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#1329684 - 01.04.18 13:06 Südindien: Kerala und Tamil Nadu Teil 1
tonycyclesghost
Mitglied
Themenersteller
abwesend abwesend
Beiträge: 50
Dauer:7 Tage
Zeitraum:9.3.2018 bis 15.3.2018
Entfernung:300 Kilometer
Bereiste Länder:inIndien

Prolog am 2. März 2018: Munroe Island: vom Lake n River Resort zum Leuchtturm in Thangassery.

Die ersten Erfahrungen auf Indiens Straßen sammelte ich im Hinterland. Kleine Ausfahrt zu einem nahegelegenen Leuchtturm.
Das beste der zur Wahl stehenden drei Hotelräder war ausgerechnet ein Damenrad.
Pinkfarben, Marke Ladybird Shine. Natürlich ohne Gangschaltung und Beleuchtungsanlage. Und der Sattel war sehr hart und gar
nicht „Ladylike“. Immerhin: Die Bremsen funktionierten einigermaßen und die Reifen waren nicht ganz so schmalspurig. Das
Highlight: Vorne gab es einen Korb, so dass ich meinen Tagesrucksack gut verstauen konnte.




Am Vorabend hatte ich die Tour bereits auf dem Netbook geplant und auch gleich off-line auf dem Smartphone verfügbar gemacht.

Link zur Karte
Karte in Link verwandelt. Siehe auch: Fremde Texte und Bilder werden entfernt (Forum)

Die Halterung für das Smartphone hatte ich von zu Hause mitgebracht. Ich hörte das vertraute: „Log geht’s!“ der Komoot Navistimme.
Und schon war ich unterwegs. Munroe Island befindet sich in Südindien im Bundestaat Kerala. Es ist ein Lagunengebiet und besteht
aus Seen, Kanälen, Flüssen und Mangrovenwäldern. Dementsprechend gibt es viele kleine und auch größere Brücken. Linksfahren,
das andauernde Hupen und der raue, unebene Straßenbelag: Daran musste ich mich erst gewöhnen. Da der Verkehr auf den ersten
Kilometern nicht sehr stark war, war es das richtige Übungsgelände. Gleich unter der ersten größeren Brücke über einen
Fluss hatten die Fischer ihren Fang an Land gebracht und reinigten ihre Netze.



Da die Vögel auch ihren Teil abhaben wollten, ging es sehr lebhaft zu.





Auf der Weiterfahrt war der Weg plötzlich zu Ende bzw. führte direkt in den Ashtamudi-See.



Das hatte mir Komoot als Brücke „verkauft“. Die gab es zwar nicht bzw. hundert Meter weiter für die Eisenbahn. Für Fahrzeuge aller Art
war ein Fährbetrieb vorhanden. Während ich wartete, war ein Kokosnussernter dabei, mit geschickten Tritten den Stamm
einer Kokosnusspalme hinaufzusteigen, und mit zwei Schlägen einer Machete einige Kokosnüsse zu ernten. Er war dabei so schnell,
dass die gesamte Aktion nicht länger als 10 Sekunden gedauert hatte. Ich schaute mir den Stamm etwas genauer an und bemerkte
kleine Aussparungen – wie Treppenstufen – die in den Stamm eingekerbt waren. Das erleichtert den Aufstieg.








Nach ungefähr 10 Minuten kam diese rudimentäre Fähre (zwei alte Kähne, die mittels einer Querverbindung zu einer Art Katamaran
zusammengeschweißt waren) und brachte mich hinüber. Die Überfahrt kostete 7 Indische Rupien. Das sind weniger als 10Eurocent.



Das Fahrrad ist in Indien ein sehr verbreitetes Verkehrs- und Transportmittel, insbesondere bei der älteren Generation. Die Laufräder
haben 29inch. Das sollte mich noch beschäftigen…



Auf der Weiterfahrt Richtung Kollam wurde der Verkehr dichter und auch das Hupen nahm zu. Es ist nicht so zu verstehen,
dass man angehupt wird, weil man sich verkehrswidrig verhalten hat, sondern eher als Präventivsignal: Achtung,
ich fahre jetzt an Dir vorbei. Trotzdem etwas gewöhnungsbedürftig.

Je nach der Tonart konnte ich nach einiger Zeit Auto-Rickshaws, Honda Hero Mopeds, Busse und Trucks unterscheiden.
Das Allerwichtigste bei der Huperei:
Ruhig bleiben und keine abrupten Manöver. So erreichte ich ohne große Mühe den Thangassery-Leuchtturm, der von
den Engländern im Jahr 1902 erbaut wurde und über einen modernen Aufzug verfügt. Der stolze Aufzugwärter brachte mich nach
oben und erklärte mir, dass es in Indien einen Leuchtturmfeiertag gibt. Jährlich am 21. September.

Hier der Leuchtturm, der immerhin rund 40m hoch ist (Genauer gesagt 135 Fuß – Metermaße sind in Indien weniger geläufig, war mein Eindruck)



Diese freundliche Dame war an der oberen Plattform stationiert, um die Tickets der Touristen zu checken.



Der Blick vom Leuchtturm Richtung Norden zeigt das, was für Kerala typisch ist: Kokospalmen und bezaubernde Malabarküste.



Meine „Lady“ konnte ich auch von oben bewundern – sicher an einem Tor festgemacht.



Richtung Süden geht der Blick nach Kollam.



Nach einer ausgiebigen 360° Besichtigung machte ich mich wieder auf die Heimfahrt. Insgesamt hatte ich rund 35km zurückgelegt. Wie
soll ich sagen: Mein Hintern tat mir so weh, als wäre ich 100km ohne Radlerhose gefahren…


Die Idee:
Der Prolog hatte mich trotz allem motiviert, eine längere Tour zu planen. Und es waren noch einige Tage zur Verfügung bis zum Rückflug am
19.März. Die Tage nach dem Prolog (während ich noch im Paarurlaub war) nutzte ich, um die Planung für eine kleine Runde durch
Südindien zu machen. Ausgehend von Trivandrum zunächst Richtung Norden in die Western Ghats und dann südlich Richtung
Nagercoil und zum Kap Comorin (Südspitze von Indien).

Link zur Karte

Die Umsetzung:
Durch den Trivandrum Cycling Club (über Facebook Messenger) fand ich schnell einen Fahrradhändler in
Trivandrum, der auch einen Verleih hat. Am 9.März brachte ich Mrs Right zum Flughafen und fuhr anschließend zum Crank
Cycling Joint, dem besagten Shop in Trivandrum und lieh mir ein Trek-Bike aus. Es konnte losgehen und ich spürte dieses Kribbeln.



Tag1: 9.März 2018: von Trivandrum nach Palode

Eine lange Stadtdurchquerung blieb mir erspart. Da der Fahrradshop sich im Norden Trivandrums befindet, war ich schnell aus
Trivandrum raus und der Verkehr (und das Hupkonzert) nahm ab. Bereits nach wenigen Kilometern hatte ich das Gefühl,
in einer anderen Welt zu sein. Sozusagen in Indien auf dem Lande.
Es war noch Trockenzeit, der Monsun würde erst Ende Mai in den Süden Indiens kommen. Die Bauern brachten das Heu ein.
Und zwar – wie in diesem Fall - unter Ausnutzung der vollen Transportkapazität auf einem Truck der Marke Tata.




Auf der Weiterfahrt machte sich der Nachteil meines Rades bemerkbar. Ich hatte keine Möglichkeit, mein Gepäck auf dem Fahrrad zu
verstauen, da dieses Bike ohne Gepäckträger war. Auf Dauer den Rucksack zu schleppen, das war – auch wenn er nicht allzu schwer
war – trotzdem anstrengend. Tagesrucksack und Expander halfen mir, das Problem zu lösen. Einen Teil des Gepäcks fixierte ich so
unter dem Sattel und hatte dadurch etwas Entlastung für meinen Rücken.

Es war Freitag und Im nächsten Ort war eine dichte Menschentraube auf der Straße. Es waren zumeist junge Männer, die sich vor der
Moschee versammelt hatten. Ich musste absteigen. Und schon ging es los mit den Fragen. Sogar in diesem kleinen Ort sprechen die Leute
ein wenig Englisch. „You are from?“ „Your country?“ “Picture, Picture!” Ich fühlte mich wie ein seltenes Tier, dass nun – da es
schon mal da war – unbedingt fotografiert werden muss….

Es ging Reih um mit dem Bildermachen. Aber damit nicht genug. In der dichten Menschenmenge wurde mein Fahrrad genau
unter die Lupe genommen. Einige testeten die Gängigkeit meiner Bremsen, andere bearbeiteten mein Smart-Phone Display,
ja – und noch andere meinen Unterarm…

Nein, da war nichts Anzügliches, sondern eher diese scheue Neugierde, weil meine Haut so hell ist. Ich war zu diesem Zeitpunkt zwar
bereits seit 3 Wochen in Indien und leicht gebräunt, aber für die Südinder war meine Hautfarbe so völlig anders, dass sie sie fühlen
wollten. Vielleicht war ich für einige dieser jungen Muslime der erste Weiße, den sie in ihrem Leben gesehen hatten.

Nach der Fotosession wurde ich von einem rudimentär englischsprechenden Muslimen näher befragt. „Tscherrmenni“ war bereits
klar – man muss es so aussprechen, damit es verstanden wird. „Your good name?“ „Anthony“ – das verstanden die meisten. Jetzt
wurde ich mit einem halben Dutzend Namen bombardiert… „I am Hassan, My name is Mohammed, I am Tarik…..“ usw. Ich konnte
mir gar nicht alle Namen merken.

Dann fragte mich einer: „Is this a Selfie-Stick?“ und deutete auf meine Luftpumpe. Das war jetzt schon etwas überraschend. Ich machte
Pumpbewegungen, um ihm die Funktion der Luftpumpe zu verdeutlichen.

Dann die Frage: „Cost Bike?“ Ich sagte: „500Rupees“. Da waren sie etwas ratlos. Das war zu wenig für ein Fahrrad. Der Sprecher
sagte. „Very cheap“. Ich sagte: „I rent the bicycle. The rent is 500 Rupees“ Der Sprecher übersetzte und jetzt ging das Raunen los.
Ich konnte förmlich spüren, wie viel Geld 500Rupees für diese Leute sind. Für das Ausleihen eines Fahrrads einen solchen
Betrag zu bezahlen (Umgerechnet gut 6 Euro), das war schlichtweg unfassbar für sie. Das sage ich in aller Demut. Und ich fügte nicht
hinzu, dass die 500 Rupees nur für einen Tag waren. Ich spürte, dass das zu viel gewesen wäre. Im doppelten Sinne des Wortes.



Es sind diese Begegnungen, die mich zutiefst berühren, und ja – die ich nur erleben kann, weil ich mit dem Fahrrad unterwegs bin.
Unmittelbare Begegnungen. Ohne Windschutzscheibe und Gaspedal...

Weiter ging die Fahrt auf verkehrsarmen Straßen. Es gab immer wieder kleine Shops, die Wasserflaschen und Bananen
im Angebot hatten.

Der Dhoti, den diese Männer tragen, ist für einfachere Bevölkerungsschichten ein alltägliches Kleidungsstück (es kostet nur
den Bruchteil einer billigen Hose), gerade auch Männer der älteren Generation tragen ihn häufig. Und bei dem extremen
indischen Klima ist ein Dhoti allemal besser geeignet als jede noch so leichte Hose.



Wie allerdings das Geschäftsmodell dieses Supermarkts funktionieren soll, das verstand ich nicht so ganz.



Nach 33km und 620 Höhenmetern, für die ich brutto (inklusive diverser Fotosessions und Trinkpausen) mehr als 4 Stunden
gebraucht hatte, war die Kleinstadt Palode (rund 15.000 Einwohner) erreicht. Nirgends ein Hinweis auf ein Hotel… Es gab
viele Schilder, aber alle in Malayalam (Amtssprache in Kerala). Warum sollten die auch englisch - sprachige Schilder
aufstellen?

An der Ortsausfahrt legte ich eine Denkpause ein. Sollte ich weiterfahren? Vor mir lagen die Ausläufer der Western Ghats. Es ging
also bergauf. Das war nicht das Problem, denn ich fahre gerne bergauf.

Es ging um was anderes: Bei meiner letzten Tour in den Karpaten hatte ich am ersten Tag zu viel gewollt. Und innerhalb einer
Stunde sowohl mein Smartphone (und damit die Navigation) als auch das Schaltwerk ruiniert. Einige von Euch haben
vielleicht den Bericht darüber verfolgt (Von Bratislava nach Krakau).

Nach kurzer Reflexion über die damalige kleine Katastrophe wurde mir klar: Ich würde es dieses Mal ruhiger angehen
(Lessons learnt) und heute in dieser Kleinstadt übernachten.

Während ich noch so dasaß auf einer kleinen Mauer am Ortsausgang und Wasser trank, sprach mich ein Inder an. Nach den üblichen
Fragen, lud er mich zu einer Tasse Tee ein. Er zeigte auf „sein“ Bürogebäude, das sich neben einer großen, modernen – und
für diesen kleinen Ort - überdimensioniert wirkenden Halle befand.

Ich folgte ihm auf das Grundstück in sein Büro. Er setzte sich hinter seinen mächtigen Schreibtisch, bot mir den Platz davor an
und gab seinen Mitarbeiterinnen die Anweisung, mir Tee zu bringen. Ein Ventilator rotierte direkt über mir und brachte
angenehme Erfrischung. Die Freude über die Abkühlung währte nicht lange. „Power cut“ sagte der Büroleiter. Der Ventilator
kam zum Stillstand. Und statt Tee stand plötzlich ein Glas Wasser vor mir. Nirgends eine Flasche zu sehen. Keine Ahnung, ob dieses
Wasser aus einer vertrauenswürdigen Quelle kam. Ich trank es trotzdem. Es war das erste Mal, dass ich den seit drei Wochen
streng beherzigten Grundsatz: „Trinke nur Wasser aus versiegelten Flaschen.“ nicht befolgte.

Ich fragte den Büroleiter: „What are you doing here?“
„I am Convention Hall Manager!“ Er erklärte mir dann, dass die Halle eine wichtige öffentliche Einrichtung ist, die von
den Bewohnern des Ortes regelmäßig für Hochzeiten und andere Familienfeiern angemietet wird. Er kümmert sich mit
seinen Mitarbeitern um die Abwicklung. Da Hochzeitszeremonien großangelegte mehrtägige Feste mit oft mehreren
Hundert Gästen sind, muss auch der Ort für solche Feierlichkeiten groß genug sein. So, jetzt war ich in Sachen „Convention Hall“ im Bilde.

Und wechselte das Thema.
„Where can I stay overnight here?” Er überlegte kurz, und dann fiel ihm das Tourist Home von Dr. Frances ein. Durch den
Ort durch und dann rechts. Er gab Assistentin #1 – insgesamt saßen drei in verschiedenen Ecken des großen Büros –
die Anweisung bei Dr. Frances anzurufen. Kurz darauf kam Assistentin #2 mit dem Tee. Der Strom war wieder an.
Nun kam die Information von Assistentin #1: Zimmer sind verfügbar bei Dr Frances, non A/C (Ventilator) für 300Rupees (3,75€)
und A/C Zimmer für 600 Rupees (7,50€).
Wir tranken zusammen Tee, er sah mein Smartphone, stellte fest, dass er das gleiche Modell hat und jetzt nahmen wir
angefangen von Features (er hatte auch den dicken 4000mAh Akku), über den Preis (in Indien umgerechnet 30%
billiger) bis hin zu Apps und meiner NavigationsSW die ganze Themenvielfalt durch. So verging bestimmt noch eine
Viertelstunde. Da ich auf dem Weg durch den Ort – mangels Sprachkenntnissen - nirgendwo ein Restaurant bzw. ein
„Foodstall“ gesehen hatte, fragte ich ihn: „Where can I eat here?“ Er schrieb auf einen Zettel „Hotal Maharani Veg/Non Veg Food“.
Und erklärte mir den Weg vom Touristhome Dr. Frances zum Hotal.

Ich hätte gerne noch länger mit ihm gesprochen, aber ein Kunde war gekommen, und er musste an die Arbeit. Ich dankte
ihm und seinen Assistentinnen und verließ das Büro. Ein Glücksfall, dieser Convention Hall Manager. Genau zur richtigen Zeit
war ich an die Informationen gekommen, die ich brauchte. Ich fuhr also durch den Ort, fand das Tourist Home und mietete
eines der einfachen Zimmer. Es war ziemlich klein, dennoch brachte ich mein Rad darin unter. Komfort wie z.B. Wifi
oder Frühstück darf man natürlich nicht erwarten. Aber immerhin hatte ich ein Badezimmer und konnte mich
ausgiebig duschen und erfrischen.



Auf dem Land wird eine Gaststätte häufig als Hotel bezeichnet (oft auch Hotal genannt). Die eigentlichen Hotels
heißen Lodge oder auch Tourist Home. Im Hotal Maharani gab es einfachste traditionelle südindische Küche. Vom Bananenblatt
wurde ein Parotta Set serviert. Indisches Fladenbrot, das in der Pfanne gebacken wird. Und dazu Curries. Das
überraschende war, dass die Curries wieder aufgefüllt wurden, sobald ich aufgegessen hatte. So eine Art „All you can eat“
Konzept verbirgt sich hinter dem unscheinbaren Wort „Set“. Besonders lecker fand ich „Onion Raita“. Rote Zwiebeln in
einer Joghurt-Sauce. Aber auch das Gemüse in Curry-Sauce (genannt Sambar) war köstlich.



Da ich ohnehin indisches Essen liebe, fühlte ich mich bestens aufgehoben. Natürlich haben einfache Hotals keine
Ausschenklizenz für Alkohol. Kalte Softdrinks waren dagegen erhältlich. Auf dem Weg zurück zum Tourist Home kam ich an einem
Tea-House vorbei. Dort treffen sich die Inder zu einem Ratsch am Abend. Ich hatte Lust auf etwas Süßes und trat ein.
Es kam, was kommen musste… Die üblichen Fragen und die unvermeidlichen Fotos… Pradeep, der Servicemann im Teehaus
machte das erste Selfie und dann kamen auch noch andere Gäste hinzu…



Tag2: 10.März 2018: von Palode nach Shencottai


Nach kurzem Frühstück (Dosa + Chai) wieder im Hotal Maharani war ich startbereit. Gegen 8.15 Uhr machte ich mich auf den
Weg Richtung Western Ghats. Die Temperaturen waren noch annehmbar. Und es blieb zunächst auch relativ eben.

Der Bundesstaat Kerala ist in mancherlei Hinsicht untypisch für Indien. Der Anteil der Christen ist mit rund 18% sehr hoch.
In Gesamtindien sind es nur etwa 2%. Kirchen und Mariendarstellungen begegneten mir immer wieder.



Auch der Anteil der moslemischen Bevölkerung ist in Kerala hoch. Rund 27% bekennen sich zum Islam. In Gesamtindien sind es nur 14%.
Das alles geht etwas „auf Kosten“ der Hindus, deren Anteil in Kerala nur bei 55% liegt (Indienweit sind es 80%). Tatsächlich
suchte ich auf der weiteren Fahrt an diesem Morgen einige Zeit vergebens nach einem Hindutempel. Kirchen und auch Moscheen
gab es in fast jedem Ort.



Die ersten Anstiege kamen und die Sonne stach jetzt unbarmherzig herunter.



Ich befand mich etwa auf dem 8. Breitengrad Nord und im Monat März war die Sonne bereits nahe am Äquator. Diese
fast senkrechte Sonneneinstrahlung über viele Stunden – unter solchen Klimabedingungen war ich nie zuvor geradelt.
Und in den WetterApps war von 33° Grad Celsius (im Schatten) die Rede. Aber häufig war da kein Schatten…

Also immer wieder Trinkpausen im Schatten einlegen, war die Devise. Und die Wasservorräte ständig auffüllen.
Zum Glück kam alle paar Kilometer eine kleine Ansiedlung und Wasserflaschen waren überall erhältlich. Im nächsten Shop
gab es sogar eine Delikatesse. Dort wurden rote Bananen verkauft. Hatte ich nie zuvor gegessen. „Kerala specialty“
sagte der Shopkeeper. Extrem lecker! Süß, wirklich reif (nicht zu hart und nicht zu weich), und sogar etwas nußig im Geschmack.
Ideal um den Kalorienspeicher wieder aufzufüllen.



Schließlich doch ein Hindutempel. Schuhe müssen ausgezogen werden, aber barfuß verbrennt man sich leicht die
Fußsohlen. Deshalb hatte ich meine Tempelsocken dabei.




Zunächst war ich noch alleine im Tempel, doch schon bald gesellten sich mehrere Jungs zu mir. Es war Samstag und sie
hatten schulfrei. Sie fragten mich über meine Ausrüstung und das Fahrrad aus. Schließlich dann die Frage nach der
Anzahl der Gänge. Vorne 3 gear wheels und hinten 7, was macht das? Einer sagte 10. „No, they can be combined.” Kurzes
angestrengtes Nachdenken – dann fiel der Groschen. Der kleinste war der smarteste: “Twenty-one”.



Auf der Weiterfahrt kamen die ersten Serpentinen, allerdings ging es zwischendurch auch immer wieder bergab.
Ich war jetzt rund 200m über dem Meeresspiegel. Der heute zu überwindende Pass lag bei 360m ü.d.M.

Es war keineswegs überall grün, es gab auch Abschnitte, die durch Brandrodung und Neubautrassen gezeichnet waren.



In einer der Serpentinenkurven hupte mich ein Truck (AshokLeyland) mit einer tiefen Basshupe so ausdauernd an, dass ich
nicht mehr wusste, wohin ich noch ausweichen sollte. Weiter links ging nicht mehr. Doch diesem Truckfahrer ging es
um etwas anderes. Als er schließlich an mir vorbeifuhr, brüllte er unablässig aus dem geöffneten Fenster der Beifahrertür: „Hallo,
hallo, hallo!“ heraus. In seiner Stimme schwang – trotz der Lautstärke - Begeisterung mit. Westliche Radfahrer sind
wohl ein rarer Anblick – noch dazu, wenn sie sich den Berg hinaufquälen.

Irgendwann kam ich bei 320m ü.d.M. an. Noch mal eine Pause. Der Schweiß lief mir von der Stirn. Und das Salz brannte
in den Augen. Gesicht abwaschen und noch mal kräftig trinken. Dann kam der kleine Grenzübergang, Ich passierte die
Grenze von Kerala hinüber in den Nachbarstaat Tamil Nadu ohne irgendeine Kontrolle. Und kurz darauf war es
dann vollbracht. Ich war „oben“ – auf 360m ü.d.M. und der Blick ging hinunter auf den Bundesstaat Tamil Nadu.

Und was macht Tamil Nadu aus? Man kann jetzt antworten: Chennai, Pondicherry, Mamallapuram, Madurai…
Aber all die touristischen Hotspots (die ich vor Jahren bereits besucht hatte), waren diesmal unwichtig. Denn
es ging mir um Natur und Landschaft. Und wie ist die Antwort dann? Tamil Nadu ist geprägt von den schroffen Bergen
der Western Ghats und fruchtbaren Ebenen.




Jetzt begann die Abfahrt. Der Fahrtwind tat unendlich gut. Und in diesem Abschnitt gab es uralte exotische Tropenbäume.
Die Luftwurzeln waren so dicht, dass sie wie Vorhänge aussahen.



Schließlich erreichte ich die Ebene.



Tamil Nadu hat mit knapp 80% Hindugläubigen eine weit höhere Quote als Kerala (55%). Fast in jedem Ort gibt es
einen einfachen Hindutempel.



Als ich in Shencottai (einer Stadt mit 25.000 Einwohnern) ankam, fühlte ich mich ausgetrocknet. Und war so müde.
Die letzten Kilometer in der Ebene – bei praller Sonne – hatten mir noch mal zugesetzt. Gleich am Ortseingang
gab es einen Fruitstall mit großen Papayas. Der freundliche Shopkeeper zerlegte eine Frucht in kleine Stücke und
ich aß mit den Fingern. Es war so köstlich. Eine Lodge kannte er auch. Und er und sein Adjutant erklärten mir mit wenig
Englisch und viel Gestik, den Weg dorthin. Ich fand sie ohne Probleme. Kurz darauf lag ich im Bett und schlief sofort
ein. Nicht einmal das Summen der Rotorblätter des Ventilators konnte mich stören.

Gegen halb sieben, es war schon dunkel, ging ich los in den Idli-Stall, den mir der Manager in meiner Lodge empfohlen
hatte. Dort wurden mit einer einfachen Feuerstelle, Reisfladen in einem großen Topf gedünstet.



Die Basis von Idli sind Reisfladen. Kombiniert mit verschiedenen Curries. Statt Geschirr wird alles auf einem Bananenblatt
angerichtet. Ohne Besteck. Auf Nachfrage bekam ich einen Löffel. Als Getränk wird der ominöse Metallbecher mit
Wasser serviert. Da ich bisher keine Probleme damit hatte, trank ich auch dieses Mal das angebotene Wasser und auch
dieses Mal blieb es ohne folgen. Ich brauchte unbedingt noch ein kaltes Getränk. Da nirgends ein Kingfisher
(indisches Bier in 600ml Flaschen, das man in touristischen Orten findet) aufzutreiben war, gab ich mich mit einem
Softdrink in einem Döner Laden zufrieden und war schon bald zurück in meiner Lodge.



Die Komoot-Tourdaten des heutigen Tages:
72km, 1020 Höhenmeter, Zeit in Bewegung: 4 Stunden und 20 Minuten.

Tag3: 11.März 2018: von Shencottai ins Tigerreservat KMTR

Nach einem kurzen Frühstück mit Vada (frittierter Snack, den es in allen möglichen Variante gibt) und Milchtee…




…ging es weiter durch kleine Dörfer.



Es sollte ein ereignisreicher Tag werden. Mit Licht und Schatten… Zunächst ein Wort zu den Mopedfahrern.
Es liegt in der Natur der Sache, dass ich häufiger von diesen überholt wurde. Einige, meist junge Inder, blieben auf gleicher Höhe
und versuchten, mit mir ins Gespräch zu kommen. Meine Antwort war stets: “This is dangerous. Be careful. Look ahead.”
Einer der so abgewiesenen fuhr dann zwar zügig an mir vorbei, drehte aber den Kopf nach hinten und starrte mich
unentwegt an. Er sah nicht, dass 50m direkt vor ihm eine Fußgängergruppe lief. Ich fing an zu schreien und zu
gestikulieren: „Watch out. Look ahead!“ Zu spät. Dieser nachlässige junge Mann hatte zwar im letzten Moment
noch den Lenker herumgerissen, aber eine der Fußgängerinnen touchiert. Gott sein Dank ist nicht allzu viel passiert.
Die Frau hatte keine ernsthaften Verletzungen. Sie konnte wieder aufstehen. Aber einige Prellungen und Abschürfungen
blieben ihr nicht erspart.

Kurz darauf, wieder ein „Mopedfahrertreffen“. Diesmal gleich drei Mopeds mit jeweils zwei oder drei jungen Indern besetzt.
Das erste Moped schob sich auf meine Höhe und der Fahrer rief. „Please stop for Selfie!“ Irgendwie hatte
ich – auch wegen dem Vorfall gerade vorhin – keinen Bock auf Mopedfahrer. Ich sagte: „Not now. I have to move on.“
und fuhr mit ca. 25km/h einfach weiter eine schöne Allee entlang. Der Fahrer des Mopeds blieb auf gleicher Höhe, hielt
den Lenker mit der linken Hand fest, holte mit der rechten Hand sein Smartphone raus, hielt es in seine und meine Richtung,
und drückte ab. Sozusagen „Selfy on the fly“. Dann treten die Mopeds ab und der Spuk war vorbei.

Etwas später – in einer kleinen Stadt – ich war gerade dabei anzuhalten, um eine kurze Trinkpause einzulegen,
gesellte sich ein Radfahrer zu mir. Ein junger Mann, der erstaunlicherweise ein Bianchi-Fahrrad fuhr. Er stellte sich vor und
sagte, dass er heute schulfrei hat – es war Sonntag. Seine Freundin kam kurz darauf dazu. Auch sie hatte ein Markenrad. Am
überraschendsten war allerdings, dass sie beide völlig westlich gekleidet waren. Bei Frauen fällt das besonders auf, da im
Süden Indiens die traditionelle Kleidung, entweder Sari oder Tunika mit Hosen, allgegenwärtig ist. Die junge Frau erzählte,
dass sie nach der Senior High School jetzt ein Vorbereitungsjahr absolviert, um den Übertritt auf die Universität zu schaffen.
Ich sah und hörte ihr an, dass sie einen Kampf austrägt, mit sich und auch mit ihrer Schule und der traditionellen
Gesellschaft, in der sie lebt.



Nach dieser kleinen Stadt wurde es zusehends ländlich und auch einsam. Dieser Ochse hatte noch eine Schonfrist,
bevor er an den Karren musste.



Und die Wege, die mir Komoot zeigte wurden in diesem Streckenabschnitt immer abenteuerlicher….



Ich musste einige Zeit kurbeln, bevor das nächste Dorf kam. Es war nicht nur ländlich und einsam, sondern vor
allem arm und heruntergekommen. Ich fühlte mich wie in einem „Lost village“, aber will Euch diese Eindrücke nicht vorenthalten.

Verfallene Häuser und Fahrzeuge….



Eine Ziege irrte an einer heruntergekommen Bushaltestelle umher – es war wohl lange her, dass hier Busverkehr war…



Dieser alte Hindu-Tempel – mit Stacheldraht umgeben und alten Lastenkarren – wirkt hoffnungslos und verlassen.



Und sogar die Bahnstrecke scheint gesperrt zu sein…



Das nächste Dorf war freundlicher und am Ortsausgang befand sich dieser schöne Tempelteich:



Dann ging es hinaus in die schattenlose Ebene mit kilometerweiten Reisanbaugebieten und einem Grün, wie es frischer
und satter nicht sein kann. Immer wieder waren auch Kühe und Kuhreiher zu sehen. Sie leben aber nicht in Symbiose.
Es ist vielmehr so, dass nur die Kuhreiher profitieren. Der mächtige Körper der Kuh scheucht Insekten auf, die von
den Kuhreihern gefressen werden. Die Kuh hat nichts davon, die Kuhreiher schaden ihr aber auch nicht. Diese
Art des Zusammenlebens heißt Karpose.



Ein Stück weiter dann diese Schwarzsichelreiher. Sie holen Nahrung aus den etwas tieferliegenden Feuchtflächen.



Auf verkehrsarmen Straßen, die auch von Wasserbüffelherden benutzt wurden, ging es weiter Richtung Tigerreservat.



Und gegen Mittag erreichte ich dann Papanasam, wo gerade ein Tempelfest „in full swing“ war. Mit viel Getrommel wurde
gefeiert.



Ich besorgte neues Wasser und machte mich auf den Weg in das Tigerreservat, das von Papanasam direkt abzweigt.

Meine Erlebnisse im Tigerreservat, wie ich beinahe Opfer einer Makaken-Attacke wurde und mein Plattfuß-Erlebnis hinter
Panakudi – davon erzähle ich Euch im 2. Teil.



Übrigens: Alle Tracks sind in Komoot verfügbar und falls Ihr Interesse habt, schickt mir eine Nachricht.
Gruß, Tony
----------------------------------------
Always look on the bright side of life

Geändert von Juergen (02.04.18 16:48)
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#1329839 - 02.04.18 16:23 Re: Südindien: Kerala und Tamil Nadu Teil I [Re: tonycyclesghost]
Jaffa
Mitglied
abwesend abwesend
Beiträge: 59
Vielen Dank für Deinen Bericht. Ich freue mich schon auf den 2. Teil. Vor 25 Jahren habe ich mal als Studentin mit meinen Eltern (die damals als Entwicklungshelfer in Pakistan arbeiteten) den nördlichen Teil Indiens (Punjab, Radjastan, Uttar Pradesh, Uttarakhand) für einige Wochen bereist. Ich hätte auch gerne den Süden bereist, das haute allerdings zeitlich nicht hin. (Heute zählt Indien für mich als Frau allerdings nicht zu den Reisezielen mit der höchsten Präferenz... wirr)
Gruß
Etti
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#1329862 - 02.04.18 18:03 Re: Südindien: Kerala und Tamil Nadu Teil 1 [Re: tonycyclesghost]
thomas56
Mitglied
abwesend abwesend
Beiträge: 431
Danke für den lebendigen Bericht. (Süd)-Indien zählt für mich zu den Top 10 - Reiseländern. Da will ich unbedingt wieder hin.
Gruß Thomas
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#1331563 - 12.04.18 07:17 Re: Südindien: Kerala und Tamil Nadu Teil I [Re: Jaffa]
tonycyclesghost
Mitglied
Themenersteller
abwesend abwesend
Beiträge: 50
Hallo Etti,

Der zweite Teil ist in Arbeit, werde wohl nächste Woche damit fertig werden.
Ich habe früher bereits den Norden bereist (Delhi, Rajasthan, Agra, Sikri) und im Verhältnis dazu ist der Süden "einfacher". Englisch ist sehr verbreitet, auch in kleineren Orten. Und der Lebensstandard scheint mir (gefühlt) auch höher zu sein. Dazu kommt noch, dass sich im Süden die urindische Architektur (dravidisch) erhalten hat, die ja im Norden von den Moghulen gründlich platt gemacht wurde.

Und zu deinem Kommentar, dass Indien für Dich als Frau heute nicht zu den Reisezielen mit der höchsten Präferenz zählt: Leider ist es ein Volkssport für die Inder (vor allem an den Stränden) die westlichen Frauen zu "betrachten". Man hat den Eindruck, dass junge indische Männer (aber auch Frauen) nur deshalb an die Strände kommen. Ich habe junge Männer gesehen, die mit Kamera und Objektiv am Strand saßen, Touristinnen fotografierten und wetteiferten, wer die "interessantesten" Bilder gemacht hat.

Beste Grüße vom Ghostbiker
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www.bikefreaks.de