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#1535144 - 15.09.23 10:05 Vuelta de Espanya / camino de Santiago
RaDau
Mitglied
Themenersteller
abwesend abwesend
Beiträge: 3
Dauer:22 Tage
Zeitraum:30.5.2019 bis 20.6.2019
Entfernung:1000 Kilometer
Bereiste Länder:esSpanien
Externe URL:http://linktr.ee/Radau1955

Reisebericht Spanien: Vuelta de España 2019 / 30.05.-20.06.
Mit dem Rad auf dem Jakobsweg, von Barcelona nach Santiago de Compostela, durch ein zerrissenes Spanien
Irgendwie muss ich ja anfangen. Erst einmal vielen Dank für die vielen Reaktionen, ich hoffe, ich kann die Vorschusslorbeeren und eure Neugier und Hoffnung nach interessanten Geschichten auch diesmal wieder befriedigen.
Estoy en Camino, sagt man, wenn man auf den Jakobsweg geht. Bin in Barcelona gestartet, mit dem Rad, als Fortsetzung meiner ‚Tour de France‘ 2017 von Düsseldorf nach Barcelona. Das Ziel diesmal ist Santiago de Compostela.
Es folgen die Tagebuch-Eintragungen und eine Zusammenfassung zum Thema ‚Unabhängigkeitsbewegung Katalonien‘
1. Tag: Barcelona – Montserrat – Manresa 80 km ( - Lerida/en tren)
Zwei Sachen sind diesmal anders: ich habe mein Zelt nicht dabei, dafür aber fahre ich nicht allein. Das eine hat mit dem anderen zu tun: ein Freund aus Barcelona, Adria, mit dem ich in meiner Vor-Messezeit zusammen für den französischen Konzern St. Gobain gearbeitet habe, ist seit ein paar Monaten im Ruhestand (jubilacion activa, dh er arbeitet weiter!) und fährt mit. Außerdem ist auch noch mein Schatten Carlos wieder dabei, der mich auf der ganzen Tour von Düsseldorf bis Barcelona treu begleitet hat (in Frankreich als Charles!).
Da ich erst um Mitternacht gelandet bin, haben wir noch einiges vorzubereiten. Nach einem ordentlichen Frühstück baue ich mein Rad zusammen und wir bepacken die Räder. Glücklicherweise hat das Bike den Transport gut überstanden. Im Flugzeug nach Barcelona fiel mir die Geschichte von einem Messekollegen ein, der auf dem Rückflug von Brasilien eine angebrochene mit einem Korken gesicherte Flasche Catchaca mit seinem Koffer eingecheckt hatte, und dann bei der Ankunft am Gepäckband am Geruch feststellen konnte, dass der Zuckerrohrschnaps im Koffer ausgelaufen war, wegen des Druckunterschiedes im Gepäckraum. Ich muss daran denken, dass ich früher bei meinem Rad vor jedem Flug immer die Luft aus den Reifen gelassen habe. Diesmal hatte mich keiner darauf aufmerksam gemacht, und ich hatte auch nicht daran gedacht. Insofern rechne ich nach dem Flug mit dem Schlimmsten, als ich meinen Bike-Sack am Gepäckband in Empfang nehme. Und beruhigt bin, als meine Hand die Reifen abtastet, und alles in Ordnung finde.
Kurz vor Mittag starten wir. Die erste Etappe geht von Barcelona über Martorell (Seat) nach Montserrat, und dann über Manresa Richtung Lerida (Lleida). Allerdings nicht, bevor wir uns nicht in Barcelona in der Kathedrale von Sant Vincenc von Pater Ambrosius den Pilgersegen und den Pilgerstempel in unser Credencial de Peregrinos geben lassen.

Ich war 1975 schon einmal als Reiseleiter mit einem Bus und einer Reisegruppe in Montserrat, hatte aber kaum noch Erinnerungen an dieses katholische Heiligtum der Katalanen. Wenn man sich die Strecke mit dem Rad erarbeitet, und den Berg von ferne sieht (höchster Punkt: 1.200m), wirkt der ‚zersägte Berg‘ schon sehr eindrucksvoll. Das Kloster liegt in 800m Höhe, und beherbergt die Schwarze Madonna (la Moreneta), eine romanische Statue aus dem 12. Jahrhundert. Neben der religiösen Bedeutung gilt das Kloster auch als Hort des katalanischen Nationalismus und der katalanischen Kultur. Da es dank der kirchlichen Sonderrechte auch während der Franco-Diktatur nicht den von Franco ernannten Bischöfen unterstand, wurden im Kloster die Messen weiterhin in der verbotenen katalanischen Sprache gefeiert.
Direkt nach Ende des Bürgerkrieges gab es eine Zusammenarbeit der Spanier mit Nazi-Deutschland in Sachen Ariertum. 1940 reiste Himmler nach Barcelona und besuchte das Kloster Montserrat, wo er den Heiligen Gral vermutete, und auch den Quell aller genetischer Überlegenheit – und des ewigen Lebens. Der SS-Chef soll von der arischen Abstammung von Jesus Christus überzeugt gewesen sein und in dem Kelch Kräfte vermutet haben, die zum Sieg des Weltkrieges führen sollten.
Nach 80km am ersten Tag steigen wir hinter Manresa in den Zug und überbrücken die Strecke nach Lerida. In Lerida läuft die Feria de Caracoles (Schneckenfest), und viele Hotels sind ausgebucht. Wir haben Glück und finden noch zwei Betten für uns.
Nach der ersten Etappe bin ich erstmal platt, aber ich werde die nächsten Tage berichten über die Tour, über Land und Leute, über die Geschichte Spaniens, den Spanischen Bürgerkrieg und die Rolle, die Nazi-Deutschland, Italien und die anderen europäischen Großmächte innehatten. Und vor allem über die aktuelle Situation nach dem Unabhängigkeitsreferendum Kataloniens 2017.
2. Tag Lerida – Monzon –Peralta - Grañen (115km)
Während das Klima in Barcelona am Meer gemäßigt und mit 20-25 Grad sehr angenehm war, ist es hier im Landesinneren wesentlich heißer. Wir haben uns daher vorgenommen, so früh wie möglich loszulegen. Wir starten um 8h, nach einem Kaffee, es ist um diese Zeit an einem Samstag kaum Verkehr auf der Straße. Wir verlassen Lerida in westliche Richtung und erreichen schnell die A22 (Autobahn), die – wie jede Autobahn in Spanien – einen ‚Bypass‘ hat, eine Via de servei (Serviceweg). Es ist kaum Verkehr und wir kommen gut voran. Nach kurzer Zeit überholt uns ein Rennradfahrer, grüßt und kommt mit uns ins Gespräch. Er heißt Rubens (wir denken sofort an seinen Namensvetter Peter Paul Rubens, den berühmten flämischen Maler 1577-1640 und seine phantastischen erotischen Bilder), ist 38 Jahre alt und kommt aus Lerida. Er hat in Pamplona BioChemie studiert und arbeitet für ein kleines Unternehmen mit ca 15 Mitarbeitern im Bereich Gentechnik/DNA-Untersuchungen. Wir fahren nebeneinander, die Straße gehört uns, und tauschen uns aus. Rubens ist eine Art Privatdetektiv in Sachen DNA- Untersuchungen. Er erzählt von den ‚ninos robados‘, den ‚geraubten Kindern‘ in der Franco-Zeit, eine Geschichte, die erst vor einigen Jahren an die Öffentlichkeit kam. Es handelt sich um Geburten von Minderjährigen oder sozial gefährdeten Müttern (oppositionelle Familien), wo den Müttern nach der Geburt gesagt wurde, dass ihre Babys tot geboren und gleich beerdigt worden sind. Die Kinder kamen dann in Familien, die dem Staat dafür Geld zahlten oder andere Verpflichtungen hatten. Erst lange nach der Franco-Zeit trauten sich die Mütter, an die Öffentlichkeit zu gehen und den Tod der Kinder anzuzweifeln. In diesen Fällen wurde Rubens beauftragt, DNA-Proben zu beschaffen und zu untersuchen. Er wurde dabei oft mit zu geöffneten Gräbern genommen – meistens mit Genehmigung der Behörden, meistens aber ohne, bei Kerzenschein - so wie man es von Mark Twain und Tom Sawyer kennt – um eine DNA-Probe mit einem Knochenstück zu nehmen. In vielen Fällen erwiesen sich dann diese Gräber als leer, man hatte sogar die Beerdigung vorgenommen, aber mit Sarg ohne Leiche.
Rubens große Leidenschaft ist das Radfahren. Sein Bike ist ein Ripley, keine besondere Ausstattung, und mit 1.500€ auch relativ günstig. Er will sich für die Tour Paris – Roubais bewerben, ein internationales Straßenrennen über 257km, bekannt wegen der Kopfsteinpflaster. Bedingung für die Teilnahme sind mindestens 5 erfolgreich absolvierte Brevets, d.h. Ausfahrten von einigen hundert Kilometern, die man in einer Gruppe absolviert. Rubens erzählt begeistert von diesen Touren, wo er viel Kontakt mit älteren Fahrern hat, ‚von denen er noch viel lernen kann‘. (Adria und ich schauen uns an, natürlich beziehen wir das auf uns und freuen uns, ohne etwas dazu zu sagen). Einige dieser Touren laufen über 400 bis 600 km, manchmal nur mit ein paar Stunden Schlaf am Straßenrand. Ich schaue auf seine Rennradreifen, und die spitzen Steine auf der Straße. Ob er schon einmal einen Platten gehabt hat, frage ich ihn. Schon, aber bisher nicht in brenzligen Situationen, und sehr selten. Er hat immer eine kleine Pumpe und einen Reserveschlauch bei sich. Einen Platten hatte er vor kurzen, und zwar als er nach ca 400 km um 3 Uhr morgens vier Kilometer vor dem Ziel nur noch ins Bett wollte.
Wir wünschen ihm auf jeden Fall viel Erfolg mit seiner Bewerbung.
Ab und zu überholt uns ein Auto, dann fahren wir wieder hintereinander, aber die meiste Zeit sind wir Seite an Seite. Wir tauschen Telefonnummern aus, und machen Fotos, und rauschen dabei mit 25-30 km/h über den Asphalt. In der Regel unterhalten wir uns auf Castellano (Spanisch), aber von Zeit zu Zeit verfallen die beiden immer wieder in Catalan, ich mache mich dann bemerkbar und muss sie immer wieder zurück holen ins Spanische.
Die Region um Lerida wird auch als die Kornkammer Spaniens bezeichnet. Weizenfelder, soweit das Auge reicht. Auf einmal vinyas/Weinstöcke. Rubens klärt mich auf: Reimat, ein kleines, aber feines Weingebiet.
Rubens fragt mich, was ich von Katalonien und der Unabhängigkeitsbewegung halte. Ich antworte, dass ich die Katalanen für verrückt halte, da sie alles aufs Spiel setzen, was sie durch Europa und die EU erreicht haben. Adria verweist auf die Autonomie Kataloniens über Jahrhunderte, die letzte Autonome Regierung wurde 1933 von der Republik bestätigt und dann nach dem Bürgerkrieg 1939 von Franco wieder aufgehoben. Wir kommen an einem großen Wahlplakat vorbei: für ein autonomes Katalonien!! Wir halten und die beiden nötigen mich zu einem Foto.
Lerida gehört noch zu Katalonien, hat aber durch die nahe Grenze viel Einfluss durch die Nachbarregion Aragonien, mit der zentralen Stadt Zaragossa. Wir sprechen über den Bürgerkrieg und die unterschiedlichen Positionen in dieser Region (Zaragossa war durch die Militär-Garnison in der Hand der Nationalisten, während die Umgebung von den Republikanern gehalten wurde). Rubens gibt zu, dass er wenig über diese Zeit weiß. Er hat nur von der Schlacht am Ebro 1937 gehört, dass es da richtig zur Sache gegangen ist.
Adria erzählt von seinem Vater, der 1937 mit 17 Jahren eingezogen wurde und auf Seiten der Republikaner gegen die Nationalisten/Franquisten in der Ebro-Schlacht eingesetzt wurde. Dabei musste er immer nachts die Verwundeten aus einer Schlucht bergen. Während die Franquisten durch die Unterstützung Hitlers und Mussolinis über ausreichend Waffen und Munition verfügten, waren die Republikaner zum Schluss des Bürgerkrieges weitgehend vom Nachschub abgeschnitten. Das zeigte sich besonders in der Ebro-Schlacht zum Schluß des Bürgerkrieges, wo die Munition ausging und die Republikaner sich zurückziehen mussten.
Wir passieren die Grenze zu Aragonien, halten an und ich verkünde: von jetzt ab nur noch Castellan, por favor!!
Nach kurzer Zeit deutet Rubens auf einen Abzweig, und verabschiedet sich im Fahren. Adieu, wir haben seine Telefonnummer und er unsere. Es ist 10:00h, und wir sind in kurzer Zeit über 40 km gefahren. Wir gehen wieder auf unser Tempo runter und fahren weiter.
Als wir in Lerida gestartet sind, waren es ca 16 Grad. Ab 13h hat das Termometer die 30 Grad Grenze erreicht und steigt weiter bis auf 35 Grad. In der Zeit ab 14h wird es unerträglich. Wir hangeln uns von Pause zu Pause und nutzen jeden Schatten für eine kurze Erholung.
Wir erreichen Grañen kurz nach 16h und fahren zur Kirche hoch, die wie eine Kathedrale auf einer Anhöhe liegt. Alles verrammelt und verlassen. Es ist Siesta, und niemand auf der Straße. Wir klingeln und fragen nach dem Pastoriat. Und fahren zurück in den Ort, finden das Pfarramt in einem ehemaligen Ladengeschäft, aber auch alles verrammelt. Auf unser Klingeln tut sich nix.
Wir beenden unsere Suche nach einem Pilgerquartier und steuern das einzige Hotel im Ort an, 4Hermanos (3*!), und checken ein (EZ 30€, sehr zu empfehlen).
3. Tag Grañen – Tudela 121 km / 600 Höhenmeter
Wir starten nach einem kurzen spanischen Frühstück (cafe con leche + Croissant) um 7:30h mit sehr angenehmer Temperatur (16Grad). Um 10h sind wir allerdings schon bei weit über 20 Grad, und wir spüren, dass wir mitten durch die Wüstenlandschaft Los Monegros fahren, eine immense Stein- und Sandwüste auf halbem Weg zwischen Huesca und Saragossa. Obwohl sie von drei Flüssen durchquert wird, die einige abflusslose Seen, Lagunen oder Salzseen bilden (beispielsweise die von Playa und Sariñena), herrscht in der Wüste von Los Monegros ein trockenes, arides, von den Gebirgsketten von Sangarren und Tardienta beeinflusstes Klima. Überall Kanäle, die ein weitverzweigtes Bewässerungssystem für die Landwirtschaft schaffen. Wir sehen im Nordosten die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen. Es ist Sonntag, und wir sind praktisch allein auf der Straße. Wir kommen gut voran, im Schnitt 25km/h, mit Wind aus Südwest, der uns leicht schiebt. Am Nachmittag steigt die Temperatur auf über 35 Grad, und wir merken, dass wir dringend eine Pause und Schatten brauchen. Wir legen uns an eine Böschung unter ein paar karge Bäume, und erst als wir aus Neugier die Böschung hochgehen, stehen wir direkt vor einem kleinen Bewässerungskanal, durch den glasklares frisches Wasser fließt. Wir setzen uns in den Kanal und fühlen uns nach kurzer Zeit wie neu geboren. Und können gestärkt weiterfahren.

30 km vor unserem Etappenziel Tudela machen wir Picknick in Valarenas, einem kleinen Ort, der erst 1962 auf dem Reisbrett entstanden ist. Wir finden eine Bar, die das Bier in geeisten Gläsern ausgibt und erholen uns. Wie überall in dieser Gegend sind auch hier auf den Dächern und Kirchtürmen Storchennester (ciguenas).
Wir fahren weiter und verabreden noch einen Schattenstop auf der Hälfte der verbleibenden Strecke. Wir finden aber keinen Strauch und keinen Baum, nichts was auch nur ein bisschen Schatten spenden könnte und müssen die restlichen Kilometer durchfahren, bis wir vor uns Tudela und den Ebro sehen, unser Etappenziel.
4. Abstecher nach Pamplona (Tudela – Pamplona - Logroño)
Während Adria von Tudela weiter den Ebro nach Logroño hochfährt, mache ich einen Abstecher nach Pamplona. Das erste Mal, als ich nach Spanien kam, war 1973 im Alter von 18 Jahren, mit meinem Freund Fränki (und Pepe und Gerd), und meinem ersten Auto Casimir (ein Opel Olympia, mit 3-Gang Knüppelschaltung und vorderer Sitzbank, Bj 1958). Wir fuhren über Paris, und wollten nach Nordspanien. Als wir in Bilbao ankamen, regnete es. Regen ging gar nicht, also entschieden wir uns für die Costa Brava.
Auf dem Weg dorthin kamen wir hinter Pamplona am Pantano de Yesa vorbei, einem wunderschönen Stausee. Am Camping de Yesa hielten wir an, und schlugen für die Nacht unser Zelt auf. Am Abend lernten wir eine Gruppe von Spanierinnen kennen, die Stimmung war gut. Trotzdem starteten wir am nächsten Morgen über Barcelona an die Costa Brava, stellten aber schnell fest, dass der Hochsommer in Tossa auf dem Camping anders ist als am Pantano de Yesa. Und fuhren die 350 km wieder zurück. Und wurden freudig empfangen.
Diesen Kontakt habe ich über drei Jahre gehalten. Vor allem 1975, als ich nach dem Abitur in Barcelona gelandet war, und zwischen zwei Jobs nach Pamplona trampte zum San Fermin/Stierkampffest. Ich habe schöne Erinnerungen an Pamplona, an San Fermin, tanzen, singen und aus der Bota (Weinsack) vino tinto trinken:
‚uno de enero, dos de febrero, tres de marzo, quatro de avril,
cinco de mayo, seis de junio, siete de julio: San Fermin!
con una bota, con una bota vamos de ir. Con una bota, y un calcetin!’
Weit nach Mitternacht schliefen wir ein paar Stunden auf den Festungsanlagen, um dann rechtzeitig beim Treiben der Torros/Stiere durch die Straßen Pamplonas dabei zu sein. Es war ein wunderbares Fest. Und ich wurde eingeladen von der Familia von Menchu, mit der ich mich besonders verstand. Ihre Schwestern Juli und Loli und ihre Freundin Julia waren auch immer dabei.

Es gab einen Briefwechsel mit Menchu, und wir verabredeten uns für ‚proximo verano‘ (nächsten Sommer).
Im drauffolgenden Jahr landete ich als TUI-Reiseleiter an der Costa Brava, lernte dabei meine spätere Frau kennen, und aus der Fahrt nach Pamplona wurde nix.
Jetzt habe ich die Adresse auf dem Briefumschlag von 1975, und ein paar Fotos von damals. Auf meinen Brief, den ich im Januar geschrieben hatte, kam keine Antwort. Natürlich hatte ich im Internet versucht, Kontakt aufzunehmen. Doch dazu fehlte mir der vollständige Name, ich hatte von allen nur den ersten Appelido/Nachnamen. Und Diez Salazar oder Silva heißen in Pamplona viele. In Spanien hat jeder zwei Nachnamen (appelidos): zuerst den Nachnamen des Vaters, und als zweiten den Familiennamen der Mutter. Seit etwa zwei Jahren gibt es ein neues Gesetz, wonach die Appelidos für ein Kind auch umgekehrt gewählt werden können (erst den Familiennamen der Mutter, und dann der des Vaters).
Ich fahre direkt vom Bahnhof zur Calle Goroabe. Das Haus, in dem die Mädchen damals 1975 wohnten, ist in einem großen Wohnblock. Insgesamt gibt es 7 Stockwerke, jedes mit 3 Klingeln. Ich fange mit dem vierten Stockwerk an, in dem die Familie damals gewohnt hat. Und klingele dann alle Stockwerke durch, ohne etwas in Erfahrung zu bringen. Ich suche mir ein Hotel, und verbringe den Abend in der Altstadt von Pamplona.
Am nächsten Morgen setze ich meine Suche nach den Mädchen fort und versuche mein Glück noch beim Ordnungsamt, komme aber aufgrund der Datenschutzbestimmungen nicht weiter. Ich gebe auf, nehme den nächsten Zug zurück nach Castejon an den Ebro, und hole Adria am Abend in Logroño ein, wo er schon ein Doppelbett (Schlafsaal, oben/unten) in einer Pilgerherberge klargemacht hat.

Erst als ich schon in Salamanca bin, eine Woche später, erhalte ich eine Mail aus Pamplona: mein Brief war jetzt nach 5 Monaten angekommen. Ein Nachbar hatte wohl den Brief weitergeleitet an eine Schwester von Menchu, an Juli (nachdem ich alle Wohnparteien angeklingelt hatte).
Juli hatte allerdings eine traurige Nachricht: ihre Schwester Menchu war wenige Monate nach der Geburt ihres Sohnes (1988) verstorben. Sie schickt mir ein Foto mit den drei Schwestern, das Mitte der achtziger entstanden war, kurz bevor Menchu einen Deutschen heiratete, und einen Jungen gebar. Klaus ist jetzt etwas älter als meine Söhne und lebt in München. Beide haben sich sehr über meine Post gefreut, vor allem über die Kopie von ihrer eigenen Postkarte von 1976. Ich habe für nächstes Jahr versprochen, nach Pamplona zu kommen

Abstecher nach Pamplona / nachts im Hotel Avenida: wenn aus Ohren Augen werden!
Nach einem Bummel durch die Altstadt-Gassen von Pamplona komme ich kurz vor Mitternacht zu meinem Hotel zurück (Hotel Avenida). Ich schließe gerade wegen des lauten Straßenlärms das Fenster, und mache das Licht aus, als im Nachbarzimmer das Türschloss geht und ich zwei Stimmen eintreten höre: eine weibliche und eine männliche. Die Wand zwischen den Zimmern muss hauchdünn sein, ich höre jede Stecknadel auf der anderen Seite. Erst ein Tuscheln auf Spanisch, dann ein Zippen wie bei einem Reisverschluss (cremallera), dann ein Klicken wie beim Öffnen eines BH’s. und dann ein Geräusch von Kleidungsstücken, die auf den Boden fallen.
Ich bin auf einmal hellwach, schließe die Augen und sehe durch die Ohren, sehe durch die Wand eine Frau wie auf einer Bühne, vom Scheinwerferlicht hell angestrahlt. Im Hintergrund die männliche Gestalt im Dunkeln, wie ein Schatten.
Die Frau fängt jetzt leise an zu stöhnen, und steigert sich dann – begleitet von dem Geräusch sich berührender Körper – immer weiter, bis sie laute Schreie ausstößt. Jetzt höre ich Ihren Partner, wie er ihr leise und beherrscht, aber bestimmt neue Anweisungen gibt: ‚da la vuelta!‘ (dreh dich). Das Stöhnen beginnt von neuem und steigert sich wie vorher zu einem Höhepunkt, bis vom Partner neue Anweisungen kommen. Und so arbeiten die beiden alle mir bekannten Stellungen und Positionen eine nach der anderen ab, einige Positionen auch doppelt und in verschiedenen Varianten: ‚Acostate!‘ (leg dich); ‚sientate! (setz dich), levantate! (steh auf), agachate! (beug dich).
Alle meine Sinne konzentrieren sich auf die Ohren, ich denke an Blinde, die über die Hör- und Tastorgane bessere Bilder zustande bringen als Sehende mit dioptrien verstärkten Sehhilfen. Und denke auch an den Protagonisten Hans Schnier in ‚Ansichten eines Clowns‘ von Heinrich Böll, der am Telefon riechen konnte, ob sein Gesprächspartner am Abend vorher Zwiebeln oder Knoblauch zu sich genommen hatte. In meinem Job telefoniere ich oft mit meinen Geschäftspartnern, und es kommt vor, dass ich schon nach wenigen Augenblicken meinem Gegenüber sagen kann, in welcher Gemütslage er/sie ist: erkältet, bedrückt, fröhlich, wütend, aufgeregt etc. Mir wird dann häufig am Telefon das Herz ausgeschüttet.
Ich höre, wie das Liebesspiel nebenan bei beiden Beteiligten zu einem endgültigen Höhepunkt kommt, und beide sich auf das Bett fallen lassen. Es kommt noch ein Lachen, dann wird es ruhiger im Nebenzimmer.
Es ist sehr heiß in meinem Zimmer, daher öffne ich das Fenster und hole die Oropax raus. Und schlafe schnell ein.
Ich wache um kurz vor 7h auf und mache mich auf den Weg zum Frühstück. Ich warte im Zimmerflur auf den Fahrstuhl, als die Tür vom Nebenzimmer aufgeht und eine Frau herauskommt. Mir stockt der Atem, mir wird schwindelig. Die Frau sieht mit ihren schwarzen Haaren und dunklen Augen aus wie der leibhaftige Teufel.
Ich lösche alle die schönen Bilder, die ich von der letzten Nacht noch gespeichert habe, der Film fällt wie eine Felswand bei einem Erdbeben in sich zusammen. Ich hatte die Rolle für mich anders besetzt.
Wir fahren im Fahrstuhl gemeinsam nach unten, ohne zu reden oder uns anzuschauen. Der Frühstücksraum hat gerade um 7h aufgemacht, wir sind die ersten und setzen uns weit auseinander
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5. Logroño – Miranda – Burgos 80km/750 Höhenmeter
Wir fahren von Logroño Richtung Miranda durch das herrliche Ebro-Tal. Unsere Route aus der Stadt heraus führt direkt am Ebro entlang, meist über Schotterwege. Alles erinnert mich sehr an die Ardeche in Südfrankreich: der Fluss, die Weinberge, die hügelige Landschaft und die kleinen Gehöfte ab und zu. Wir fahren durch eine Bahnunterführung, wo auch ein Bachlauf durchfließt, in Fahrtrichtung rechts. Danach steigt das Gelände steil an, der Weg wird noch holpriger. Wie immer wenn es bergauf geht, ist Adria weit vor mir, als sich ein Beutel mit meinen Sandalen vom Gepäckträger löst. Ich kehre um, bücke mich, hänge den Beutel wieder ein und fahre weiter.
Es bleibt huckelig, geht aber überwiegend bergab, bis ich zu einer Bahnunterführung komme, wo ein Bachlauf – diesmal links in Fahrrichtung durchgeht. Und stelle fest, dass ich durch diese Unterführung schon einmal gefahren bin, nur von der anderen Seite.
In der Zwischenzeit hat Adria angehalten und versucht, mich anzurufen. Ich hole ihn ein und erzähle ihm die Geschichte. Wir müssen beide an den algerischen Radrennfahrer Abdel-Kader Zaaf denken, der bei der Tour de France 1950 mit einer kleinen Ausreißer-Gruppe weit vor dem Hauptfeld fuhr, seinen großen Durst mit Weißwein löschte, sich kurz zum Schlafen hinlegte und - als er von Zuschauern geweckt wurde, in die falsche Richtung davon brauste. Wir lachen herzhaft und brauchen einige Zeit, bis wir weiterfahren können.

Wir sind die ersten Tage gut vorangekommen. Der Wind schiebt von Südost, wir schaffen gut 100 km am Tag. Allerdings schlaucht die Hitze ungemein. Wir starten um 8h bei 15 Grad, die Temperatur steigt bis 10h auf 25Grad, ab 13h auf 30Grad. Zwischen 14 und 17h liegt das Thermometer bei über 34 Grad. Da bleibt nach der Tagestour neben Trinken, Essen und Ausruhen nur wenig Zeit.
Mein Sohn fragte, als er die ersten Fotos von uns erhalten hat, wo denn Adria sein Gepäck hätte. Er hat tatsächlich außer der kurzen Radlerbux kaum Klamotten dabei. Dafür ist er aber technisch gut ausgerüstet: Er hat vorn auf dem Lenker sein Bordinstrument/Garmin, und hinten im Gepäck noch sein Handy. Am Körper trägt er einen Pulsmesser. Irgendwo piept es immer. So fungiert er praktisch als unser Bordingenieur und gibt ständig die wesentlichen Daten durch: Temperatur, Puls, Kalorienverbrauch. Der Puls liegt normal bei 70, bei normaler Fahrt bei 100-120, und am Berg steigt er bis auf 150-160.
Ich bin dagegen für die Navigation zuständig, wobei ich mich da doch überwiegend analog orientiere – kein digital Native -, mit der jeweiligen Tagesetappe ausgedruckt auf meinem Frontrucksack, und nur bei Unklarheiten auf Google Maps zugreife.
Spannend wird es, wenn wir durch längere Tunnel fahren müssen. Wir sehen zu, dass wir schon vorher unsere Beleuchtung vorn und hinten eingeschaltet haben. Das vordere Licht kann jeder selbst kontrollieren, beim hinteren fragen wir gegenseitig ‚encendido?‘, ‚apagado?‘‚ ‚si,ok‘. Adrias Rücklicht hängt hinten am Gepäcksack und lässt sich nicht so leicht vom Fahrer ein- und ausschalten. Und so leiste ich oft Schützenhilfe, indem ich parallel fahre und mit ausgestreckter Hand während der Fahrt das Rücklicht schalte. Dabei denke ich jedes Mal an die Betankung von Flugzeugen in der Luft, genauso wackelig läuft es auch bei uns.
In Miranda treffen wir meinen langjährigen Freund Joaquin, der auf dem Weg von Zaragossa nach Bilbao ist und unseren Jakobsweg kreuzt. Wir sind uns das erste Mal begegnet, als ich nach dem Abitur 1975 im Reisebüro in Casteldefels südlich von Barcelona gelandet war, und für die Touristen das Geld (Franc, Deutsche Mark, Gulden, Lira, Schillinge, Kronen, etc) in Peseten getauscht habe. Joaquin machte zu der Zeit bei der Conti in Gava eine Lehre und holte bei uns im Reisebüro immer die Flugtickets für seine Chefs ab.

Als ich bei der Conti in Hannover nach dem Studium anfing, lief er mir gleich am ersten Tag über den Weg. Heute ist er Chef von Contitech España, und wir treffen uns mehrmals im Jahr.
In Barcelona konnten wir uns nicht sehen, in Lerida haben wir uns knapp verpasst, umso besser, dass es hier im Landesinnern klappt. Er erzählt uns von seinem Großvater, der in Barcelona gewerkschaftlich organisiert war und zum Ende des Bürgerkriegs mit Frau und Tochter nach Frankreich fliehen musste. Im Internierungslager lernten sich dann Joaquins Eltern kennen, und er wuchs in der Nähe von Toulouse auf. Erst im Alter von 16 Jahren (1970) erhielt die Familie eine Einreisegenehmigung und konnte nach Barcelona zurück.
Adria und Joaquin haben beide noch die Zeit unter Franco miterlebt. Und die Zeit danach ab 1976 als Befreiung für Katalonien empfunden, mit freien Wahlen für eine katalanische Regionalregierung, mit einer Teilautonomie, und mit Wiedereinführung der katalanischen Sprache als erste Landessprache. Dennoch reicht ihnen das heute nicht. Sie fordern mehr Autonomie, mehr Unabhängigkeit von der spanischen Zentralregierung. Adria begründet das mit der langen Selbständigkeit in der Geschichte: von 1479 bis 1973 wurde Katalonien im Namen des spanischen Königs von Vizekönigen regiert, mit dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges 1974 endete die katalonische Unabhängigkeit. Joaquin bezieht sich auf die Wirtschaftskraft Kataloniens, und meint, dass zu viel an Madrid abgeführt wird, und zu wenig für die Infrastruktur zurückfließt. Beide fühlen sich von Madrid gegängelt, und treten für ein unabhängiges Katalonien ein.
(Eine Gegenüberstellung aller Argumente zum Thema ‚Katalonien‘ habe ich am Ende meines Reiseberichts zusammengefasst).
Von Miranda sind es nur noch ca 80 km bis Bilbao, und 20 km weiter im Nordosten von Bilbao liegt Guernica, der Ort, den die Legion Condor im Frühjahr 1937 bombardiert und dem Erdboden gleichgemacht hat. Im selben Jahr präsentierte Picasso auf der Weltausstellung in Paris sein berühmtes Wandbild ‚Guernica‘ (3,3x7,5m, s/w), wodurch diese Untat weltweit bekannt wurde. Die Stadt befand sich in dem schmalen Korridor zur französischen Grenze, der den Basken noch geblieben war und Waffenlieferungen von Frankreich auf dem Landweg ermöglichte. Außerdem hatte der Ort auch eine historische Bedeutung, weil hier die baskischen Präsidenten traditionell ihren Regierungseid ablegten.
Von Tudela über Logroño bis Miranda führt unsere Strecke durch das Ebro-Tal. Durch Weinberge, soweit das Auge reicht. Das Anbaugebiet des Rioja, mit einem herrlichen Panorama der angrenzenden Berge und weltbekannten Weingütern. In Burgos haben wir ungefähr die Hälfte unseres Caminos geschafft. Der heilige Jakobus hat mal gesagt: Pilgern ist Beten mit den Füßen! Das bedeutet, dass wir laut Tachometer bis hierher schon über 500 km gebetet haben.
Ab heute Nachmittag kündigte sich ein Wetterwechsel an. Bisher wehte der Wind aus Südost vom Mittelmeer – der sogenannte Botchorno – und brachte Temperaturen von weit über 30 Grad, seit heute Nachmittag kommt der Wind aus Nordwest – genannt Cierto – und senkt die Temperatur auf unter 15 Grad laut Wetterbericht. Wir sind gespannt.
6. Burgos –Palencia - Leon (Zug)
In Burgos hat uns der Temperatursturz und der Sturm voll erwischt. Als wir am Vorabend am Hostal einchecken, zeigt das Thermometer vor dem Hotel 26Grad, jetzt am Morgen 8 Grad. Und es regnet in Strömen, der Regen peitscht durch die Straßen. Wir entschließen uns für eine Bahnetappe und fahren zu dem außerhalb gelegenen Bahnhof. Ein riesiges Gebäude, total neu, außer uns nur wenige andere Bahngäste. Wir steigen in Palencia um und landen dann in Leon, der Bahnhof ist noch im Bau, lässt aber schon erahnen, dass es sich um ein ähnliches Gebäude handelt wie in Burgos. Und noch geduldig auf die Bahnreisenden warten muss.

7. Leon – Asturgas (55 km / 350 Höhenmeter) – Ponferrada (Zug)
Während Adria in Burgos mein Angebot mit der langen Unterhose noch ablehnt, läßt er sich in Leon dann doch breitschlagen. Wir starten erst um 10h, bei 10 Grad C, und können bis Asturgas in einem regenfreien Zeitfenster fahren, bevor der Sturm loslegt und wir den Rest bis Ponferrada mit dem Zug überbrücken.
Beeindruckend in den letzten Tagen die herrlichen Kathedralen in Logroño, Burgos, Leon und Asturgas, aus einer Zeit, wo eine Stadt die andere mit einer noch schöneren, noch größeren Kathedrale übertrumpfen wollte.

In Ponferrada besuche ich die Eltern von meinem Freund Pedro. Ein spannender Abend, wo wir bis spät in die Nacht über die Geschichte, den spanischen Bürgerkrieg und natürlich auch über die aktuelle Politik diskutieren. Ich erwähne die Unterstützung Hitlers, der schon wenige Tage nach dem Putsch Franco Hilfe zusagt und Transportflugzeuge nach Marokko in Bewegung setzt, um das spanische Afrika-Heer über die Meerenge von Gibraltar überzusetzen. Und anschließend mit der Legion Condor und mit Waffenlieferungen massiv unterstützt. Ich behaupte, dass ohne diese Allianz der Bürgerkrieg nicht diese schrecklichen Ausmaße angenommen hätte. Pedros Vater (er heißt auch Pedro) überrascht mich mit seiner These, dass die Spannungen in der spanischen Gesellschaft und der Hass der einzelnen Gruppen untereinander zu der Zeit so groß waren – im Gegensatz zu Frankreich und Deutschland hatte es vorher in Spanien keine gesellschaftlichen Anpassungen an die industriellen Rahmenbedingungen gegeben - , dass die Bevölkerung auch mit Knüppeln und Schwertern aufeinander losgegangen wäre und sich gegenseitig umgebracht hätte. Womit er bei mir aber die Mitschuld der Deutschen an diesem Massaker nicht mindert.
Bei dem Thema ‚Katalonien‘ schaltet sich auch Pedros Schwester Berta ein. Wie die meisten Spanier hat sie kein Verständnis für die Forderungen der Katalanen, sie sieht sie als Egoisten, und meint, ohne finanzielle Umverteilung geht es nicht in einer Gemeinschaft, wie in einer Familie müssen die Starken auch die Schwächeren unterstützen. Sie betrachtet dieses Verhalten als arrogant, weil die Katalanen sich für etwas Besseres halten und auf den Rest Spaniens herabblicken. Und die Abstimmung über das Referendum wäre alles andere als repräsentativ gewesen. Aufgrund des Wahlverbots wären die meisten Gegner der Unabhängigkeit der Wahl ferngeblieben. (Eine Gegenüberstellung aller Argumente zum Thema ‚Katalonien‘ habe ich am Ende meines Reiseberichts zusammengefasst.)

8. Ponferrada – As Nogais 76 km / 800 Höhenmeter
Die Strecke von Ponferrada nach As Nogais läuft nur über 76 km, und 800 Höhenmeter, aber sonst unter schwierigsten Bedingungen. Der Sturm hat die Region jetzt voll erreicht, und die Wolken und der Wind treiben am Himmel ihr Spiel. Wir warten in Ponferrada, bis das Thermometer über 8 Grad C zeigt und starten in Richtung Lugo. Unser nächstes Etappenziel ist ein kleiner Ort, As Nogais, und dazwischen liegt ein Pass in 1.000 m Höhe.
Wir schwitzen ordentlich beim Hochfahren, und frieren entsprechend bei der Abfahrt. Es ist ca 8 Grad, und mit unseren nassen Klamotten, dem Wind von vorn und vor allem dem Abfahrtwind gefühlt eiskalt.

Beim Bergauffahren hat man viel Zeit zum Nachdenken. Mehr als bergab, wo man bei Geschwindigkeiten von über 50 km/h besonders auf Steine, Kanten, Schlaglöcher etc. achten muss. Ich muss an eine Radio-Andacht denken, die ich vor kurzem im WDR gehört habe. Ein Lehrer gab seinen Schülern auf, für jedes Ereignis, wo sie jemandem etwas übelnahmen, wo sie etwas nicht verzeihen konnten, sollten sie einen Stein in einen Beutel legen. Diesen Beutel mit den Steinen sollte jeder Schüler die Woche mit sich tragen, und nächste Woche wieder mitbringen. Bis dahin konnten sie für all die Fälle, wo sie jemandem verzeihen konnten, den jeweiligen Stein aus dem Beutel nehmen. Nach einer Woche brachten die Schüler ihre Beutel mit in den Unterricht, einige hatten den Beutel noch voll, andere hatten ihre Beutel ganz oder teilweise geleert.
Ich denke an dieses Gleichnis und merke, wie gerade bergauf jedes Kilo wiegt. Und wie viele Steine ich selber in meinem Beutel mit mir schleppe. Ich gehe alle in Gedanken und in der Erinnerung durch, und werfe einen nach dem anderen über Bord. Und merke, wie es – besonders beim bergauf fahren – viel leichter geht.
Kurz bevor wir unseren Etappen-Ort erreichen, erwischt uns der nächste Schauer voll und ohne Unterstellmöglichkeit. Käse!
Wir übernachten in einem Hostal, wo wir kulinarisch verwöhnt werden, allerdings sind wir nachts in dem ganzen Gebäude die einzigen Bewohner, und stellen fest, dass man uns eingeschlossen hat. Bis um 8h die ‚chica‘ kommt, und uns Frühstück macht. Das hätte man uns doch so gesagt, oder. Komisch!!
9. As Nogais – Lugo - Friol 80 km / 1.200 Höhenmeter
Wir starten wieder kurz nach 10h bei 8 Grad, es geht entweder bergauf (schwitzen), oder bergab (eiskalt/frieren). Mein Rücken tut weh, ich frage in der nächsten Apotheke nach Finalgon, und kriege ein Ersatzmittel. Damit geht es besser.
Immer, wenn es bergauf geht, überholt mich Adria und fährt weit vor mir. Das ist auch kein Wunder, bringt er doch mit seinen 1,80m nur 75 kg auf die Waage, bei mir sind es 90kg, dh 15kg mehr. Zudem wiegt mein Rad mit Anbauten (Gepäckträger vorn und hinten) ca 3kg und mein Gepäck mit Schlafsack, Isomatte, ‚Wintersachen, Surface, Kamera inkl. Netzgeräte + Reiseführer ca 10kg mehr. Insgesamt schleppe ich also 28kg zusätzlich den Berg hoch. Das sind mehr als zwei volle Kisten Bier (s. Foto).

Dafür habe ich aber auch lange Hosen und sogar eine lange Unterhose mit, die meinem Partner ab dem 6. Tag sehr gute Dienste leistet.
Wir kommen im wunderschönen Lugo an, unser eigentliches Etappenziel, schauen uns die römische Stadtmauer (Weltkulturerbe) und die denkmalgeschützte Altstadt an, dann stornieren wir unser geplantes Quartier und fahren noch 30 km weiter bis Friol. Damit bleibt uns für die letzte Etappe nur noch eine Strecke von 90 km und 800 Höhenmetern.
In Friol übernachten wir in einem Hostal mit einfachen, aber sauberen Zimmer. Im Bad fotografiere ich einen Handtuchhalter, wo sich die Schrauben an einer Seite gelöst haben. Ein Phänomen in Spanien, was mir immer wieder auffällt: Befestigungen von Griffen, Haken, Haltern in Fliesen oder Holz sind mit Dübelgröße 4-5 mm völlig unterdimensioniert, während bei uns die Dübel mindestens 6 mm haben.
Morgen Nachmittag landen wir in Santiago de Compostela!!
10. Friol – Santiago 90 km / 800 Höhenmeter
Als wir morgens gerade das Hostal verlassen, hält ein Postauto vor dem Haus und holt aus dem Hotelflur ein paar Rucksäcke ab. Auf den Rucksäcken klebt ein Aufkleber mit den Stationen der Wanderung, und die Post transportiert das Gepäck jeweils von Hotel zu Hotel. Für 4€ pro Etappe. Wenn ich das vorher gewusst hätte!!!!!!
Die letzte Etappe führt durch eine herrliche grüne und fruchtbare Landschaft, mit leichten Anstiegen und wunderbaren Ausblicken über die Landschaft. Es ist Pfingstsonntag, und die Straße gehört uns. Kaum Verkehr, und der Straßenbelag hervorragend. Wir kommen gut voran, irgendwie spüren unsere Stahlrösser, dass unser Ziel nah ist und laufen wie geschmiert. Die Temperatur ist auch leicht angestiegen, ca 15 Grad, zum Radeln sehr angenehm. Ab und zu führt der Jakobsweg direkt neben der Straße entlang, und uns begegnen Pilger, mit denen wir auch ins Gespräch kommen. Wir überholen zwei Radpilger, Frank aus Köln und Jean aus der Bretagne, die uns ihre Geschichte erzählen, während wir nebeneinander fahren.

Wir kommen an einen großen Kreisel, mit einer Autobahnauffahrt und einem Entfernungsschild ‚Santiago = 30km‘. Wir passieren die Ausfahrt und kommen an die Ausfahrt zur Carretera: Santiago = 33km. Wir passieren auch diese Ausfahrt und drehen eine Extrarunde, und nehmen dann die Autobahn-Auffahrt. Und treffen außer einem barfüßigen Pilger auf kaum Verkehr. So kommen wir drei Kilometer eher an unser Ziel. Oder, wie Adria es formuliert, jedes Mal wenn wir ein Stück Autobahn oder Schnellstraße fahren: ‚Si pasa un camion, vas mas rapido al cielo‘ (wenn ein LKW kommt, sind wir schneller im Himmel!).

Unser Hotel (Gran Hotel Los Abetos/4****, 70€ Dozi) liegt vor Santiago, auf einer Anhöhe. Die letzten 200 m gehen noch einmal richtig steil nach oben, mindestens 14/15 Prozent Steigung. Wir laden unser Gepäck ab, checken ein und fahren weiter ins Stadt-Zentrum zur Kathedrale.

Wir sind happy und dankbar und glücklich, freuen uns und feiern unsere Ankunft!

11. Santiago de Compostela
Nach einem guten Frühstück checken wir aus und sausen die knapp 10km meist bergab ins Stadtzentrum. Einige Aufgaben warten auf uns, als Pilger hat man am Ziel einiges zu erledigen. In der Kathedrale Kerzen anzünden, im Pilgerbüro wegen der Compostela/ Pilgerurkunde anstehen, und bei der Post unsere Bike-Bags, die wir postlagernd aufgegeben hatten, abholen.
Die Kathedrale ist innen Baustelle, der weltberühmte Botafumeiro, der schwenkende Weihrauchkessel ist außer Betrieb. Ich habe kein Kleingeld, nur einen 20€ Schein, und entzünde daher ein ganzes Bündel von Kerzen, für alles und alle, die mir am Herzen liegen.
Trotz des Pfingstmontags hat das Correos/Postamt auf, und unsere Bike-Bags erwarten uns wohlbehalten, nur an die Compostela/die Pilgerurkunde kommen wir nicht ran. Wir warten in einer langen Schlange im Gebäude der Pilger, ohne dass sich etwas bewegt, und verschieben den Versuch auf den Nachmittag.
Adria hat seinen Flug nach Barcelona am Abend, wir packen sein Bike ein und verabschieden uns.
Es war eine tolle Tour, wir haben uns gut verstanden und beide die Tour voll genossen.
Ich bleibe noch und finde ein neues Quartier: Seminario Menor, ein Convent klosterähnlich mit Schlafräumen, aber auch Einzelzimmern. Einen Kilometer vom Zentrum, mit einem herrlichen Blick auf die Stadt. Ich zahle 15€ für meine ‚Einzel-Zelle‘, und genieße die Ruhe, Sauberkeit, und die Atmosphäre mit den anderen Pilgern. Im Hotel 4**** hat keiner mit keinem gesprochen, während hier im Convent man innerhalb kurzer Zeit die meisten Mitbewohner kennt: aus Italien, Japan, Portugal, Canada, USA etc.
Es gibt eine große Küche, und abends wird gemeinsam gekocht, dh die einzelnen Gruppen stehen Schlange an den 5 Herdplatten. Sehr kommunikativ!
Am zweiten Tag bummele ich durch die Altstadt-Gassen, und mir fallen die vielen Tatoo-Studios auf. Ich treffe eine Gruppe von Pilgern, die gerade aus einem Studio kommt, frisch tatooisiert – Gunevere und ihr Vater Philip aus USA, David aus Canada und Markus aus der Schweiz. Mit der Concha / der Jakobsmuschel auf dem Fuß oder Unterarm. Sie sind noch richtig im Rausch nach ihrer Tour, und wollen die Erinnerung möglichst lange wachhalten.


Ein Engel in meinem Traum
In der Nacht bei Adria, bevor wir in Barcelona gestartet sind, hatte ich einen schönen Traum:
Ein Engel erschien mir, mit einem strahlenden Gesicht und einem kussroten Mund, und mit leuchtenden Augen, die mich anstrahlten und gefangen hielten. Ich erkenne im Traum dieses Gesicht, vor Freude wache ich auf. Und merke mir diesen Traum.
Jetzt, nachdem wir gut an unserem Ziel angekommen sind, denke ich an diesen Engel. Ich werde nach Salamanca weiterfahren und endlich diesen Engel wiedersehen. Und diese Augen, die mich 1976 vor 43 Jahren an der Costa Brava wie ein Blitz getroffen haben, und in die ich mich seitdem immer wieder von neuem verliebt habe. Sie gehören meiner Frau, die in Salamanca einen Spanisch-Kurs macht.

12. – 17. Santiago – Salamanca – Madrid (mit dem Zug)
Museu de la Guerra Civil, Salamanca: Begegnung mit Hannovers Partnerstadt in Polen
Wie schon erwähnt, hatte ich mich im Vorfeld der Reise intensiv mit dem Spanischen Bürgerkrieg beschäftigt, insbesondere mit der Rolle der Deutschen und Italiener. Bisher stand aber meist das Katalonien-Thema im Vordergrund. In Salamanca besuche ich das Museo de La Guerra Civil. Im Museum will ich gerade ein Exponat fotografieren, dass die jeweiligen Propaganda-Plakate der kriegsführenden Parteien gegenüberstellt. Vor dem Bild stehen aber noch zwei Jugendliche, Junge + Mädchen, ca. 15-17 Jahre, die über das Bild reden (in einer osteuropäischen Sprache), und als sie merken, dass ich ein Foto machen will, zur Seite treten. Als ich das Foto gemacht habe, spricht mich der Jugendliche in Schul-Spanisch an und fragt, ob ich ihnen etwas zu den Postern sagen könnte, ‚welche Parteien denn da gekämpft haben, wer die einen sind und wer die anderen?‘
Sie kommen aus Poznan/Polen, und sind mit der Schulklasse unterwegs. Von der Städtepartnerschaft mit Hannover wissen Sie nichts, und vom spanischen Bürgerkrieg auch nicht viel. Ich frage sie, ob sie ihre Bitte wirklich ernst meinen, und als sie bejahen, erzähle ich ihnen von der zweiten Republik, die 1931 die Monarchie ablöste, mit einer Regierung aus sozialistischen Parteien, die zum Ziel hatte, die Lebensbedingungen vor allem der Arbeiterschaft zu verbessern, während die Macht der Kirche – vor allem im Bildungssektor und die Rolle der Generäle/des Militärs stark eingeschränkt wurde.
Das führte 1936 zu einem Putsch des Militärs, ausgehend vom starken Afrikaheer in Marokko. Es kommt zum Bürgerkrieg, auf der einen Seite die Putschisten mit großen Teilen des Militärs unter Führung General Francos, auf der anderen Seite die sozialistische Regierung, unterstützt von der Arbeiterschaft, den Sozialisten und Kommunisten, und vor allem auch von den autonomen Regionen Baskenland und Katalonien. General Franco schafft es innerhalb weniger Tage nach dem Putsch, Hitler und Mussolini auf die Seite der Putschisten zu ziehen und Transportkapazitäten für die Überquerung der Straße von Gibraltar bereitzustellen, und so werden innerhalb weniger Tage grosse Teile des Afrika-Heeres (40.000 Soldaten) mit Junkers-Transportflugzeugen nach Andalusien übergesetzt und starten ihren Marsch Richtung Madrid. Die Achsenmächte engagieren sich auch weiterhin und unterstützen die Franquisten mit Waffen, mit Flugzeugen (inkl. Besatzungen) der Legion Condor und italienischen ‚Freiwilligen‘-Verbänden mit bis zu 70.000 Soldaten. Während Hitler und Mussolini ihr Engagement teilweise über Kredite, teilweise über Lieferrechte an Bodenschätzen und Mineralien finanzieren, muss die Madrider Regierung die spanischen Goldreserven vor den Putschisten in Sicherheit bringen und 510 Tonnen Gold (Marktwert heute: ca 41 Mrd €) von Madrid aus auf 50 LKW’s über den Hafen Cartagena am Mittelmeer nach Moskau verschiffen, um das Gold nach und nach einzutauschen und daraus die Waffenlieferungen Russlands zu bezahlen.
Während ich rede, kommen nach und nach die anderen Schüler der Klasse und hören mit. Ich will gerade zum Schluss kommen, als eine Schülerin angelaufen kommt und etwas ruft, woraufhin sich der Jugendliche, der mich angesprochen hatte, bedankt und bedauert, dass sie jetzt gehen müssten.
Und bevor ich etwas antworten kann, sind alle verschwunden. Ohne, dass ich ein Foto machen konnte. (die Geschichte glaubt mir doch sonst keiner…)
Salamanca / el rector de la universidad
Ich stehe vor dem Rektorat der Universität. Während des Bürgerkrieges hatte Franco sein Hauptquartier in Salamanca, von hier kommandierte er die Belagerung Madrids. Stadt und Region waren sehr nationalistisch und kirchentreu auf Seiten der Putschisten, wohingegen die Intellektuellen eher republikanisch eingestellt waren. Und so kam es kurz nach Ausbruch des Bürgerkrieges am 12. Oktober 1936 während einer politisch/religiösen Feier im Auditorium der Universität zu dem berühmt gewordenen Ausspruch des damaligen Rektors Miguel de Unamuno nach seiner flammenden Rede für die Freiheit: " Sie werden gewinnen, aber Sie werden nicht überzeugen " (Vencer no es convencer). Dieser Ausspruch richtete sich an José Millán-Astray, General der Putschisten und bester Freund Francos, woraufhin der General ausrief "Tod den Intellektuellen!" und "Es lebe der Tod!", seine Pistole zog und den Rektor auf der Stelle liquidieren wollte. Unamuno hatte Glück, die Ehefrau Francos saß neben ihm, nahm ihn in den Arm und geleitete ihn unter ihrem Schutz ins Freie. Das Rektor-Amt wurde ihm aberkannt, er blieb unter Hausarrest und starb zwei Monate später im Alter von 72 Jahren.

01. – 17. Tag: Zusammenfassung Vuelta de España von Barcelona nach Santiago de Compostela
Vom 01. -11. Juni 2019 bin ich mit dem Rad von Barcelona nach Santiago de Compostela gefahren. Es ist die Fortsetzung meiner ‚Tour de France 2017‘ (von Düsseldorf nach Barcelona), über die ich schon berichtet hatte.
Ich hatte mir vorher den Wetterbericht angeschaut für die gesamte Strecke, und überrascht große Temperaturunterschiede festgestellt. Barcelona noch gemäßigt mit 20-25 Grad, aber bereits ab 50 km im Landesinneren weit über 30 Grad, während die Temperatur in Burgos eine Woche später mit 5-15 Grad angegeben wurde. Ich dachte, das könne nur ein Irrtum sein, packte aber trotzdem die lange Unterhose mit ein. Während mein Partner Adria optimistisch mit kurzer Hose an den Start ging.
Vor uns lagen über 1.000 km (das entspricht etwa der Entfernung Flensburg - Rosenheim, oder Hannover – Lyon), und was mich noch mehr beeindruckte, über 8.000 Höhenmeter. Erst die Wüste Los Monegros zwischen Lerida und Zaragossa, dann das wunderschöne Ebro-Tal mit herrlichen Weinbergen und weltweit bekannten Weingütern des Rioja, und danach das spanische Hoch- (und Bergland) Kastiliens und Galiciens. Der Mittelpunkt fast jeder der mittelalterlichen Städte Spaniens ist die Kathedrale. Wo heute seit 50 Jahren international um den höchsten Tower gerungen wird (das Empire State Building war mit 381m von 1934 bis 1972 das höchste Gebäude weltweit, aktuell nur noch Rang 24! Rang 1 heute: das Burj Khalifa in Dubai mit 828m), wollten die Bischöfe im Mittelalter jeweils die größte, höchste, schönste, bunteste Kathedrale haben. Unser Urteil ist eindeutig: Burgos hat die größte, Leon die schönste, Astorga die mit den meisten Nebenaltären, und Logroño die schlichteste (der Innenraum war abends geschlossen).
(Diese Rangfolge entstand, bevor ich die Kathedrale in Salamanca besichtigte!! die ist einfach Hammer, die schlägt alle anderen!!)

Wir durchquerten insgesamt 7 der 17 autonomen Zonen (Unidades Autonomas, vergleichbar mit unseren Bundesländern): Cataluña, Aragon, Navarra, Rioja, Pais Vasco, Castilla y Leon, Galicia, und sahen von weitem die schneebedeckten Picos von Anturias und Cantabria. Wobei Rioja eine der kleinsten und Castilla y Leon eine der größten Zonen ist.

Mir war bewusst, dass sowohl Cataluña als auch Pais Vasco/Navarra in der Schule als erste Sprache meist Catalan oder Baskisch wählen, und erst als zweite Kastellan/Spanisch.
Aber auch Galicien hat mit Galego seine eigene Landessprache, die mehr dem portugiesischen als dem spanischen ähnelt und im Nordwesten Spaniens von ca 3 Mio Menschen gesprochen wird.
Das Wetter kam noch schlimmer als vorhergesagt: die ersten 5 Tage von Barcelona über Montserrat, Lerida, Tuleda, Logroño und Burgos hatten wir Wetter wie im Hochsommer. Wir starteten spätestens um 8 bei 15 Grad, ab 13h war die 30-Gradgrenze überschritten, und nach 15h mussten wir bei über 35 Grad immer wieder Trink- und Ruhepausen einlegen.
Bis Burgos hatten wir Wind aus dem Südosten, Botchorno genannt, der uns warme Luft brachte und wunderbaren Rückenwind. In Burgos am fünften Tag drehte über Nacht der Wind, es kam ein Sturm vom Atlantik mit Windgeschwindigkeiten von über 100 km und starken Niederschlägen. Der Wind kam jetzt aus Nordwest (Cierto) und bestimmte für die zweite Hälfte der Tour das Wetter. Bei Ankunft abends in Burgos zeigte das Thermometer vor dem Hostal um 18h noch 26 Grad, am nächsten Morgen um 8h nur noch 8 Grad.
Aufgrund des Sturms überbrückten wir zwei Tagesetappen – die Strecke zwischen Burgos und Leon – mit dem Zug und konnten so dem meisten Regen entgehen. Während wir vorher so früh wie möglich gestartet sind, warteten wir jetzt am Morgen bei einem schönen Frühstück bis mindestens 10h, damit das Thermometer endlich von 3 Grad um 8h auf wenigstens 6-8 Grad um 10h gestiegen war. Mein spanischer Partner akzeptierte jetzt auch – notgedrungen – die lange Unterhose, die ich ihm großzügig überließ.
Die Tagesetappen hatten wir vorher festgelegt und auf DINA4 ausgedruckt auf meinem Frontrucksack. So hatten wir immer die Strecke im Blick und konnten damit ganz gut navigieren. Am Abend oder beim Frühstück gingen wir meist die nächste Etappe gemeinsam durch, um uns besser auf die Strecke einzustellen. Bei Unklarheiten unterwegs griffen wir auf google.maps auf dem Smartphone zu, kamen aber weitgehend analog mit dem Ausdruck zurecht (meine Söhne sagen immer: ‚Papa wird nie ein digital native!‘ womit sie Recht haben, aber auch durchaus die Vorteile der analogen Variante unterschätzen!).
So schafften wir am Tag je nach Bergstrecken und Windrichtung zwischen 80 und 120 km, unser Tagesschnitt lag bei 90 km. Wir nutzten oft die Carretera Nacional (Bundesstr), und hatten überhaupt kein Problem mit dem Verkehr. Die Autofahrer hielten weiten Abstand, und der Verkehr auf den meisten Strecken hielt sich in Grenzen. Eine Ausnahme bildete das Stück von Barcelona bis Montserrat (ca 50 km), wo der Verkehr und vor allem die LKW’s so dicht an uns vorbei brausten, dass wir sie fast berühren konnten. Besonders gut zu fahren und landschaftlich sehenswert waren die letzten drei Etappen von Ponferrada über Lugo nach Santiago.
Irgendwo zwickte und zwackte es während der Fahrt immer: dann war wieder die Gelenkmaus unterwegs. Mein rechter großer Zeh hatte sich nach zwei Tagen wundgescheuert. Ich wechselte rechts für einen Tag auf Sandale, und danach war es gut. Oder nach starken Steigungen machte sich das rechte Knie bemerkbar. Dann kam Voltaren zum Einsatz. Und es wurde mehr mit links getreten. Wenn bei starken Bergauf-Fahrten das Hinterteil schmerzte, dann wurden die mit dem Sattel in Berührung kommenden Körperteile noch einmal mit Melkfett nachgeschmiert, und die zweite Radlerbux wurde übergezogen.
In den ersten Tagen mit der starken Hitze am Nachmittag leuchtete ein paarmal unsere Akkuleuchte rot auf. Das bedeutete, sofort anhalten und Schatten suchen. Auf der zweiten Tourhälfte wurde durch die eiskalten Bergabfahrten der Rücken und Nacken stark verkühlt - ich spürte das gleiche Gefühl wie nach Zementsäcke schleppen – Finalgon gab es leider nicht in der Apotheke, aber ein spanisches Produkt. Problematisch war oft das Abendessen. Da die Spanier in der Regel erst spät abends essen, und die Restaurants erst ab 20h aufmachen, mussten wir Überredungskünste anwenden, um früher etwas auf den Teller zu kriegen.
Die Suche nach einer Unterkunft bereitete überhaupt kein Problem. Im Laufe des Vormittags checkten wir über booking.com an unserem Etappenziel die Möglichkeiten, und reservierten fest. Wir haben die ganze Bandbreite ausprobiert: von der Pilgerherberge mit Doppelstockbetten (20 Pilger in einem Saal!/in Logroño) über Hostales mit und ohne Stern bis hin zu 4-Sterne Luxushotels (Leon, Ponferrada, Santiago). Dabei hatten wir festgestellt, dass der preisliche Unterschied zwischen der Pilgerherberge (10€/Personx2=20€) und dem 4**** Hotel (40-45€ für Dozi) nur sehr gering war. Das lag einfach daran, dass wir mit unseren Bikes wesentlich mobiler waren als die Fußpilger, und so auch auf Quartiere etwas außerhalb der Pilgerroute ausweichen konnten.
Essen und Trinken stand ganz oben auf der Prioritätenliste, vom Radeln hat man immer Hunger, und bei den hohen Temperaturen vor allem Durst. Die Preise für ein menu del dia lagen zwischen 8-14€, und ein halber Liter Bier kostet in Galicien um die 2-2,50€. Zusätzlich hatten wir – um auch längere Strecken zu überbrücken, immer Picknick dabei: Brot, Tomaten, Bananen, Schinken, Wurst, Käse, Oliven). So kamen wir ganz gut über die Runden und der Gewichtsverlust hielt sich in Grenzen.

Ich hatte mich vorher intensiv mit dem spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) beschäftigt, vor allem mit der Rolle der Deutschen und Italiener, und wollte darüber mit den Spaniern ins Gespräch kommen. Ein aktuelles politisches Thema stand allerdings deutlich im Vordergrund: das Demokratieverständnis des spanischen Staates und die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen. Zumal in den beiden Wochen unserer Tour der seit Februar 2019 laufende Gerichtsprozess gegen die seit zwei Jahren (seit 2017) inhaftierten katalanischen Minister und Parlamentarier zu einem Höhepunkt kam:
- In der ersten Juni-Woche gab die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer ab und fordert für Rebellion (und andere Vergehen) eine Strafe von 25 Jahre
- In der folgenden zweiten Juni-Woche präsentiert die Verteidigung ihre Position und plädiert für Freispruch
Bis zum Urteil wird es noch einige Zeit dauern, man kann gespannt sein!
Natürlich hatte ich mich auch mit der spanischen Literatur beschäftigt. Fasziniert hat mich Cervantes, mit seinem im Mittelalter schon international berühmtem Werk ‚Don Quijote‘. Cervantes hatte seinem ‚Ritter der traurigen Gestalt’ einen Klappergaul zur Seite gegeben, und ihn ‚rosin ante‘ genannt: rosin = alter Gaul, ante = vorwärts. Ich übernehme diesen Namen für mein ‚Stahlroß‘, mein Rennrad ‚Vuelta‘, mit dem ich seit meinem 50. Geburtstag (1955) liiert bin. Und immer, wenn wir auf Pilger treffen, rufe ich ihnen ‚Adelante, Rosinante‘ zu.
Insgesamt begegnen wir auf unserer Tour nur einigen wenigen Radlern: am Wochenende und nach Feierabend Rennradfahrer, und in den Städten Touristen oder Pizzaboten. Aber sonst Fehlanzeige. Der einzelne Bürger hat das Rad als Transportalternative noch nicht erkannt, oder nicht akzeptiert. Und das, obwohl die Kommunen inzwischen in den Metropolen (zB Madrid, Barcelona, und auch kleineren Städten wie Salamanca) eine hervorragende Fahrradinfrastruktur geschaffen haben, mit getrennten Radwegen, Radstationen und Verleihsystemen. So hat Madrid in kurzer Zeit 1 Mrd Euro für die Fahrrad-Infrastruktur investiert, unter anderem ein E-Bike-Verleihsystem, ausgelöst durch eine grüne Bürgermeisterin, die allerdings jetzt wieder durch einen konservativen Nachfolger abgelöst wurde. Es bleibt zu hoffen, dass die Investitionen nicht wieder zurück abgewickelt werden.
Nach fast zwei Wochen mit Adria fühle ich mich recht sicher im Spanischen. Dennoch habe ich manchmal Verständnisschwierigkeiten, wenn ich mit einem Hotel telefoniere, oder bei Ansagen im Zug oder Flugzeug. Dann denke ich immer an das Rattern eines Metralladoras (Maschinengewehr), so hört sich das bei den Spaniern an:
»Trtrtrtrtrtrtrtrtrtrtrtrttrtrtrttr (nachladen)
trtrtrtrtrtrtrtrtrtrtrrtrtrrtrtrttr!«
Da mir das ‚spanisch‘ vorkommt (die Spanier sagen: »esto me suena a chino« – „das kommt mir chinesisch vor“), habe ich mal bei google unter Sprechgeschwindigkeit nachgeschaut, und siehe da: Sprachwissenschaftler haben herausgefunden, dass Spanisch neben Japanisch am schnellsten gesprochen wird, mit 8 Silben/sekunde, während Deutsch mit 6 Silben/sek im unteren Bereich liegt.
Warum hatte ich das Ziel Santiago ausgewählt? Ganz einfach. Durch unseren ehemaligen Kollegen Wolfgang Böttcher (Leiter Werbung 1986 – 2005) und Wanderkumpan bei den Hermeswanderern hatte ich viel vom Jakobsweg gehört. Wolfgang war total fasziniert vom Camino (und ist es immer noch!) und war nach seiner Pensionierung alle Varianten mehrmals gegangen. Und ich wollte wissen, woher diese Faszination kommt. Und so hatten Adria und ich uns im Vorfeld das Pilgerheft (Credencial del Peregrino) besorgt, in das alle Etappen mit Stempel nachgewiesen werden und dann als Grundlage für die ‚Compostela‘ gilt, die Pilgerurkunde. Wir starteten in der Paroquia Sant Vincent de Sarria in Barcelona, erhielten von Pater Ambrosius den Stempel und den Pilgersegen. Alle weiteren Stationen über Montserrat etc wurden mit Stempel festgehalten und dokumentiert. Die Strecke von Barcelona bis Logroño gilt als Nebenstrecke, insofern trafen wir hier nur wenige Pilger. Ab Logroño sahen wir viele Fußpilger auf den Wegen neben der Straße oder auf dem Seitenstreifen der Carretera. Teilweise als lange Kolonne, alle paar Meter kleine Gruppen oder Einzelwanderer. Andere Radfahrer trafen wir erst auf den letzten 50 km unserer Strecke, und kamen dort erst mit ihnen und mit Einzel-Wanderern ins Gespräch. Die meisten gehen den Camino Frances und starten an der französischen Grenze in den Pyrenäen in St Jean Pied de Port. Und laufen die Strecke über Pamplona, Logroño, Burgos, Leon, Ponferrada, Lugo nach Santiago, über 600 km. Bei Tagesetappen von 20-30 km sind sie zwischen 4 und 6 Wochen unterwegs. Dabei verspüren sie ein Gefühl der Motivation, wie wir es auch empfunden haben: nach wenigen Tagen stellt der Körper sich auf die Zielerreichung ein, alle Organe sind auf Höchstleistung getrimmt. Der Körper produziert Hormone ohne Ende, die diese Höchstleistungen ermöglichen und die inneren Abwehrkräfte so stark machen, dass jede Art von ‚Wehwechen‘ abgeschmettert wird. Und erreicht man dann sein Ziel, so werden Glückshormone frei, es ist wie in einem Rausch, als ob alle gedopt sind. Es ist vergleichbar mit der Teilnahme an einem Lauf/Marathon, nur noch viel stärker ( an die Chef/Chef/Chefs: Messe-Lauf-Events: tolle Sache, unbedingt weiter machen).
Unbeschreiblich auch die Stimmung am Ziel, wenn alle im Centro Internacional de Acocida al Peregrino bis zu zwei Stunden in der Schlange stehen, um ihre Pilgerurkunde (compostela) in Empfang zu nehmen, und dabei auf Pilger treffen, mit denen sie in den Wochen ihrer Wanderung Kontakt hatten. Sie begrüßen sich, fallen sich in die Arme, und freuen sich über das gemeinsam Erlebte und Geschaffte.
Im letzten Jahr 2018 haben über 300.000 Pilger die Urkunde erhalten, die über die verschiedenen Wege nach Santiago kamen: über den camino frances, portugues, primitivo etc. Zu Fuß, mit dem Rad, über das Meer, oder mit dem Pferd. Im Monat August erreichen die Zahlen mit bis zu 3.500 Pilgern pro Tag ihren Höhepunkt.
Bei Überreichung der Pilgerurkunde wird man nach seiner Motivation für den Camino gefragt: aus religiösen, spirituellen oder sportlichen Gründen. Während im Mittelalter ausschließlich religiöse Gründe im Vordergrund standen, geht es heute vor allem um das spirituelle/zu sich selbst finden, und das sportliche, die Herausforderung. Erstaunlich ist, dass mehr Frauen als Männer (52%/48%) den Weg gehen. Und dass mit 15% auch viele junge Leute (<30) dabei sind.
Mit dem Bike sind 6 % dabei, 1/3 der Pilger kommt aus Spanien, und 2/3 kommen aus dem Ausland. Wobei die Deutschen mit 15% vor Italien, USA und Portugal den größten Ausländeranteil stellen.
Der Großteil der Pilger ist zwar allein oder in kleinen Gruppen unterwegs, die Faszination entsteht jedoch durch den medialen Charakter des Caminos / Jakobswegs, die Gemeinschaft der Pilger auf der einen Seite sowie die mediale Vermarktung des Events - mit dem Credential und der Compostela - für den einzelnen auf der anderen Seite. Während wir früher vor Beginn des Massentourismus nach den einsamen Stränden, den ‚playas escondidas‘ gestrebt haben, und dafür weit nach Griechenland, Marokko oder Spanien getrampt sind, suchen viele heute die Herausforderung bei Massenevents – wie einem Business Run in München mit 30.000 Teilnehmern, oder den vielen Marathon-Läufen – New York zB mit über 50.000 Läufern (1970 erstmalig mit 130, von denen 55 Teilnehmer das Ziel erreichten). Und wer heute nicht die sportliche Herausforderung sucht, der landet mit großer Sicherheit auf einem der internationalen Kreuzfahrtschiffe, die mit über 2.000 Passagieren und 1.000 Besatzungsmitgliedern (Pflegekräften) über die Weltmeere schippern, und morgens nach dem Bordfrühstück um 10h ihre Fracht im Hafen von La Spezia absetzen, um sie dann in 40 Bussen mit eigener Reiseleitung zu den Highlights der Toscana zu ‚schippern‘: vormittags Cinque Terre, mittags Pisa mit dem Schiefen Turm, und nachmittags noch eine kurze Stippvisite durch Florenz, bevor alle Ausflügler bis 18h das Schiff besteigen und rechtzeitig zum Captains Dinner umgezogen sind. Und während an Land und in den Häfen die Lichter angehen, die Bars und Musikkneipen zum Leben erwachen, verwöhnen die internationalen Küchenchefs an Bord ihre Passagiere mit einem köstlichen 5-Gänge Menü, und steuert der Kapitän das Hotelschiff mit bis zu 16 Stockwerken und 5.000 Passagieren durch das garantiert eisfreie Ligurische Meer an Korsika vorbei ins Mittelmeer mit Kurs auf Mallorca, um dann rechtzeitig nach 300 Seemeilen und 10 Stunden über Nacht pünktlich – nach dem Bordfrühstück – im Hafen von Palma zu landen, damit die Passagiere an diesem Tag die Sehenswürdigkeiten von Mallorca kennenlernen. Und alle Reisenden am Ende begeistert von der Vielfalt der Eindrücke das gleiche Fazit abgeben wie die Pilger und Runner: ‚Schön war’s! Nächstes Jahr wieder!

Schon der heilige Jakobus hat gesagt: Pilgern ist Beten mit den Füßen. Demnach haben Adria und ich an 10 Tagen insgesamt fast 850 km gebetet, vor allem 6.500 m bergauf (zusätzlich 200 km im Zug). Der Kalorienverbrauch lag laut Garmin zwischen 1.500 und 2.500 Kalorien pro Tag, die Pulsfrequenz im Ruhezustand bei 70/min, bei gerader Strecke um die 130 und am Berg bis auf 170 Puls/Minute.
Das Wichtigste aber: wir sind heile und ohne Panne/Platten am Ziel angekommen. Erst auf dem Weg nach Madrid, als ich mein Rad auf dem Bahnhof von Zamoa aus dem Bikesack nehmen wollte, um die restliche Strecke über Salamanca nach Madrid weiter zu fahren, stellte ich fest, dass das Plättchen (Patilla de Cambio), das die Gangschaltung am Rahmen fixiert, gebrochen war. Die erste Panne an meinem Rad (Vuelta/2Danger von B.O.C.) seit 15 Jahren.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei Bikecicletas und Bicicletas Rivero in Salamanca, die mir am Feiertag des San Juan geholfen haben und ein passendes Plättchen (kein Serienteil, es gibt mehr als hundert Varianten) aufgetrieben haben. Muchas gracias, Manola, Javi und Juanjo!
Danke auch an alle, die mich auf dieser Tour virtuell auf Facebook begleitet und unterstützt haben: meine Familie und Freunde, und alle Kontakte aus dem Ausland, auch wenn meine Berichte leider nur auf Deutsch waren: Mathieu von der Ardeche, Frederique aus Sancerre, Pierre aus Montpellier, die drei Estrellas von der Costa Brava, meine Freunde aus Malaysia C.Y. Fong, Sunny Lee aus Korea, Juttalina aus Mailand, Belkis aus Istanbul, Victor aus NL, Peggy aus Virginia und alle anderen.
Ein persönliches Anliegen habe ich noch. In Santiago traf ich eine Gruppe von Pilgern (Vater/Tochter, Onkel, Freund aus USA/Canada), die sich aus lauter Begeisterung für den Camino das Symbol des Jakobswegs – die Jakobsmuschel / concha – auf die Füße oder den Arm tätowieren ließen. Ich denke jetzt an mein 25 Jahre Messe-Jubiläum im Monat Juli und würde mich freuen, wenn die Messeleitung ihr Repertoire an Jubiläumsgeschenken mal erweitern würde. Warum nicht einen Gutschein für ein Tatoo mit dem Hermes, dem Messe-Logo? Auf ein Körperteil freier Wahl!
Wäre das nicht mal was? Nach 25 Jahren Verbundenheit für den Hermi!
Adelante, Rosinante Es grüßt Euer RaDau!

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Unabhängigkeitsreferendum Kataloniens
Spanien ist ein tolles Land, mit einer bewegten Geschichte und einer Politik, die nicht immer an einem Strang zieht. Das Thema ‚Katalonien‘ bewegt momentan alle Gemüter. Ich habe daher die Aussagen beider Seiten zusammengefasst und gegenübergestellt.
A. Die Fakten (Wikipedia)
Am 1. Oktober 2017 wurde von der Regionalregierung Kataloniens ein umstrittenes Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens abgehalten. Das spanische Verfassungsgericht hatte die Abstimmung zuvor für rechtswidrig erklärt, da die spanische Verfassung keine Abstimmungen über die Unabhängigkeit einer Autonomen Gemeinschaft vorsieht; die spanische Regierung versuchte, die Befragung mit Berufung auf deren mangelnde Rechtsgrundlage zu verhindern. Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung berief sich hingegen auf ein Gesetz, das vom Regionalparlament in einer umstrittenen Abstimmung knapp beschlossen wurde. Ein solches Referendum war ein zentrales Wahlversprechen der bei den Regionalwahlen von 2015 mit knapper Mehrheit gewählten katalanischen Regierungsfraktionen Junts pel Sí (JxSí) und CUP.
Nach der Abstimmung meldeten die katalanischen Behörden eine Wahlbeteiligung von 42,3 % sowie eine Zustimmung von rund 90 % der Wähler zu einer Unabhängigkeit. Eine unabhängige Prüfung dieser Zahlen war aufgrund der Umstände des Referendums nicht möglich. Das Referendum führte zu einer Verfassungskrise mit der einige Wochen später erfolgten Ausrufung einer „unabhängigen Republik“ und der anschließenden Entmachtung der katalanischen Regionalregierung durch die spanische Regierung sowie Neuwahlen zum Regionalparlament im Dezember 2017. Daraufhin wurden Haftbefehle für 18 führende Vertreterinnen und Vertretern der Unabhängigkeitsbewegung ausgestellt, 12 davon sitzen seit November 2017 in Untersuchungshaft, die restlichen haben sich ins Ausland abgesetzt. Der Prozess ist Anfang Juni zu Ende gegangen, ein Urteil wird im Herbst 2019 erwartet.
B. Was sagen die Katalanen, warum will / soll Cataluña unabhängig bzw. ein eigener Staat werden?
1. Die Katalanen begründen die Forderung nach Autonomie geschichtlich: von 1479 bis 1713 wurde Katalonien im Namen des spanischen Königs von Vizekönigen regiert. Mit dem Spanischen Erbfolgekrieg endete 1714 die katalanische Unabhängigkeit.
In der Zweiten Republik wurde Katalonien 1931 eine provisorische Autonomie gewährt und im Autonomiestatut von 1932 festgeschrieben. Das Statut wurde aber 1934 suspendiert und nach Ende des Bürgerkrieges gänzlich aufgehoben.
Nach Francos Tod wurde 1977 die Autonomie provisorisch wiederhergestellt, Katalonien bekam weitgehende Autonomierechte bezogen auf die eigene Sprache, im Bildungs- und Gesundheitssystem, im Justizwesen (Gefängnisse), zudem eine eigene Polizeieinheit, die "Mossos d'Esquadra".
2. Verkehrswege: Spaniens Infrastruktur ist weitgehend zentral auf die Hauptstadt Madrid ausgerichtet. Das trifft vor allem auf die Schnellbahntrassen zu. Querverbindungen auf der Schiene gibt es kaum, es fehlt vor allem die Strecke Barcelona – Valencia - Alicante, oder Barcelona – Bilbao.
Auch beim Güterverkehr werden viele Waren zentral über Madrid abgewickelt, obwohl der Hauptstrom von Südspanien über Alicante/Valencia Richtung Frankreich fließt.
3. Benachteiligung bei Infrastrukturprojekten: die erste Schnellbahntrasse führte 1992 von Madrid nach Sevilla (zur Expo). Obwohl Barcelona zeitgleich die Olympiade hatte, musste Katalonien bis 2008 warten.
Die Autobahnen in Katalonien sind praktisch alle mautpflichtig, während im Innern Spaniens und in Andalusien die autopistas weitgehend mautfrei sind.
Die Bahnhöfe, die wir in Leon, Burgos und Ponferrada gesehen haben, waren ganz neu und hochmodern, allerdings waren wir teilweise die einzigen Reisenden. In und um Barcelona sind die Nahverkehrszüge alle überfüllt, und die Technik sowie die Bahnhöfe sind veraltet.
4. Die Katalanen fühlen sich von der Zentralregierung gegängelt: viele Entscheidungen aus dem täglichen Leben müssen über Madrid abgesegnet werden, und landen in endlosen Schleifen der Bürokratie. (Beispiel Joaquin: Ersatzteilbeschaffung am Flughafen)
5. Finanziell: Katalonien erwirtschaftet etwa 20% des BIP, entsprechend hoch sind auch die Steuereinnahmen. Im Rahmen eines Länderfinanzausgleichs wird aber ein großer Teil an die Zentralregierung abgeführt.
6. Was fordert Katalonien:
- finanzielle Autonomie, wie im Baskenland und in Navarra (dort bleiben die Steuereinnahmen, und Beiträge für nationale Leistungen werden an die Zentralregierung abgeführt (zB Militär und Gesundheitswesen)
- mehr Selbstverwaltung und größere Steuerhoheit.
- vollkommene Autonomie in einem eigenen Staat!
C. Wie sehen die Spanier die Unabhängigkeitsforderung? Wie argumentiert die Zentralregierung / der König in Madrid?
1. Die spanische Zentralregierung:
In der Zeit von Oktober 2016 bis 01. Juni 2018 hieß der Ministerpräsident Mariano Rajoy, mit einer Minderheitsregierung der konservativen Partei Partido Popular PP. In Spaniens Verfassung ist die „unauflösliche Einheit der spanischen Nation“ verankert. Volksabstimmungen müssten vom Staat genehmigt werden. Da Regierung sowie Parlament ein Unabhängigkeitsreferendum abgelehnt haben, würde die Wahl in Katalonien gesetzeswidrig sein. Darauf hatte Rajoy vorher hingewiesen, und auch auf die Konsequenzen für die Regierungs- und Parlamentsvertreter. Und Rajoy hat auch entsprechend gehandelt, durch den massiven Einsatz der Guardia Civil (Bundespolizei) und durch Verhaftung der beteiligten Politiker (sofern sie sich nicht ins Ausland abgesetzt hatten).
Rajoy musste allerdings seinen Regierungs-Posten am 01.06.2018 nach einem Misstrauensvotum räumen, nachdem seiner regierenden PP-Partei massive Bestechungsskandale nachgewiesen wurden und einige hundert Partei- und Parlamentspolitiker wegen Korruption angeklagt sind. Ein Richter bescheinigte der PP-Partei im Verlauf des Prozesses Strukturen einer kriminellen Vereinigung.
2. Der spanische König Felipe:
Felipe hatte bereits direkt nach dem Referendum im Oktober 2017 seinen unbedingten Einsatz für die Einheit Spaniens, die Verteidigung der Verfassung und die Achtung des Gesetzes bekräftigt. Dabei zeigte er keine Verhandlungsbereitschaft und überhaupt kein Verständnis für die Forderungen der Katalanen. Und hat sich damit nicht zum Liebling der Katalanen gemacht.
Das Könighaus war zuletzt unter seinem Vater Juan Carlos und den nicht endenden Skandalen in Verruf geraten. Der Gipfel war die mehrjährige Gefängnisstrafe für den Schwiegersohn wegen Millionenbetrugs. Nach der Übernahme durch den Sohn hatte dieser seinen Kampf gegen die Korruption angekündigt, und seinen Vater und den Rest seiner Familie aus den Staatsgeschäften herausgenommen.
3. Die Meinung der Spanier, mit denen ich gesprochen habe:
- die Katalanen seien reine Egoisten, ohne finanzielle Umverteilung in einer ungleichen Interessengemeinschaft ginge es nicht.
- die Abstimmung über das Referendum wäre überhaupt nicht repräsentativ: nur 42,3% Wahlbeteiligung, die meisten Gegner des Referendums hätten aufgrund des Wahlverbots nicht gewählt.
- die Katalanen seien arrogant, sie haben die höchste Pro-Kopf-Verschuldung, und blicken auf den Rest Spaniens herab. Und nur um Madrid und die Spanier zu ärgern, hat Katalonien 2010 ein Stierkampf-Verbot mit Rücksicht auf den Tierschutz für Katalonien durchgesetzt (ein spanisches Gericht hat dieses Verbot aber 2018 mit der Begründung aufgehoben, dass Stierkampf ein nationales Kulturgut ist, und Kultur unter die nationale Gerichtsbarkeit fällt).
- die Nachteile für Katalonien im Falle einer Unabhängigkeit würden völlig unterschätzt:
- viele Banken und Unternehmen verlegen ihre Hauptquartiere nach Madrid oder in die Nachbarregionen;
- von der EU kommt keine Unterstützung, im Gegenteil: es ist mit einem langwierigen Beitrittsprozess zu rechnen;
- bei dem gegenwärtigen Schuldenstand würde die Kreditwürdigkeit herabgestuft, und die Kredite damit deutlich teuer;
- und was passiert mit den spannenden Liga-Duellen zwischen Real Madrid und FC Barca? Katalonien muss dann eine eigene Liga aufbauen, und FC Barcelona spielt gegen FC Girona und Club Gimnàstic de Tarragona!!!
C. Wie geht es weiter?
Entscheidend ist, wer nach Pedro Sanchez (PSOE) die Regierungsverantwortung in Spanien übernimmt, nachdem am 23.07.2019 keine mehrheitsfähige Abstimmung zustande kam. Schaffen es die Parteien nicht, eine regierungsfähige Koalition auf die Beine zu stellen, läuft es im November auf Neuwahlen (die vierten seit 2015) hinaus.
Eine große Rolle wird auch das Urteil des spanischen Verfassungsgerichts gegen führende Vertreter der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung spielen. Allerdings ist damit nicht vor Herbst 2019 zu rechnen. Wie wird die Bevölkerung Kataloniens reagieren, wenn Urteile von 10 – 20 Jahren Zuchthaus vergeben werden? Wie wird sich die Regionalregierung mit Präsident Qim Torra verhalten, die vor einem Jahr (im Mai 2018) die Zwangsverwaltung Madrids abgelöst hat? Torra gilt als enger Vertrauter von Puigdemont und ist bekannt für seinen separatistischen Kurs.
Ich kann nur hoffen, dass es bald wieder zu Verhandlungen und zu einer Annäherung der verhärteten Fronten kommt. Als Außenstehender hat man das Gefühl, es stehen sich zwei Eheleute gegenüber und sie streiten sich. Eine einvernehmliche Einigung können beide nicht allein erreichen! Dafür sind beide zu emotional, keiner vertraut dem anderen, und bezogen auf das Thema Katalonien ist im Hintergrund immer noch das Rollenspiel wie im Bürgerkrieg: Nationalisten auf der einen Seite, und Republikaner /Sozialisten /Kommunisten auf der anderen. Sie beschuldigen sich gegenseitig, und der Streit eskaliert, eine konstruktive Lösung ist nicht in Sicht. Von katalanischer Seite war vorgeschlagen worden, die Schweiz als unabhängigen Vermittlungspartner einzusetzen, was von Seiten der Zentralregierung/Präsident Rajoi 2018 kategorisch abgelehnt worden war. Ohne neutrale Vermittlung wird aus meiner Sicht der Katalonien-Konflikt nicht zu lösen sein, daher hängt alles von der nächsten Zentralregierung ab. Von Pedro Sanchez (PSOE) glaubt man, dass er sich auf einen Vermittler einlassen würde. Und auch eher zu Gesprächen bereit wäre.
Ich wünsche mir, dass die Zentralregierung ihre starre Haltung in Bezug auf die Auslegung der spanischen Verfassung aufgibt und sich zu Verhandlungen bereit erklärt. Um dann letztlich zu einem Kompromiss zu kommen, bei dem beide Lager ihr Gesicht wahren. Und ein autonomes Katalonien sichern, unter dem Dach Spaniens, und innerhalb der EU! Das wünsche ich mir.
Damit ich nicht wieder – wie vor 1986 - an der Grenze in Port Bou meinen Pass rauszuholen muss!
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Wer bis hierher gelesen hat, der hat lange durchgehalten und verdient es, dass ich jetzt zum Schluss komme. Ich könnte noch viel über das Schreiben, was in Salamanca und Madrid passierte, begnüge mich aber mit einem Dank an meine Leser, vor allem an meine Facebook-Fangemeinde, die mich von Anfang der Tour bis Ende virtuell begleitet und motiviert hat.
Adelante, Rosinante! Rainer Dorau / im Juli 2019
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