Re: Probefahren

von: Anonym

Re: Probefahren - 30.11.08 15:55

Ich betrat den Laden wie schon ein Dutzend zuvor und hob an, mein Sprüchlein aufzusagen, Ballon, Nabenschaltung, Kettenschutz, Excenter, Reiserad mit Alltagsqualitäten halt.

Der Händler begann sich suchend umzuschauen, so, als ob er seinen Bestand an Fahrrädern erst geistig vorsortieren müsste und seine Anstrengung, sich über sein eigenes Angebot einen Überblick zu verschaffen, diente natürlich nur dem Zeitgewinn, mich erstens im Laden zu halten, und zweitens, eine Strategie zu überlegen, wie er mich von meinen Kriterien wegbringen könne, denn die Marken, die er vertrat, hatten entweder kein BigApple-Angebot, oder generell keine Excenter-Rahmen.
(Dieser simpel gestrickten österreichischen Firma sei angeraten, sich schleunigst um einen solchen zu bemühen...!)

Er wandte sich nach links, nach rechts, tat zwei Schritte vor, zurück, legte prüfend den Mittelfinger an die Unterlippe und ließ seine Augen ins Leere starren und zeigte alle Anzeichen zunehmender Ratlosigkeit, ähnlich dem Touristen, der sich verlaufen hat.

Gleich würde er mich um Rat fragen; aber er startete einen Gegenangriff und meinte, auch mit Kettenspannern könne man die Kette gut mit einem Schutz versehen und er verstünde auch nicht, wie man einem Vollkettenschutz solch starke Priorität einräumen könne.

Ich merkte trocken an, dass ich mir an einer Kette nicht mehr die Finger schmutzig machen wolle, und da zögerte er und schob mir dann eine Gurke von Fahrrad vor, die spontane Ablehnung in mir hervorrief, ein Stirnrunzeln, ja, einen ästhetischen Grusel.

Ich betrachtete das Ding flüchtig und empfahl mich wieder dem Edelzeug, das sämtliche Wände bedeckte, von der Decke hing und den Boden flächig und ohne Durchkommen in Beschlag nahm, ohne mit irgendwas warm zu werden.

Ich tat einen inwendigen Seufzer und suchte nach einer Floskel, mit der ich mich stilvoll vom Inhaber würde verabschieden können und als ich noch einmal beiläufig die Fahrradgurke betrachtete – so neugierig bin ich dann doch – bat ich um eine kurze Probefahrt.

Er schob mir mit einem angedeuteten Lächeln, das ich nicht einordnen konnte, das Fahrrad vor die Tür und meinte nur, ich könne es übers Wochenende mitnehmen und es genüge, es am Montagabend wieder vorbeizubringen. Einen Ausweis verlangte er nicht.

Ich dankte, schwang mich auf und brauste davon.