahm ich ein super erfrischendes Bad im Rio San Diego und sah mich anschließend noch im Ort um. Auch hier, wie auch schon in San Cristobal, fielen mir wieder die wirklich zahlreichen, zumindest äußerlich so wirkenden, sanierungsbedürftigen Häuser und Gebäudekomplexe auf. Interessant war der „Supermarkt“ des Ortes, im Zentrum gelegen. Hinter einem mehrere Meter langen Tresen ein Verkaufsraum mit mehrere Meter hohen Regalen an den Wänden, vor und in denen Dinge des täglichen Bedarfs eingeräumt waren. Auffällig ein Bild mit dem Portrait des Revolutionärs Che Guevara und eine Tafel, auf der Waren und Preise mit Kreide aufgeschrieben waren.



Vor einem langgezogenen Gebäude, mit einem unbefestigten Platz angrenzend, kam ich mit einem Kubaner mittleren Alters ins Gespräch, der mir durch sein orangefarbenes Radtrikot auffiel. Als er mich sah, kam er auf mich zu und es entwickelte sich in der Folge ein interessantes Gespräch. Ich erfuhr, dass Pilo, so der Name des Mannes, Englischlehrer in der örtlichen Schule mit 20 € Monatslohn ist, in Pinar del Rio wohnt und täglich über die Carretera Central mit dem Fahrrad zu seiner Arbeitsstelle anreist. Er wollte gerade sein Fahrrad holen, welches er tagsüber in der Schulbibliothek parkte. Diese Bibliothek war hinter einer der Türen dieses Gebäudes untergebracht. Hier hatte Pilo auch sein „Büro“, bestehend aus einem in einer Ecke stehenden Schreibtisch. Ich bekam eine interessante „Führung“ durch die Einraum- Bibliothek. Auf mehreren freistehenden Regalen sind Bücher in den unterschiedlichsten Sprachen sortiert. Zur Orientierung für die Schüler dienen mit den unterschiedlichen Sprachen, (hand)-beschriftete Pappschilder. In einer Ecke, vor den Regalen, stehen zwei Schulbänke nebeneinander, darüber eine Pinnwand, an denen die Schüler arbeiten können.

[img][/img]

Schulbibliothek
[img][/img]

Pilo hält stolz das älteste Buch der Bibliothek in die Kamera

[img][/img]

Pilo liebt sein Fahrrad

Das gegenseitige Interesse an der Geschichte des Anderen führte uns schließlich noch auf die Terrasse der Bar des Hotels Mirador, wo wir bei mehreren Cuba Libre noch gut zwei Stunden gemeinsam verbrachten, das Beobachten eines Kolibri inclusive.

Den Tagesabschluss genoss ich schließlich auf der Terrasse der Casa Particular, wo ich ein reichhaltiges und sehr geschmackvolles Abendessen mit Suppe, Hühnchen, frischem Salat und großem Obstteller zu mir nahm.



Sehr zufrieden mit dem Verlauf des Tages sank ich nach einer Dusche ins Bett.


Schönes Osterwochenende wünscht Theo