Wer in die Berge fährt, muss mit Steigungen rechnen

So, ich bin wieder da. Ich habe immer noch dicke Beine, jedoch nicht nur vom Radfahren, aber der Reihe nach. Eigentlich wollte ich am Sonntag losfahren, die Seen im Salzkammergut umrunden, ein bisschen Berge "mitnehmen" und dann gemütlich am Mittwoch in Admont ankommen, damit ich mich bis Freitag, dem Beginn des Fußballturniers einigermaßen regenerieren kann. Am Freitag vor der Abreise fiel mir ein, dass ich, wie immer seit 14 Jahren während des Semester, am Dienstagabend in der Uni mein Seminar halten muss. Das hatte ich verdrängt. (Ich war wahrscheinlich zu g... aufs Radfahren, weil ich seit sieben Wochen nicht mehr hatte fahren dürfen.) Die Konsequenz lautete also: Alles abblasen und mit dem Motorrad fahren oder am Mittwoch morgen mit dem Rad starten und so weit fahren bis Donnerstag Abend, wie es geht und dann den Zug nehmen, falls es nicht reicht. Mir war klar, dass Radfahren dann doch eine rechte Hetze sein würde. Trotzdem! Dienstagnacht alles gepackt, Mittwochmorgen in die S-Bahn nach Grafing/Stadt und um Punkt acht Uhr bin ich dann aus Grafing rausgerollt.

Vor mir lagen gut 300 Kilometer in zwei Tagen: Ich musste von A nach B und weil ich gerne Rad fahre, wollte ich die Strecke halt auf diese Weise hinter mich bringen. Dabei hatte ich aber den festen Vorsatz, zwar recht flott fahren zu wollen, mich aber auf keinen Fall komplett auszupowern, weil ich mich dann ja beim Fußballspielen blamieren würde.

Aus Grafing raus ging es über Jakobneuharting nach Rott am Inn. Radwege suchte ich keine, der Verkehr war erträglich und die Karte von Freytag & Berndt im Maßstab 1:150000 genau genug, um die kleinen Straßen zu finden. Um zehn Uhr morgens war ich dann in Bad Endorf. Sorry Flo, hätte gerne mit euch einen Kaffee getrunken, aber es war einfach noch zu früh für eine längere Pause. Und ich hätte mich ja auch erst zu euch durchfragen müssen, was ja auch aufhält. Nach zweieinhalb Stunden machte ich in Seebruck die erste, sehr kurze Pause: eine Butterbrez'n, einen Espresso und die Wasserflaschen mit Apfelschorle gefüllt. Nach nicht einmal zehn Minuten ging es weiter. Über den von Flo empfohlenen Weg über Matzing und Kammer ging es nach Waging am See und dann weiter nach Freilassing. Bis Waging hatte ich einen Schnitt von 23 Kilometer in der Stunde. Für mich ist das recht hoch. Das Problem war aber, dass ich spätestens ab Waging einen typischen Anfängerfehler gemacht habe: Bis letzten Herbst habe ich geraucht, da gab es automatisch nach einer Stunde eine Pause. Seit ich "clean" bin, vergesse ich leider, Pausen einzulegen. Vor Freilassing gingen mir zuerst das Wasser aus, dann die Körner: Ich wurde völlig schlapp. Juhu, ein Freizeitradler kann also auch einen Hungerast erleiden! Und das bei dem Bauch, wo man meinen sollte, da gäbe es genug Fett zu verbrennen.

Als ich um zwei Uhr nachmittags in Freilassing ankam, war ich platt wie eine Flunder. Der Morgennebel hatte sich verzogen, die Sonne war herausgekommen und ich hatte mich nicht eingecremt. Verschwitzt, durstig, hungrig und an den Armen ein wenig verbrannt ging es in Freilassing in die erstbeste Tankstelle. Einen Liter Apfelschorle auf ex, ein bisschen Süßwaren, ein Sandwich, Gesicht, Arme und Beine mit kaltem Wasser abgewaschen, noch einen halben Liter Apfelschorle – und schon ging es wieder entschieden besser. Auf der anderen Seite der Grenze in Salzburg gab es dann in einer weiteren Tankstelle noch einen Kaffee und ein richtiges Wurst- und Käsebrot. Die Auskunft allerdings, wie ich am besten auf den Salzachradweg käme, war völlig falsch. Ich fuhr dann halt doch mitten rein in die Stadt zum Fluss und dann rechts ab. Um 16.30 war ich wieder draußen aus Salzburg und es ging nach Hallein. Ich wollte noch so weit fahren wie es geht und mir dann eine Unterkunft für die Nacht suchen.

Hinter Hallein, kurz vor Kuchl zeigte das Schild mit dem Salzachtal-Radweg geradeaus, während es nach Kuchl nach links gegangen wäre. Von da an wurde es fürchterlich. Ich musste zum ersten Mal aufs kleine Kettenblatt runterschalten. Dann hinten auf das größte Ritzel. Es ging sehr, sehr steil den Berg hoch. Warum eigentlich? Es ist doch Blödsinn einen Radweg so anzulegen, dass Kinder und Untrainierte schieben müssen! Jeden Moment wartete ich darauf, dass es richtungsmäßig wieder nach links, nach unten ginge. Aber nein, der Weg, ungeteert und nur einigermaßen befestigt, ging stracks nach rechts den Hang hoch. Nach einer Viertelstunde machte ich eine Pause: Das letzte Sandwich wurde verdrückt und der letzte Tropfen Apfelschorle getrunken. Es musste ja gleich wieder nach unten gehen, dort gäbe es dann alles, was das Herz begehrt. Also, wieder rauf aufs Radl und weiter. Natürlich fragte ich mich, ob ich nicht zurückfahren sollte und unten die Landstraße nehmen. Aber jetzt hatte ich doch schon so viele Höhenmeter geschafft: die wären dann ja völlig sinnlos gewesen. (Tja, Hochmut kommt vor dem Fall resp. der Umkehr). Nach fast einer Dreiviertelstunde konnte ich nicht mehr. Die Steigung war die ganze Zeit über ungefähr zwischen 10 und 15 Prozent geblieben und meine Oberschenkel gaben eindeutige Anzeichen, dass es jetzt genug sei. Was tun? Schande, Schande! Ich stieg ab und schob – zum ersten Mal auf meinen Reisen. Und das, wo ich doch gerade bei dieser Fahrt flott vorankommen wollte. Nach insgesamt gut einer Stunde war ich dann endlich oben. Ich war schon vorbei an der dortigen Jausenstation, als eine Frau aus dem Stall kam und über den Hof ging. Es war also doch Leben in der Bude, obwohl die Stühle und Tische auf der Terrasse alle hochkant gestellt waren. Ich drehte um, fragte nach Apfelsaft bzw. gespritztem Apfelsaft und trank auch da gleich wieder einen Liter auf ex. Auf meine Nachfrage, wie denn hier der Radweg Richtung Süden, also Richtung Golling weitergehe, hat mich die Bauerntochter nur verständnislos angeschaut. "Wieso, wenn Sie hier weiterfahren, dann kommen Sie nach Hallein." "Aber da komme ich doch grad her, ich will doch in die andere Richtung!" "Ja, da hätten Sie unten im Tal links nach Kuchl abbiegen müssen." "Ja, zefix, ist das hier nicht der Salzachtalradweg?" "Nein, warum? Wie kommen Sie denn darauf? Das ist der Rundweg über unsere Jausenstation von Hallein nach Hallein. Wenn Sie nach Golling wollen, müssen Sie wieder runter." "Haben Sie für heute Nacht noch ein Zimmer frei?" "Moment, ich frag mal die Mama." Ich war zu erschöpft, um richtig wütend zu sein. Ich hatte das Radwegschild falsch interpretiert und dann meinen Fehler nicht einsehen wollen. Schön war es ja hier heroben. Und billig auch, die Übernachtung mit Frühstück sollte mich letztlich nur 17 Euro kosten. Blöd war nur, dass es fast nichts zum Abendessen gab außer Wurstbrot und Rühreier mit Speck, die allerdings sehr gut schmeckten. Kein Wunder, bei der Anstrengung. Ich ging dann mangels weiterer Ablenkung bereits um kurz nach halb zehn ins Bett. Geschafft waren da gerade mal 145 Kilometer – es wären locker 20,30 mehr drin gewesen.

Am nächsten Morgen war ich um halb neun wieder unten an diesem Radwegschild. Ich habe es photographiert, um meine eigene Dummheit zu dokumentieren. (Aber es ist wirklich ein bisschen zweideutig.) An diesem Donnerstag war Fronleichnam und deswegen auch recht wenig Verkehr unterwegs. Es waren aber auch alle Geschäfte geschlossen, was die Wasser- bzw. Essensfrage nicht leichter machte. Der Radweg hieß jetzt Tauernradweg und schon bald war der Pass Lueg erreicht. Oh Gott, ein Paß! Auf der Karte fanden sich aber keine Steigungsprozente und keine Höhenangaben. Warum auch, nach 20 Minuten war die kleine Anhöhe erreicht und es ging wieder gemütlich der Salzach entlang Richtung Süden. In Werfen gönnte ich mir um elf Uhr einen Apfelstrudel mit Sahne und einen Capuccino, weil ich nicht wieder den Fehler vom Vortag machen und zu lange ohne Pause auf dem Rad sitzen wollte. Denn schon bald käme ja das, wovor ich den meisten Respekt hatte, weil ich nicht wusste, was da auf mich zukommen sollte: der Weg rauf nach Radstadt, also weg vom Salzachtal und rüber ins Ennstal.

Aber es war alles völlig harmlos. Mit 12 bis 15 km/h ging es diese gut 300 Höhenmeter hinauf, die sich da auf 20 Kilometer verteilten. Ich glaube, es war Nachmittags um zwei, als ich Radstadt links liegen ließ und von jetzt an nur noch die Enns flussabwärts über Schladming und Liezen nach Admont rollen wollte. Die paar Kilometer werde ich jetzt auch noch schaffen, nahm ich mir vor. Etliche Kilometer nach Schladming hatte ich die Schnauze voll, aber schon so was von voll. Anstatt flussabwärts ging der Radweg ständig irgendwelche Steigungen hinauf. Wenn man als Genussradler unterwegs ist und keine Kilometer machen möchte, kann einem das ja egal sein. Mir nicht! Es ging rechts die Talwand hoch ins nächste Dorf. 100 Meter nach dem Dorf schoss man runter ins Tal, überquerte das Tal und kletterte auf der anderen Talseite ins nächste Dorf am Hang, um dort dann mitten in der Ortschaft wieder nach unten zu brettern, wieder auf die andere Talseite, wieder den Berg hoch... Jeder Bürgermeister wollte den Radweg durch sein Kaff geführt haben: Vielleicht bleiben ja doch ein paar Radler über Nacht oder kehren zumindest ein!

Wütend auf mich selbst wegen gestern abend und wütend auf die Radwegplaner und wütend sowieso auf alles in der Welt hab ich dann die Bundesstraße genommen. Schau an! Kein Verkehr und ab und zu sogar ein Radweg nebenan. Um sechs Uhr war ich in Liezen. Dort das Schild: "Admont - 22 Kilometer". Und ich dachte, das wäre jetzt nur noch ein Katzensprung. Noch einmal einen Erdbeerbecher (garniert übrigens mit den wunderschönen Klängen einer spanischen Gitarre, weil der italienische Eisdielenbesitzer jede freie Sekunde zur Gitarre griff und spielte) und, nein, einen Almdudler. Dort von der Terrasse der Eisdiele aus sah ich, dass heute scheinbar die Deppen Ausgang hatten. Von einem Parkplatz gegenüber schoss alle 30 Sekunden ein tiefergelegter Golf/Suzuki/Subaru etc. heraus: brüllender Motor, durchdrehende Räder und den ersten Gang voll ausdrehend bis zur Ampel in 50 Metern, dann volle Kanne abbremsen und mit leichtem Powerslide rum um die Kurve. Je breiter der Reifen umso schmaler der Verstand – und das waren jedes Mal mindestens 245er. (Mein Gott, war ich früher auch so? Ich fürchte ja.) Mir machten diese Buben jedenfalls genug Angst, um doch wieder den Radweg nach Admont zu nehmen. In der Hoffnung, dass er einigermaßen die Direttissima entlang geht, was er aber leider nicht so ganz tat.

Um halb acht Uhr abends war ich dann in Admont, nach ziemlich genau 310 Kilometern. Ich war ziemlich kaputt, als ich dort ankam. Und dann musste ich feststellen, dass Schloss Röthelstein topographisch genau dort liegen sollte, wie der Name es versprach: Ein Schloss liegt immer(!) hoch oben am Hang und nicht unten im Tal. Nach einer guten halben Stunde bergauf war Ende Gelände für mich. Keinen Meter mehr wollte ich hochfahren. Also, Handy raus, die Freunde angerufen und gefragt, was zu machen sei. Die meinten, sie wären eh alle unten in Admont in der Jugendherberge und am feiern, ich solle doch dorthin kommen, irgendeiner von denen, die auch oben im Hotel übernachten, würde mich dann in der Nacht schon mitnehmen, das Rad könnte ich ja in der JuHe lassen.
Also, die ganzen schönen Höhenmeter wieder weggeworfen und runter ins Tal nach Admont. Aber es war ja klar: Wer in die Berge fährt, muss mit Steigungen rechnen.
Nachtrag. Ich würde es wieder machen, auch unter so knappen zeitlichen Bedingungen. Ich würde früher den Radweg verlassen und mehr Pausen machen, sodass ich dann bei "unüblichen" Steigungen vielleicht doch das Hirn einschalten und umkehren könnte. Insgesamt wäre die Stecke auf diese Weise sicherlich um gut zwei Stunden schneller zu bewältigen gewesen. Am zweiten Tag war ich fast zehn Stunden im Sattel gesessen, denn der Durchschnitt war auf 17 km/h gefallen.
Nachtrag zwei. Beim Turnier wurden wir großartiger Dritter. Ähem, von vier Mannschaften. Ich selbst hatte auf dem Spielfeld einen Aktionsradius von der Größe eines Bierdeckels. Jeder Schritt tat weh und kostete Überwindung. Ja, und blamiert habe ich mich schon auch. (Aber, wer es genau wissen will: Ich habe immerhin aus 35 Metern ein Tor geschossen. Weil ich nämlich wie weiland ein gewissser Norbert Dickel vom BVB zu kaputt war, um den Ball stoppen zu können und deshalb einfach draufgehalten habe.) Am zweiten Turniertag konnte ich fast nicht mehr normal geradeaus laufen. Selber Schuld, erwarte kein Mitleid. Habe es nur aus Chronistenpflicht noch erwähnt. Die Rückfahrt war dann beim Michi im Auto: ein Kombi, das Rad lag hinten drin. Heute bin ich schon wieder auf Arbeit. Aber irgendwie doch müde und schlapp. Komisch, gell?