Re: "Wackeliges" Rad

von: irg

Re: "Wackeliges" Rad - 20.05.22 06:14

Auch wenn ich spät dran bin, ein möglicherweise nicht unwichtiger Beitrag:

Das Gefühl von Sicherheit am Rad hängt nicht nur vom Rad und dessen Design ab, sondern auch sehr stark vom Menschen, der es fährt. Und nicht einmal diese Menschen bleiben immer gleich. Manche werden empfindlicher, was das Fahrverhalten eines Rades angeht.

Mein Vater war bezüglich Fahrverhalten immer unempfindlich. Er kam mit so gut wie jedem Rad gut zurecht. Im Alter hat sich das geändert. Mit dem Reiserad auf MTB-Basis, das ich ihm aufgebaut hatte, hatte er Probleme. Es hat ein typisches MTB-Verhalten: Sehr agil, gut, um Schlaglöcher zu umfahren, Spurtreue ist nicht seine Stärke. Wo es rau wird, fahre ich gerne damit.
Meiner Frau geht es ähnlich: Sie radelt ein paar tausend Kilometer pro Jahr, also nicht wenig, und verlangt dabei nicht viel vom Rad. Es soll funktionieren, und das unkompliziert. Das konnte ihr Simplon-Trekkingrad, das sie eine Zeit lang fuhr, aber sie fühlte sich nie sicher darauf. Ich mochte es recht gerne, wenn ich damit fahren musste, es ließ sich im Stadtverkehr präzise lenken, und träge war es auch nicht.

Bei einem anstehenden Neukauf stellte sich heraus: Räder mit Federgabeln passen für sie gar nicht. Bei Starrgabeln braucht sie ein wenig agiles Rad.

Eine mögliche Erklärung wäre die verschieden ausgeprägte Empfindlichkeit gegenüber den Reizen des Geleichgewichtssinnes. Manche sind unterempfindlich, wie z.B. ich, die lieben Sportarten wie Klettern oder Radfahren auf Rädern, die sich eher labil anfühlen, die meisten sind im mittleren Bereich, und manchen werden solche Reize sehr schnell zu hoch.

Wenn dieser Faktor beim Unsicherheitsgefühl auf einem Rad der bestimmende ist, hilft Training nichts oder so gut wie nichts. ("Kluge" Äußerungen wie "Stell dich nicht so zickig an, ich fahre mit dem Rad ganz sicher!" übrigens auch nichts.) Ein eher träge reagierendes, sich selbst stärker steuerndes Rad ist das Fahrzeug, das da angesagt ist. Leider gibt es davon derzeit nicht mehr so viele. Man baut agil und vergisst dabei auf eine ganze KundInnengruppe. Derzeit geht es noch, da es noch genug gebrauchte Räder mit dem nötigen Fahrverhalten gibt, manchmal sogar gute Exemplare für wenig Geld. Aber wer so ein Rad nicht selbst neu aufbauen kann, muss wahrscheinlich tiefer in die Geldtasche greifen.

Manchmal lohnt es sich, bei Schwierigkeiten in diesem Bereich genauer hin zu schauen.

lg!
georg