Re: Die kleine Maus und die große Null

von: Mütze

Re: Die kleine Maus und die große Null - 05.12.18 09:27

Mi, 15. Aug:
Hochstetten - Breisach - Rheinradweg - Burkheim - Rust - WoMo-Park Ortenau: 78 km

„Das würde ich auch gerne mal machen, so ganz alleine reisen, ohne meinen Mann ...“

Das war die Verabschiedung am nächsten Morgen von der Senior-Chefin. Und dabei lachte sie so spitzbübisch und frech …

Ich hatte mir auf der Karte eine Strecke rausgesucht, auf der ich ohne Schotter von Dorf zu Dorf fahren würde. Dabei hangelte ich mich an den örtlichen Radwegen entlang und immer - aber auch IMMER - wurde Rust und der Vergnügungspark angezeigt. Ich durchquerte langsam Breisach (das Städtchen mag ich irgendwie), legte eine Vesperpause ein und wurde prompt erneut auf den Radweg am Rhein geleitet. Puuh. Dabei ist es wie gesagt landschaftlich toll ! Auf der einen Seite der langsam fließende Vater Rhein mit Lastkähnen und Sportbooten, auf der anderen Seite der Altrhein oder ein kleiner Kanal, dazu gar kein Verkehr sondern nur Radfahrer. Wenn nur dieser zensiert nicht wäre !


Okay, dann halt langsam. Und bei der nächsten Möglichkeit würde ich wieder auf Straßen zurückkehren. Später gab ich einem anderen Radwanderer noch die Adresse des Erbauers der Maus, war betrübt über einen lang angekündigten, dann aber doch geschlossenen Kiosk,da ich als Seelentrost ein Eis wollte, und dann kam doch endlich eine Möglichkeit, die Schotterpiste zu verlassen.
Und schon wieder wies der Radweg auf Rust hin. Das lag nicht so ganz auf meiner Strecke. Ich durchquerte Burkheim, kam zwar nicht zu einem Eis, aber immerhin zu einem Apfelschorle, und dann leitete mich der örtliche Radweg nochmal auf die Rüttelpiste. Allmählich bekam ich Übung.

Bei der nächsten Abfahrt wollte ich dem Schotter endgültig entfliehen - aber denkste ! Der Radweg führte mich beharrlich weiter über Schotter, und als ich endlich Asphalt erblickte und erleichtert Tempo zulegte, landete ich in … Rust !

Das hatte ich doch die ganze Zeit umfahren wollen !
Ich verdächtigte einen gewissen vergnügungssüchtigen Schutzengel, und knipste dann wenigstens diese höllische Achterbahn für ihn, auf der die Menschen lauthals kreischend in unendliche Tiefen stürzten. Und dafür auch noch zahlen. Also sowas Verrücktes !


Ab jetzt sah ich an jeder Straßenkreuzung auf die Karte und gelangte auf netten kleinen Straßen über Kappel, Wittenweier und Schwanau nach Meißenheim. Dort gab es zwar keinen Campingplatz, aber einen Wohnmobilpark. Da würde ich übernachten. In Meißenheim scheute ein Pferd, als er meine orangene Riesenmaus erblickte, und die Reiterin schimpfte deswegen mit ihrem Reitlehrer, anstatt ihr Tier zu beruhigen. Nee also echt - Leute gibt’s …

Am WoMoPark Ortenau war die Anmeldung nicht besetzt, dafür gab es einen Aushang mit Preisliste und der Bitte, man möge doch einfach das Formular ausfüllen und zusammen mit dem Geld in den Briefkasten stecken. Sowas gefällt mir. Während ich nach meine Brille kramte, kam der Besitzer dann doch. Netter Typ übrigens, der mir erzählte, wie er seinen Platz auch noch für Radwanderer gestalten und so erweitern wollte. Ich kaufte ihm zwei alkoholfreie Biere ab und bekam die Wegbeschreibung zum nächsten Baggersee.

Phantastisch. Kurz auf der Picknickdecke ausruhen und dann zum Baggersee radeln. Danach kochen (Kartoffeln mit Zucchini) und gemütlich den Abend bei einem kühlen Bier kommen lassen.
Oberfein.



Do, 16. Aug:
Meißenheim - unzählige kleine Dörfchen - Hügelsheim - Rastatt - Durlach: 114 km

„Mönsch ! Da paßt ja die Nationalelf rein !“
„Transportieren Sie 'ne Orgel ?“



Die Welt durch den Blick meines Kochers: der WoMoPark Ortenau.

Ich hatte meinem Vater versprochen, ihn am Freitag zu besuchen, heute wollte ich also bis nach Durlach auf den Campingplatz kommen. Ich fuhr zeitig los - nach Karte auf Radwegen von einem Dorf zum nächsten. In einer Tankstelle kaufte ich Plundergebäck für's Frühstück (ich trinke morgens nur Kaffee und frühstücke erst, wenn ich schon ein bißchen gefahren bin), das ich dann auf der Terrasse eines Cafés bei einer Apfelschorle verzehrte. Das Café hatte noch garnicht auf, die Chefin war am putzen, setzte mir das Getränk einfach so vor die Nase und verschwand mit ihrer Freundin zum Tratschen. Ich mußte ewig nach ihr suchen, um überhaupt bezahlen zu können !
Später besorgte ich mir noch Gemüse und Obst in einem Tante Emma Laden und fuhr und fuhr und fuhr.

In Hügelsheim machte ich eine Pause und bestieg andächtig das Keltengrab, das da leider so verlassen inmitten von Straßengewirr liegt. Und weiter ging's. Die Durchquerung von Rastatt war nicht so ganz leicht, meistens war der Radweg für meine Stretchlimousine zu eng, und ich fuhr auf der Straße. Malsch, Ettlingen, Wolfartsweier, ich legte mich richtig ins Zeug, um nicht zu spät in Durlach anzukommen. Auf den Campingplatz freute ich mich schon. Ich kenne ihn, seit ein paar Monaten gab es da neue Pächter, die waren richtig nett und hatten gute Ideen gehabt, um den Campingplatz wieder auf Trab zu bringen.

Als ich endlich in Durlach war, wunderte ich mich schon, warum auf einem Parkplatz in Nähe des Campingplatzes so viele Wohnwägen rumstanden. Und dann der Schreck: Der Campingplatz war geschlossen. So eine Enttäuschung ! Ich brauchte etwas Zeit, um mich von dem Schock zu erholen, dann fuhr ich zur Obermühle, wo ich eh hatte essen wollen.

Da herrschte Hochbetrieb. Ich wollte in der Wirtschaft nach einem anderen Campingplatz fragen, aber dafür hatte niemand Zeit, der Kellner verwies mich hastig an einen gewissen Martin, den Leiter des in dem gleichen Gebäude angesiedelten Vereins der Naturfreunde, der gerade hier zu Abend aß, ich ergatterte mühselig einen Tisch, und erzählte dann diesem Martin mein Problem. So richtig hatte der aber auch keine Idee.

Oh weia.

Ich probierte noch erfolglos, eine vegetarische Mahlzeit zu bestellen, aber der Kellner war am Rotieren - so wurde es halt nur ein griechischer Salat, der allerdings sehr
lecker war. Vorher ein Apéritif, dazu ein alkoholfreies Bier, allmählich stieg meine Zuversicht wieder. Zur Not würde ich mich einfach mit meiner Stretchlimousine auf einen Parkplatz stellen.

Als ich gerade etwas Neues probierte, nämlich Weinschorle als Nachtisch, kam Martin auf mich zu und meinte, von mir aus könne ich gerne meine Maus im Hof der Naturfreunde abstellen und da übernachten.
Dann marschierte er noch rüstig zu den Besitzern der Obermühle und organisierte alles für mich. Super. Echt nett von ihm.
Jetzt würde mir der Kellner aber nicht mehr entkommen. Ich legte mir einen kurzen knappen Satz zurecht und stellte mich ihm extra in den Weg. Wir waren ungefähr gleich groß, diesmal mußte er mich einfach wahrnehmen. Bevor er auch nur den Mund aufbekam bedankte ich mich bei ihm, daß er mich mit diesem Martin in Verbindung gesetzt hatte. Und aus seiner Antwort entnahm ich, daß er gar nicht so unfreundlich war, wie er wirkte, sondern daß er mein Gespräch mit Martin und unser beider Reaktion danach aus der Ferne genau beobachtet und sich seine Gedanken gemacht hatte, daß seine scheinbare Hast und Verschlossenheit eigentlich nur höfliche Zurückhaltung waren. Feiner Kerl, eigentlich.


Fr, 17. Aug:
Durlach - Karlsruhe - Bruchsal: 33 km

„Schön, Dich zu sehen !“


Die Welt durch den Blick meines Kochers: Der Biergarten der Obermühle.

Wie immer trank ich am nächsten Vormittag meinen Kaffee, dann radelte ich nach Karlsruhe rein. Eigentlich hätte ich der Maus ja einen Ruhetag gönnen wollen und sie auf dem Campingplatz gelassen.


Aber das ging ja jetzt nicht, die Maus mußte mit, sich ein bißchen Stadtluft um die Schnurrbarthaare wehen lassen. Ja, bei meinem Papa war es so richtig nett. Ich nutzte den Tag zum Wäschewaschen während wir Kreuzworträtsel lösten, Glencinchies Kette wurde im nahen Radladen geölt, zum Mittagessen gab es Pizza,
das ist so schön einfach. Dabei versuchte ich auch, mein Handy zu laden und mich nach anderen Campingplätzen zu erkundigen.

Der nächste schien bei dem Naturfreundehaus in Bruchsal zu sein - auch gut. Mein Handy wollte sich übrigens gar nicht laden lassen, ich hatte unterwegs immer mal verschiedene Stromquellen genutzt, Steckdosen in Waschräumen z.B., aber jetzt wollte es absolut nicht klappen. Naja, auf dem Campingplatz würde ich es nochmal probieren. Ich packte meine frisch gewaschene Wäsche in den Mausbauch, und radelte dann am Abend über Stutensee nach Bruchsal.

Ich habe Vorurteile. Und zwar massive.
Sehe ich einen älteren Mann mit einer jüngeren asiatischen Frau, denke ich sofort, daß Liebe hier keine Rolle spielt.
Sehe ich einen Mann mit Tätowierung und Pferdezopf, denke ich sofort, daß er ein Faulpelz ist.
Sehe ich einen Mann mit Bart, der Moslem sein könnte, denke ich sofort an die Attentate von Paris und in mir flammt blutroter Hass auf.
In diesem Fall waren es die Zeltnachbarn, die ich sofort für unangenehme Zeitgenossen hielt, und von denen gegenüber dachte ich, daß sie einem gehörigen Tropfen Alkohol abends keineswegs abgeneigt wären.
Ich zog also mit meiner Maus von dem auf den ersten Blick gewählten Stellplatz auf die höhere Etage des stufenweise gebauten Campingplatzes um (mit der Maus geht das ja so schön einfach) und hängte meine Wäsche auf. Dann ließ ich den Abend bei einem Salat und alkoholfreiem Bier auf der Terrasse der Gasthausschenke ausklingen.

Fortsetzung folgt