Re: Haben Pinion-Getriebe auch Kaffeemühlengänge?

von: superbrot

Re: Haben Pinion-Getriebe auch Kaffeemühlengänge? - 11.06.20 23:46

Machen wir ein Gedankenexperiment mit einem Fahrrad. Dazu brauchen wir nur Tretlager, Kettenstreben, ein Hinterrad und eine Kette dazwischen. Alles andere ist zu vernachlässigen, z.B. können wir uns vorstellen, dass jemand Unterrohr, Sitzrohr und Sitzstreben abgesägt hat, und der verbleibende Rest auf einem unsichtbaren Zweibeinmittelständer ruht. Außerdem kann das Fahrrad nicht nach links oder rechts kippen, d.h. es fährt wie auf Schienen.

Nehmen wir weiterhin an, dass das Fahrrad ein Kettenblatt hat, das starr mit der Tretlagerwelle verbunden ist, und dass das Fahrrad einen magischen Antrieb hat, der ein Drehmoment auf die Tretlagerwelle ausübt. Es spielt keine Rolle, ob der Antrieb durch Muskelkraft auf starre Kurbeln erfolgt, durch ein Getriebe über- oder untersetzt wird, ein ein am Tretlagergehäuse angeflanschter Rasenmähermotor ist oder ein außen angebautes Windrad.

Der Einfachheit halber nehmen wir, das Fahrrad fährt gerade los, d.h. das Fahrrad befindet sich erst in Ruhe, dann fängt sprungartig die Kette an, eine Kraft zu übertragen. Jetzt betrachten wir zwei Fälle:

1. Das Fahrrad fährt ganz normal los. Kennen wir alle. Je nach Fantasie des Lesers klappt der unsichtbare Zweibeinmittelständer ein.

2. Das Fahrrad hat keine Kettenstreben (und auch keine Sitzstreben), d.h. das Hinterrad steht frei in der Gegend herum und ist nur durch die Kette mit dem Fahrrad verbunden. Der magische Antrieb wird aktiviert, aber alles was passiert ist, dass das Hinterrad anfängt zu rollen, bis es das Tretlager trifft (oder sich die Kette verheddert).

Was ist daraus zu lernen? Ohne Kettenstreben kein Vortrieb. Weil im ersten Fall sich die Position von Hinterrad zu Tretlager nicht verändert, übertragen die Kettenstreben exakt die gleiche Kraft vom Ausfallende auf das Tretlager, mit dem die Kette über die HR-Nabe an den Ausfallenden zieht.

Allerdings zieht die Kette nicht direkt an den Ausfallenden, sondern am HR-Ritzel, welches ein Drehmoment auf den Freilaufkörper ausübt. Dieser überträgt das Drehmoment über den Freilaufmechanismus (Sperrklinken oder Zahnscheibe) und die Freilauflager auf die HR-Achse, welche in die Ausfallenden eingespannt ist. Falls dabei etwas kaputt geht, ist nur die Frage, was die größte Schwachstelle ist: bekommt das Ritzel Zahnausfall? Machen die Sperrklinken plopp? Purzeln die Kugeln aus dem Freilauflager? Oder verbiegt sich gar die HR-Achse, weil die entgegengesetzte Krafteinwirkung auf die HR-Nabe von Kette und Ausfallende leicht versetzt erfolgt?

Kommen wir zu Teil zwei des Gedankenexperiments und damit zur Frage, wieviel Kraft die Kette überträgt. Dazu brauchen wir weitere Annahmen:

1. Der magische Antrieb erbringt konstante Leistung. Das Fahrrad würde mit konstanter Geschwindigkeit fahren, wenn es denn könnte.

2. Die erste Annahme ist noch nicht gleichwertig zu einem konstanten Drehmoment an der Tretlagerwelle. Dazu brauchen wir noch ein konstantes Übersetzungsverhältnis zwischen Tretlager und Hinterrad, weil die Leistungsverluste größtenteils am Hinterrad entstehen. (Die Reibung im Tretlager vernachlässigen wir.)

Das lässt uns nur noch den Freiheitsgrad der Kettenblattgröße übrig. Die Ritzelgröße am Hinterrad ergibt sich dann durch das konstante Übersetzungsverhältnis. Genauso ist das Drehmoment am Hinterrad durch das Übersetzungsverhältnis festgelegt.

Wenn das Drehmoment am Kettenblatt konstant ist, zieht das Kettenblatt aber mit je weniger Kraft an der Kette, je mehr Ritzel es hat, weil Drehmoment gleich Kraft mal Hebellänge ist.

Deswegen verbiegt ein kleines Kettenblatt (bei gleicher Leistung und Übersetzungsverhältnis) die Hinterradachse mehr als ein großes. Die Sperrklinken oder Zahnscheiben übertragen jedoch die gleiche Kraft bei unterschiedlicher Kettenblattgröße (zumindest in tangentialer Richtung, allerdings könnten unterschiedliche Scherkräfte auftreten), weil das Drehmoment gleich bleibt.

Das macht auch folgendermaßen Sinn: bei gleicher Geschwindigkeit und gleichem Übersetzungsverhältnis bewegt das größere Kettenblatt mehr Kettenglieder pro Sekunde, also muss die Kraft auf der Kette niedriger sein. Sonst wäre die Leistung höher, was ein paar Naturgesetzen widerspricht.