Re: Ein Lob der Papierkarte

von: irg

Re: Ein Lob der Papierkarte - 28.05.21 06:38

In Antwort auf: iassu
Wenn ich mir das so überlege, muß ich mir eingestehen, daß ich funktioniere, wie ein moderner Einzelhandelsschmarotzer. Beim Klaus um die Ecke beraten lassen und dann bei Amazon bestellen.

Will sagen: ich navigiere inzwischen ausschließlich per Hänndi, meine geografische Allgemeinbildung fußt aber auf dem Großwerden und dem Umgang mit physischen Landkarten.

Ich habe meine starken Zweifel, ob ich sonst eine so umfassende geografische Vorstellung hätte erwerben können. In der Siebten mußten wir auswendig eine Umrißkarte von Deutschland, Europa und der Welt zeichnen können. Das war bildend. Ausschließlich mit einem Streichelfohn und auch mit einem Tablett hätte das ganz sicher nicht so viel bewirkt.

Vielleicht sterben mit uns, die wir ja wohl alle mit Papier gelernt haben und nun vielfach mit Displäi arbeiten, auch diejenigen aus, die überaupt den Wunsch haben, ganz individuell und frei zu planen.


Auch wenn ich spät dran bin: Da ist eine Menge dran! Wer immer nur einem Kastl nachfährt, verliert die Orientierung, in welchem Raum er sich bewegt. Ich habe selbst Fähigkeiten abgebaut, als wir zwei Jahre hindurch mit funktionierendem Navi über den Balkan gefahren sind. Solche Selbstverständlichkeiten, wie ein Gefühl für die Himmelsrichtungen und eine ungefähre Vorstellung, wie es dort, wo ich unterwegs sein will, ausschauen sollte, hilft bei Navigationsproblemen ungemein.

Als das Navi dann zu spinnen begonnen hat, musste ich diese Fähigkeiten wieder reaktivieren.

Meine behinderte Tochter hat ihre Raumwahrnehmung dort, wo wir nicht mehr zu Fuß gehen konnten, mit dem Rad entwickelt. Mit dem Auto klappt das nicht.
Es gibt auch Untersuchungen, die belegen, dass Kinder früher ihren Raum über aktive Bewegung integriert haben. In der heutigen Zeit, in der sehr viele Kinder von den Eltern nur mehr von Ort zu Ort chauffiert werden, entwickeln sie diese Fähigkeit, so zu sagen eine Karte im Kopf zu zeichnen, kaum bis nicht mehr. Sie kennen, laut dieser Studie, nur mehr Wahrnehmungsinseln.

Etwas Analogie ist im Leben und Lernen nicht das Um und Auf, aber durchaus sinnvoll. Was wiederum nicht heißt, dass ich die digitalen Helferleins verdamme!

lg!
georg