Re: Marokko - Berber, Berge, Wüste, Werte

von: joeyyy

Re: Marokko - Berber, Berge, Wüste, Werte - 06.02.12 14:25

Danke an alle für die Lektüre der Texte und die Kommentare. Ich bin überwältigt von der Vielfalt und der Intensität, mit der Ihr Euch mit den Gedanken auseinandersetzt. Und will angemessen darauf eingehen.

Ich möchte konkret anfangen, dann abstrakt werden und (hoffentlich - jedenfalls absichtlich) versöhnlich schließen:

Ich habe alle Flüge CO2-kompensiert. Marokko kostete 40 Euro, Kuba 150. Könnte ich PDF hier hochladen, würde ich es mit den Zertifikaten tun. Werde ich vielleicht noch in meinem Blog einbauen.

Ich bin autofrei, fernsehfrei, Bahncardbesitzer, Carsharer, heize meine Wohnung im Winter auf maximal 17 Grad, ziehe dann warme Socken und einen Pullover an. Ich kaufe lokal wo es geht und Bio. Ich versuche, das Transitiontown-Konzept zu leben, soweit es zu mir passt.

Bin eigentlich ein idealer Hartz-4-ler, so wie Herr Sarrazin das von mir gefordert hat.

Dennoch kann ich meinen CO2-Fußabdruck selbst wenn ich einfach nur hier rumsitzen würde, nicht unter sechs Tonnen drücken. Allein dadurch, dass ich in Deutschland lebe und die Daseinsvorsorge-Infrastruktur anteilig auf mich umgelegt wird. Nun könnte ich die sechs Tonnen über den Ablasshandel wie beim Fliegen auf die zwei Tonnen drücken, die mir als Mensch dieser Erde zustehen, wenn ich das Zwei-Grad-Ziel bis 2050 erreichen wollte. Ich könnte auch die wilde Sau spielen und - wie die meisten meiner Zeitgenossen - sagen: Nach mir die Sintflut, lass doch erstmal die anderen anfangen. Und wenn die das dann tun, suche ich die Nadel im Heuhaufen und wenn ich sie gefunden habe, sage ich zufrieden: Siehste! Warum soll ich denn dann, wenn nicht mal der Öko-Weltverbesserer das macht?

Aber mir persönlich würde das keinen Spaß machen, würde ich mich doch des Aussinnens von Alternativen entledigen. Denn dabei, beim Denken und Überlegen empfinde ich häufig eine tiefe Befriedigung - vielleicht manchmal auch so etwas wie Glückseligkeit.

Ich war beim Lesen echt hin und hergerissen: Soll ich mich rechtfertigen im Sinne von "Habe ich das nötig"? Soll ich das was ich schon geschrieben habe, nochmal in andere Worte fassen? Soll ich mich ganz zurückziehen? Gibt es überhaupt ein echtes Interesse mit einer eher fragenden Grundhaltung und der Bereitschaft des Akzeptierens von Dualitäten? Werden die überhaupt gesehen?

Wie vermittel ich jetzt meinen Eindruck über geschriebene Worte, ohne den "Eingeschnappten" zu riskieren?

Ja, ich hatte manchmal das Gefühl, missverstanden werden zu wollen. (Geht das überhaupt?)

Beispiel: Ich war genauso verärgert über diese permanente Anbaggerei, fühlte mich richtig verarscht von den Menschen (auch, aber nicht nur: Berber) in Marokko, die mich in ihre Teppichläden lockten. Habe ich doch so oder ähnlich auch geschrieben. Dennoch darf ich doch traditionelle Haltungen gut finden und sie soweit übernehmen, wie sie zu mir passen. Was muss ich jetzt rechtfertigen?

Und "Nein": Ich will nicht, dass morgen früh um sieben Uhr fünfhundertachtunddreißig Afrikaner, Inder, Südamerikaner und andere Zeitgenossen vor meiner Tür in Hannover stehen, klingeln und von mir Frühstücksbrötchen wollen, weil ich auch gerade welche esse und es diese in ihrer Heimat nicht gibt.

Aber ich kann meine Beobachtungen und Erlebnisse mit meiner mathematischen Fähigkeit zur Induktion und Extrapolation nutzen und eine Entwicklung prognostizieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eintrifft wenn alles so weiterläuft wie bisher. Und diese Entwicklung und Prognose am Ende beschreiben. Und daraus Erkenntnisse nutzen, um eine Entwicklung zu fördern, die die negativen Konsequenzen mildern mag.

Genau das tue ich. Und schreibe ich. Und riskiere, dass einzelne Aussagen außerhalb des Zusammenhangs meines Gesamtkonzepts missverstanden werden. Was ich manchmal glaube.

Aber das ist auch wieder wunderbar für mich, um entweder am Konzept zu feilen oder an der Art der Beschreibung meines Konzepts. Und es zeigt mir, dass ich nicht der Einzige mit einem Konzept bin. Und es schön ist, Konzepte zu vergleichen.

Das soll's dann auch mit dem Abstrakten gewesen sein.

Ehrlich gesagt: Ich weiß gar nicht, ob mein Konzept das Richtige ist. Und ich weiß auch nicht, ob es sinnvoll ist, sich auf Massenwanderungen mit einer positiven Grundhaltung den wandernden Menschen gegenüber einzustellen. Wir sind vorgeprägt in unserer Einstellung Veränderungen gegenüber: Bitte nicht! Und schon gar nicht, wenn wir dabei auch noch abgeben müssen. Das liegt in unseren Trieben, Genen, Überlebensstrategien, die wir ja seit tausenden von Jahren mit uns rumtragen. Insofern ist ein "freiwilliges Abgeben" wider die menschliche Natur. Und damit mein Konzept vom Teilen, Entschleunigen und Schrumpfen in großen Teilen widersinnig und absurd. Und das wird mir durch die hiesigen und anderen Kommentare deutlich.

Nun gibt es da aber so ein kybernetisches Prinzip, dass Systeme nur eine maximale Größe und/oder sowohl qualitative als auch quantitative Komplexität haben können. Und nehmen wir uns mal das System "Die Natur und das Klima auf der Erde" vor und betrachten es als kybernetisches System. Schwerpunkt "Mensch". Und versetzen uns mal in die Lage eines Außerirdischen in seinem Raumschiff, der dieses System im Zeitraffer seit - sagen wir mal - zehntausend Jahren beobachtet.

Eigentlich müssten wir die letzten zweihundertausend Jahre beobachten, denn solange ist der Mensch als "Homo irgendwas" in Afrika belegt. Aber wir beschränken uns der Dramatik wegen.

Also: Wir schauen eine Doku über die Erde mit zehntausend Jahren in einer Stunde. Die ersten fünfundfünfzig Minuten sind stinklangweilig. Plötzlich eskaliert die Situation - in den letzten fünf Minuten fangen die Menschen an, sich zu Millionen zu kloppen, in der vorletzten Minute überschreitet die Weltbevölkerung die halbe Milliarde, in der allerletzten Minute explodiert die Bevölkerung, haut sich zweimal kurz und klein, macht alles kaputt, was um sie rum ist und ist nicht mehr in der Lage, sich komplett zu ernähren. Wenn die Bevölkerung ein einziger Organismus wäre, würde die Diagnose lauten: Krank. Ziemlich krank. Kurz vor dem Kollaps.

Nochmal zur Erinnerung: Wir sind Außerirdische und beobachten. Nicht Deutsche, die - sagen wir mal - Teil der gesunden Lunge sind, während Leber, Magen und Darm von Metastasen zerlegt werden.

Die Doku endet mit dem heutigen Tage. Fortsetzung folgt.

Als Außerirdische sind wir neugierig: Wie würde bei der Dynamik der Ausblick für die erste halbe Minute der Fortsetzung dieser Doku aussehen? Nur die ersten dreißig Sekunden?

Das wären rund 85 Jahre - also bis zum Jahr 2100 und in etwa der Zeitraum, den unsere Kinder teils aktiv gestalten, teils passiv geschehen lassen müssen.

Na ja, und ich habe mit meinen im Blog beschriebenen Gedanken einfach mal ein einziges Szenario für die nächsten fünfzehn Sekunden zurechtgesponnen. Nenne es mal "Bevölkerungs- und Reichtums-Osmose".

Und halte es für realistisch weil unterschiedliche Konzentrationen immer das Bestreben haben, sich auszugleichen.

Aber wie gesagt: Wissen tu ich's nicht... Wer weiß das schon?

Aber eins bezweifle ich durchaus: Unser Wachstumsmantra mit dem Fokus auf immer mehr für immer weniger ist der falsche Weg. Denn das Osmotische Prinzip der Vielen wird stärker sein als der "Haben-und-behalten-Trieb" der Wenigen.

Und das System ist für uns Menschen irgendwann endlich: Ich glaube, dass bei zehn bis fünfzehn Milliarden Menschen Schluss ist mit dem Perpetuum Mobile "Erde". Die genaue Zahl versuchen Wissenschaftler auf der ganzen Welt herauszufinden. Und den genauen Zeitpunkt auch. Ein guter Anfang, der zeigt, dass zumindest die Denker schon mal auf dem richtigen Weg sind.

Gruß

Jörg.