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#1362465 - 13.11.18 20:10 Alpes Occidentales „PACA“
veloträumer
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Beiträge: 17.178
Dauer:1 Monat, 8 Tage
Zeitraum:15.6.2017 bis 22.7.2017
Entfernung:2691 Kilometer
Bereiste Länder:frFrankreich
itItalien

Ein Duft von Durchsonnung
Beschirmt, was aufblühen will

René Char


Tour des Alpes Occidentales „PACA“

Marseille – Calanques – Luberon – Vaucluse – Verdon – Sisteronais – Guillestrois – Écrins – Queyras – Embrunais – Alpi Marritime – Mercantour – Préalpes d'Azur – Paillons – Nice

Blauazur & Ockerfels, Lavendelduft & Schluchtenparaden, Lärchengrün & Gletschereis, Geschmacksexplosionen & Kunstgenuss, multikulturelle Stadtkultur & einsame Bergvölker, Zeitenspiegel von Erde & Mensch – Entdeckerblicke zwischen mediterraner Luxusküste und majestätischen Alpengipfeln im Südosten Frankreichs

Zeitraum: 15.6.-22.7.2017 (38 Tage, ohne An- & Abreisetage)
Distanz: 2691 km (71 km/d)
Anstieg: 49115 Hm (1293 Hm/d, 1826 Hm/100 km) – barometrisch gemessen
Fotos (hier präsentiert): ca. 1270

Digitalspur (in GPSies nachgebaut): Alpes Occidentales PACA





Inhaltsverzeichnis
(mit Direkt-Links zu den jeweiligen Kapiteln)

E-1 Touridee & Geografie

E-2 Nicht-okzitanische Randerscheinungen

E-3 Mußestunden vor und nach der Reise: Kartenspiele, Lektüren und Ohrenschmaus

PACA-1 Pays Marseillais mit Parc National des Calanques, Massif de la Sainte-Baume & Montagne Sainte-Victoire

PACA-2 Vaucluse mit Parc Naturel Régional du Luberon

PACA-3 Basse Durance mit Gorges/Parc Naturel Régional du Verdon

PACA-4 Sisteronais mit Montagne de Lure & Géoparc de Haute-Provence

PACA-5 Haute Durance mit Guillestrois & Parc National des Écrins

PACA-6 Parc Naturel Régional du Queyras & Embrunais

PACA-7 Haute Ubaye & Valle Stura mit Alpi Marittime

PACA-8 Alpes Marittimes & Haut Verdon mit Parc National du Mercantour

PACA-9 Parc Naturel Régional des Préalpes d’Azur

PACA-10 Pays des Paillons & Niçoise




Fortsetzung folgt
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Geändert von veloträumer (21.11.18 20:26)
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#1362466 - 13.11.18 20:13 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
veloträumer
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Beiträge: 17.178
E-1 Touridee & Geografie

Diese Radtour ist für geübte Geografen recht schnell umrissen. Sie verläuft durch die äußerste Südostregion Frankreichs, auch offiziell genannt PACA (= Provence-Alpes-Côte-d’Azur). Davon ausgeklammert der nicht mehr alpine Teil im Westen um die südliche Rhone und das Rhonedelta, ein alpiner Nordweststreifen und im Süden das Department Var. Dieser so eingegrenzte Teil deckt sich wiederum mit den Okzitanischen Alpen innerhalb des heutigen Frankreichs, abzüglich eines schmalen Streifens im Norden, der südlich einer Linie zwischen Col den Montgenèvre, Briançon und Grenoble anzusetzen ist, die die nördliche Grenze des alten Okzitaniens bildet (etwas weiter als die PACA-Region reicht) – jener südfranzösischen Gebiete, die sich einst vom Norden, dem Gallien, aus dem das heutige Französisch stammt, deutlich unterschieden in Kultur und Sprache(n).



Ganz so einfach war die Wahl der Tourregion jedoch nicht. Die schlichte Inspiration stammte vom Blick auf die Karte Okzitaniens, als ich im Vorjahr im Campingbistro in Ponte Mármora saß. Dieses Wandbild regte meine Neugier weit mehr als das anstehende public viewing des EM-Fußballspiels Italien gegen Deutschland, welches ich anschließend bei schmerzenden Knien und Hustenanfällen, die ich erfolgreich mit Génépi-Bonbons besänftigen konnte, willentlich verschlafen habe. Vermutlich träumte ich von Okzitanien und war ja auch mittendrin.

Wie dem auch der Anekdote sei, hatte ich zunächst noch andere Tourvarianten, etwa der gesamten historischen Region Okzitanien eine Linie abzugewinnen oder aber auch an PACA die seit 2016 offizielle Region „Occitanie“ noch anzuhängen – eine Fusion der ehemaligen Regionen Languedoc-Roussillon und Midi-Pyrénées. Besonders gelungen ist das Konstrukt allerdings nicht, missachtet es weiterhin die Ausdehnung der historischen Region Okzitanien im Westen wie im Osten. Kein Wunder, dass man sich für Occitanie noch ein weniger verfängliches Hilfsattribut als Untertitel mit „Pyrénées-Mediterranée“ leistet. Viel Planspiel im französischen Verwaltungsapparat, weniger historische, geografische oder kulturelle Kohärenz. Beide erweiterten Okzitanien-Routen hätten meinen Zeitrahmen deutlich gesprengt, sodass sich schnell die Verkürzung auf den Südostalpenraum herausschälte.

Eine topografische Karte mit geografischen Namen und Orten, aber auch den Natur- und Nationalparks eingetragen findet sich z.B. hier. Leider fehlen dort die Einträge der noch jungen Parks Calanques und Préalpes d’Azur. Gröber strukturiert, dafür mit allen Naturparkeinheiten kann man sich das auf dieser Karte veranschaulichen. Wer sich grob übersichtlich an den Verwaltungseinheiten orientieren möchte, sollte noch einen Blick auf die Department-Karte werfen.

Weiterhin sei gesagt, dass ich hier Alpes Maritimes als geografischen Begriff für Seealpen (inkl. einem ital. Anteil) als Gebirge verwende und nicht in den Grenzen des Departments. Genau betrachtet enthält das Department Alpes-Maritimes nämlich drei Kapitel meiner Reise, entweder in Gänze oder zu großen Teilen. Der geografische Begriff Seealpen hingegen wird zuweilen auch auf die Gebiete Préalpes d’Azur und Pays des Paillons bis nach Nizza hin ausgeweitet, hier aber in dem Bericht voneinander getrennt und als Seealpen i.e.S. verstanden, sprich auf die hochalpinen Teile bezogen. Generell verwende ich einen erweiterten Alpenbegriff gegenüber der Alpenkonvention. Nach Alpenkonvention zählt Nizza samt einem schmalen Streifen ebenso nicht zu den Alpen wie der südliche Hinterlandbauch der Côte d’Azur bis nach Marseille (u.a. Esterel, Maurenmassiv, Ste-Baume, Ste-Victoire) – also auch nicht meine ersten Kapitel südlich des Durance-Bogens. Kapitel 9 (Préalpes d’Azur) hingegen fällt wiederum fast in Gänze in Alpenkonventionsbereich. (Zu weiteren definitorischen Problemen des Alpenraums sei u.a. auf Werner Bätzings Alpen-Buch verwiesen, bereits in meinem Piemont-Bericht vorgestellt.)



Das Okzitanische, manchmal fälschlich mit dem Einflussgebiet der Katharer gleichgesetzt (sie waren nur eine Gruppe in der Region und auch enger begrenzt), regt seit Jahren mein Gedanken an. Es ist ein Geist von charmanter Urwüchsigkeit, ein Geist freien Denkens und von Freizügigkeit, ein Geist freundschaftlicher Gesinnung dem Fremden gegenüber, ein Geist von regionaler Verankerung trotzdem. Die Bescheidenheit eine Tugend – und doch ein Geist, der nicht auf Genüssliches und Lebensfrohes verzichtet. Das Schalkhafte, manchmal Rätselhafte der okzitanischen Bergvölker wird nicht selten mit geübter Kunstfertigkeit in schmucke Dekors, Spielzeuge, Bauwerke und Aquarelle hineingearbeitet. Die dezente Zierde treibt dem Besucher immer wieder ein Schmunzeln in sein Gesicht – so wird es jeder Wanderer in Ceillac oder St-Véran empfinden, wenn er sich morgens auf den Weg in die Berge macht oder abends müde aus ihnen zurückkehrt.



Und jede Blume Okzitaniens ist auch ein blühendes Licht seiner Menschen, die Felsenwelten nicht selten ein leuchtender Spiegel der warmen Sonne – wahrlich hier auf dieser Tour mehr als eindrucksvoll oft und duftend in Lavendel getaucht und die Kulissen in Ockertönen gemalt und modelliert (Vaucluse/Luberon). Gewiss, in dieser betörenden Landschaft hat sich der Mensch nicht versagt, gleichfalls einige der schönsten Postkartendörfer zu zaubern – meist aus dem selben Stein geschlagen, der seine Umgebung hergibt – also mal in Rottönen, dann mal wieder in Graustein oder gar fast weiß. Gar nicht mal so alt sind die archaisch anmutenden Trockenmauerwerkhäuser – häufig in Rund- und Eiformen angelegt, die als Borie bekannt sind. Der Lavendel reicht überraschend von fast Meereshöhe bis nicht selten zu Plateaus auf um die 1000 m Höhe, ein Schwerpunkt hier etwa um die Nougat-Kapitale Sault – kaum kontrastreicher könnte das Farbenspiel zum gleißend weißen Mont Ventoux sein, an dessen Fuße sich leidenswillige Radpilger sammeln. Nicht weniger ächzte ich in der Sonne auf der Umfahrung seiner Südflanke, nicht nur hier der Luberon reich an Schluchtkathedralen, dessen eindrucksvollste, die Gorges de la Nesque, eine davon auf der Tour.



Als wäre es eine Offenbarung, liegt zuweilen auch die Erdgeschichte offen zur Oberfläche gekehrt, vereint sich mit der Zeitgeschichte des Menschen über Jahrhunderte, mehr noch über die Jahrmillionen. Damit ist ein weiterer Höhepunkt genannt, der UNESCO Global Géoparc de Haute-Provence. Auch hier finden sich Steineier – jedoch als Kunstwerke in die Landschaft gestellt und als Symbol für den Aufbau und Zerfall des Natürlichen zu verstehen, dem Lauf der Zeit. Die Straße der Zeit „La route du temps/The Road of Time“ wurde dann zu einer der geistreichsten Entdeckungen der Reise – Natur und Zeitgedanken zueinander zu binden, wie ich es nur wenige Monate zuvor bereits auf Jura-Reise durch das Pays Horloger getan hatte – als hätte ich diese Entdeckung vorausgeahnt.



Das Silberband der Durance mit einigen Naturkuriositäten des Guillestrois entführte mich im Norden bis zu den ewigen Eiswelten der Drei-bis-Viertausender des Écrins-Massivs, in den Seitentälern wohl ebenso dem Gros der Reiseradler unbekannt wie die panoramareichen Stichtäler aus erodierten Felshalden und leuchtenden Lärchenhainen im Land der Sonnenuhren, dem Queyras – sogar eine unmittelbare Schnittstelle mit dem piemontesischen Okzitanien des Vorjahres, etwa mit dem Monviso-Land, diesmal aus der Perspektive von Abriès/Ristolas aus. Hoch hinaus ist nur ein Tribut für St-Véran, das mit 2042 m als höchst gelegene Gemeinde Europas gilt, denn gleichwohl darf man den Ort auch als eine urige Open-Air-Bergkneipe mit skurrilen Bewohnern verstehen.



Das Embrunais markierte sodann eine recht herbe Schotterhürde mit dem Col de Valbelle einerseits und dem Col du Parpaillon andererseits. Letzterer genießt mit seinem dunklen, triefnassen Schottertunnel eine schon etwas mythische Bedeutung unter Radlern, eher aber schon ein Reservat für Mountainbiker – möchte ich den Weg nicht umgekehrt gefahren sein, weil dann unbezwingbar. Die Landschaft darf man als herausragend bezeichnen, wenn auch nicht ganz auf dem Niveau der Schotterwege MSKS und LGKS des Vorjahres. Dem Queyras sehr nahe kommt nochmal nicht nur geografisch das obere Ubaye-Tal mit einer gastlichen Hüttenwirtschaft, einer besonders seinem Geiste gerecht werdenden okzitanischen Sackgasse, für Wanderer gleichwohl ein idealer Anschlussweg zum GTA auf italienischer Seite – etwa ins Valle Máira.



So sind wir weiter bei dem Gedanken, mit dieser Tour nicht nur das französische Gegenstück zur Vorjahrestour im Piemont zu weben, sondern beides auch miteinander zu verknüpfen, ohne dass die Anzahl der Grenzübertritte nach Italien häufig waren – genau genommen nur mit einem Exkurs. Dieser führte gleich nochmal auch auf die Spur des GTA, Leitlinie des Vorjahres, ins Valle Stura – diesmal nur weit oben, aber doch auch zu einem alpinen Außenposten der Slow-Food-Lokalitäten mit okzitanischer Küche – in Sambuco. Und als wäre es mehr als ein Zufall, senkte sich auf piemontesischem Gebiet erneut ein Teufelsdonner über mein Haupt und zwang mich zu einer zwiespältigen Zuflucht bei der höchst gelegenen Wallfahrtskirche in Europa, der Santuario di Sant‘ Anna. (Ein schon fast einmaliger Einbruch des sonst überwiegend hochsommerlichen Reisewetters.)



Zwiespältig auch deswegen, weil die Fortsetzung der Route nächsten Tags mir einen diesmal zwar nicht leiblichen, aber doch materiellen Schaden zufügte, derweil ich eine nicht fahrbare Piste gegen alle Vernunft herumhoppeln wollte, obwohl die Himmelszeichen es doch herunterriefen: „Lass es sein!“ Den ruppigen wie furtenreichen (und erlaubten) Übergang mitten durch den Nationalpark Mercantour vom Retortenskiort Isola 2000 ins Vallée de la Vésubie bezahlte ich mit einem Kameradefekt, der zwar nach der Reise auf Garantie repariert wurde, mir aber auf der Reise eine zusätzliche Exkursion nach Nizza bescherte (wo ich ohnehin die Reise später beenden wollte), um an eine (auch nicht billige) Ersatzkamera zu kommen, die dann beim abschließenden, erneuten Nizza-Besuch ihrerseits ein leidvolles Schicksal erleben musste.



Mit dem Stichwort Nizza sind gleich zwei weitere Schwerpunkte der Reise genannt. Neben dem Niçoise mit dem Paillons in der nördlichen Achse bis zum Vésubie-Tal, hob ich weitere Nischenschätze im Westen im Parc Naturel Régional des Préalpes d’Azur. Beide Bereiche sind in weiten Teilen derart einsam, wie man sie in der Nähe einer weltbekannten Meer- und Kulturstadt des gehobenen Bürgertums und einer überbevölkerten Steueroase (Monaco) nicht vermuten würde – auch immer reich an Entdeckungen mit gumpenreichen Schluchten und kühnen Adlernestern. Schon deutlich betriebiger, aber nicht weniger sehenswert fügen sich pittoreske Künstlerorte an den meernahen Fußangeln dieser Routen hinzu. Dort wabern nicht nur Kunstgenüsse, sondern auch exquisite Geschmacksmomente aus der bombigen Konzentration von Fruchtaromen bis hin zu zuckersüßen floralen Kristallisationen von Violettes und Rosenblättern.



Das ungeplante Intermezzo nach Nizza unterbrach etwas den alpinen Anschluss der Seealpen vom mittleren Nationalpark Mercantour an den westlichen Parkteil – wenn man so will auch eine Fortsetzung (des Ostzipfels) aus dem Vorjahr. Ich werde hier im Bericht diesen Unterbruch abmildern, indem ich den zweitägigen Exkurs nach Nizza unchronologisch dem Schlusskapitel zuschlage, um die geografische Typik nicht zu sehr durcheinander zu würfeln. Zudem zerschneide ich die Seealpen in den italienischen Teil (bis zum Kameradefekt bereits auf frz. Seite) und dem französischen Teil, wobei nur letzterer auch Nationalparkgebiet beinhaltet. Damit kann ich zudem nochmal den besonderen okzitanischen Charakter unterstreichen, der sich vom oberen Valle Stura weithin auch ins Haute Ubaye ergießt. Dieses wortwörtlich grenzüberschreitende Kapitel verbindet dann Teile der Cottischen Alpen mit denen der Seealpen, was der Typik des Valle Stura entspricht, dass diese beiden Alpenregionen unterteilt.



Die Aufteilung des Mercantour-Nationalparks muss man sich auf einer Karte anschauen, da er eine verwinkelte und gestreckt schmale Ausdehnung besonders auf einer Ost-Westachse hat, die nur schwer zu beschreiben ist. Verschiedene der recht bekannten, großen Westalpenpässe verlaufen mitten durch den Park, der westlichste dieser Pässe (in der Randzone) ist der Col d’Allos. Während viele 2000er-Pässe in den Alpen auch immer für nahe gelegene Seen bekannt sind, befindet sich hier der Lac d’Allos weit abseits des Passes, nur über eine separate Stichstraße von der unteren, südlichen Passstraße aus anfahrbar und deswegen auch wiederum abseits der üblichen Tourenradlerwege. Als höchst gelegener Alpensee bei vergleichbarer Größe wurde er zu einem Krönungsmoment des Verdon-Gebietes, was ich abends noch mit einem Feuerwerk feiern konnte. Der Zufall wollte es so, es war mal wieder Nationalfeiertag, wie nicht gerade selten auf meinen Frankreichreisen.



Der Verdon, als Schlucht weltbekannt mit seinem gigantischen Canyon im Mittellauf, schon fast eher Unterlauf, markierte weitere, gleich mehrere Schnittpunkte meiner Reise. Nicht zufällig grenzen und überschneiden sich mehrere Naturparks dort. So ragt der Géoparc de Haute-Provence in den regionalen Naturpark Verdon hinein und beide Teile habe ich dann auch in unterschiedlichen Regionalblöcken befahren oder tangiert – erweist sich sonst die Beradlung der Gebiete streng nacheinander als zu kompliziert. Die meisten Verdon-Abschnitte waren bereits schon mal Reiseziele, im Unterlauf der Lac d’Esparron auf einer Autoreise in weiter Vergangenheit, der Lac de Castillon schon zweimal zuvor auf einer alpinen Radroute und der Grand Canyon einer der Höhepunkt meiner ersten (Teil-)Alpenradreise überhaupt im Jahre 2002 – damals die Süduferroute. Da wartete folglich noch die Ergänzung mit der Norduferseite, wobei die Bezeichnung „Ufer“ eine recht verzerrte Bezeichnung ist, handelt es sich mehr um Süd- und Nordkamm der Schlucht, derer sich recht anspruchsvoll bergige Hochebenen anschließen. Ufer findet hier eigentlich nur der Kanut und Paddler vor – weit unterhalb der Straßenführung.



Nirgendwo scheint ein fast ganz vergessener Gebirgszug reinzupassen, die Montagne de Lure. Die Querung mit einer Straßenhöhe von immerhin 1750 m ist so etwas wie der unbekannte Bruder zum Mont Ventoux ob seiner eigenartigen, kargen mondlandschaftlichen Gipfelumgebung mit einer seltenen Pflanzenwelt, gleichwohl auf der Kuppe mit einem Observatorium bestückt. Die ebenso fels- wie waldreiche Verbindung zwischen Luberon und Sisteron ließe sich zweifelsohne auch weit weniger mühsam und schneller entlang der Durance umfahren, was aber Frevel wäre für den Anspruch einer Entdeckertour.



Bleibt in der Übersicht fast nur noch eine Felslandschaft hervorzuheben, deren Beradlung nur bedingt möglich ist, zum Teil wegen der bizarren Topografie und nur MTB-gerechter Wege, sogar mehr noch nur per Wandertrail, aber doch auch per Stichpisten mit recht proper fahrbarem Untergrund, jedoch strengen oder unübersichtlichen Restriktionen unterlegen – weniger wegen der Feuergefahr (die auch dann als Fußgängersperre wirken kann), sondern mehr wegen der Konkurrenz zum Fußvolk selbst. Die Rede ist von den Calanques, jener kalkweißen Fjordlandschaft im Osten von Marseille – mittlerweile zum Nationalpark erhoben –, die am besten vom Wasser aus erreichbar ist und neben schmalen Standbuchten inmitten majestätischer Felswände insbesondere an marinem Leben reiche Tauchgründe in schillernden Farben zu inszenieren weiß. Blieb der Exkurs bescheiden und nichtsdestotrotz beeindruckend, hätte es wohl sicher noch 1-2 Tage nichtradlerischer Muße zu Fuß und zu Strand gebraucht, wenngleich ich auch hier auf die bereits o.a. Autoreise zurückdenken kann.



Calanques und Luberon sind mitnichten direkt einander angrenzend, sodass weitere eher unbekannte Bergketten zu überwinden waren, die – hier kaum noch als überraschend zu vermerken – mit weiteren Landschaftspreziosen aufwarten konnten. Die Chaîne de la Ste-Baume brachte Eichenwälder und leuchtend gelbe Ginsterhänge ins Auge, hinterlässt im Norden des Höhenzuges ein Hochplateau, ähnlich zäh zu fahren wie das andere Hochplateau mit mehr geordneten, fast schon soldatisch aufgestellten Korkeichenlegionen, bekleidet zu Fuße der Montagne Sainte-Victoire. Hier wie dort öffneten zudem weitere Schluchtschönheiten ihren Schlund, während eine dritte Hochebene zur unteren Luberon-Durance hin eine englisch anmutende Parklandschaft mit geschnittenen Tierskulpturen einen Heckenhumor versprühte – inmitten von Hofgütern feinen Weines und Olivenöls, was aber auch nicht den Tagesabschluss mit einer verkohlten Pizza verhindern konnte. Denn nicht längst ist jeder Fleck im Luberon ein Hort von Luxustourismus oder großer Betriebigkeit. Damit sei der Kreis der gerafften regionalen Übersicht mit landschaftlichen und kulturellen Delikatessen geschlossen. Wer mehr lesen und schauen möchte, findet nach den Literaturhinweisen die Erlebnisse und Beschreibungen in 10 Regionalkapiteln, zum jeweiligen Ende mit je einer ausgiebigen Fotogalerie.

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Geändert von veloträumer (19.11.18 20:51)
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#1362467 - 13.11.18 20:15 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
veloträumer
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E-2 Nicht-okzitanische Randerscheinungen

Wir wollen aber nicht übersehen, dass der moderne Mensch, der als Pendler oder Geschäftsmodellagrarier in die Hinterwelten eindringt und sich niederlässt, manche Kultur vertreibt, die er nicht mehr schätzt und kennt. Die Hochkultur eines allzu eitlen wie exklusiven Kunstbetriebes ist dabei ein wenig mit im Boot der Vertreiber. War der Südostfranzose auch immer bekannt dafür, ein wenig ungehobelt und unfreundlich zu sein – das Geld der Reichenküste und Provence-Edelaussteiger ihm zu Kopfe gestiegen – so breiten sich die ins Land getragenen Missgünste mit modernen Ängsten gegenüber dem Fremden immer mehr aus. Überall scheint ein Feind zu lauern, die Diebe, die Immigranten. Die vertrauensbildenden Dorftreffpunkte sterben zugunsten einer urbanen Siedlungskultur, die ihr Essen nur noch aus großen Supermärkten herankarren und zum Vergnügen sich abends in die Fun-Meilen an der Küste stürzen – die Bergdörfer dahinter zur tresorartigen Schlafstätten entlebt.



Der Landbewohner bewaffnet sich, Beißhunde werden auch mal öfters nicht mehr angeleint und der Wein- und Pfirsichbauer verteidigt sich mehr und mehr mit Schießeisen. Die Feinde sind – auch das der Wahrheit kaum zu leugnen – nicht vorhanden und die Ängste diffus (es kommt mir bekannt vor). Aber Le Pen macht Stimmen (ich diskutierte mit einem Campinggast). Interessant ist, dass die mir zugedachten Aggressionen nicht von den verdächtigen gehandelten Personenkreisen kamen – nicht mal in Nizza oder Marseille –, sondern eher von der Gegenseite, die vorgeben, den Schutz zur Sicherheit liefern zu wollen. So schaute ich als Wildcamper in das Rohr einer Flinte eines Obst- und Weinbauern, so jagten mich Kampfhunde durch die dunkle einsame Nacht, wo nirgends Einbrecher lauern könnten, so wurde meine Ersatzkamera von der security stuff des Jazzfestivals Nizza zertrümmert. Ein Hotelier erdreistete sich (vermutlich) des Diebstahls meines Akkuladegeräts. Campinggäste wiesen mich nachts vom Campingplatz, weil der Betreiber nicht da sei. Es gäbe noch ein paar mehr kleine Geschichten zu erzählen, die nachdenklich stimmen könnten. Die Frage stellt sich, wo der Weg hingehen soll, nicht mit dem Rücken zur Wand, sondern mit dem Blick nach vorne.



Großstadtakzente: Armut ist manchmal recht unangenehm anzuschauen und für die Reichen schwer zu ertragen. Das ist aber per se noch keine Gefahr. Und ob die Armut sein müsste, ist ja auch immer wieder eine Frage übersättigter Wohlstandsgesellschaften, die nicht teilen, aber sicher leben wollen. Das passt halt auch nicht unbedingt zusammen – in Lande selbst wie auch im Wettbewerb der Staaten. Gefährlich hingegen aber der Straßenparcours nach Nizza rein (aus Westen). Die Baustellenorgie eine Katastrophe – nicht nur für Autos, selbst Fußgänger werden notfalls auf der Promenade ausgesperrt (für Triathlon-Vorbereitung). Schon das städtisch organisierte Chaos sorgt für recht viel Unsicherheit. Lebensgerechte Stadtgestaltung scheint ein guter Weg auch für Sicherheit und Gelassenheit, so die positiven Eindrücke aus Marseille im Vergleich zu 30 Jahren früher.



Einmal sicherte ein Holländer die okzitanische Gastfreundschaft, nachdem sich die Franzosen einen Fehltritt leisteten – sogar weithin im Lande, im Sisteronais, einer touristischen Nachholregion, die sich das eigentlich nicht leisten kann oder sollte, nimmt man auch den Nachhaltigkeitsanspruch des Géoparc de Haute-Provence als Maßstab. So geht dann die rote Laterne der Gastronomiebetriebe an das Hotel/Restaurant in Turriers, das sich einer Leistung ohne erkennbare Bemühung verweigerte und gleichzeitig den einzigen Konkurrenzbetrieb des Ortes, das Café de France von Agnès und Bert, verleugnete. Ob hier Ressentiments gegen holländische Gewerbegründer im Spiel sind, mag ich nicht abschließend bewerten, aber das geht halt gar nicht. Getroffen wird hier einmal der eher seltene Gast in der Region und gleichzeitig der Unternehmer, der das Land voranbringen will. Vom sympathischen Gastgebergedanken angetrieben, erhält sogleich der Holländer Bert meine okzitanische Gastgeberkrone – wenngleich sein wohlwollend gemeinter Übernachtungstipp mich noch fast zum fliegenden Holländer gemacht hätte. So liegt Glück und Verderbnis manchmal ganz nah beieinander.

Wie gesagt, Randbemerkungen, kleine kratzende Bruchstücke in einem sonst lieblichen Bilde, besser gesagt: in einem anmutigen wie gastfreundlichen Lande mit einer überwältigenden Gemäldegalerie in Natur und Kultur.

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#1362468 - 13.11.18 20:18 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
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E-3 Mußestunden vor und nach der Reise: Kartenspiele, Lektüren und Ohrenschmaus

Michelin 527 Region Provence-Alpes-Côte d’Azur 1:200000
(bis auf 1-2 Ausnahmen lässt sich die Tour grundsätzlich mit dieser einen Karte exakt planen und fahren!)

IGN 158 Gap/Briançon/Parc national des Écrins 1:100000

IGN 164 Carpentras/Digne-les-Bains/PNR du Verdon, PNR Luberon 1:100000

IGN 165 Nice/Draguignan/Parc national du Mercantour 1:100000

IGN 172 Toulon/Aix-en-Provence/Calanques, Côte Varoise 1:100000

IGC 8 Alpi Marittime e Liguri 1:50000

Wer sich für die Randzonen oder Schnittpunkte dieser Tour interessiert, kann den Horizont auch in bereits von mir verfassten Berichten auf andere Gebiete ergänzen oder erweitern, hier die überschneidenden und angrenzenden Regionen dazu hervorgehoben:

Große Alpentour der 2000er (2005): Queyras, Hautes Alpes, Haut Verdon, Mercantour u.a.m. Briançon, Guillestre, Col de Larche, Col de la Lombarde, Gorges du Cians, Var/Puget-Théniers, Col d’Allos, Lac de Serre-Ponçon (Etappen 14.-20.7.)

Großer Alpen-Südbogen (2007): Queyras, Vaucluse/Luberon u.a.m. Valle Varáita, Col Agnel, Guillestre, Embrun, Lac de Serre-Ponçon, Mont Ventoux, Sestrière (Val Chisone) (Etappen 16.-20.6./24.6.)

Westalpen 2009: Géoparc Haute-Provence, PNR Préalpes d’Azur, Niçoise, Mercantour u.a.m. Seyne-les-Alpes, Digne-les-Bains, Lac de Castillon, Briançonnet/Clue de St-Auban, Var/Puget-Théniers, Gorges du Cians, Vallée de la Vésubie, Col de la Lombarde, St-Paul-s-Ubaye (Teile 3 & 4)

Giro Piemontese Grande (2016): Monviso-Land, Mercantour u.a.m. Nasce del Po, Valle Varáita, Valle Máira/Chiappera, Valle Stura, Vallon de Casterino, Vallée des Merveilles (LGKS Tende/Casterino) (Kapitel P-6, P-7)



Meine Leseexerzitien in der okzitanischen Literatur sind noch ein work-in-progress – wenn nicht ohnehin eine stetig offene Ader, soweit sich Entdeckungen auftun. Insofern seien hier einige Bücher in kurzen Schlaglichtern angerissen, deren Lektüre verschiedene und bereichernde Facetten auf das okzitanische Land wirft. Wieder mal ist ein Teil der Bücher nur antiquarisch erhältlich. Diese subjektive Auswahl darf hier keinesfalls als lexikalische Literaturenzyklopädie Okzitaniens bzw. der Region PACA interpretiert werden.

Quasi ein Anknüpfungspunkt zur vorjährigen Piemont-Reise liefert der Waldenser-Roman „Die Gerechten des Luberon“ von Christrose Rilk (Brunnen Verlag). Die in Stuttgart geborene und als Pfarrerin in einer Waldensergemeinde mit dem Fachgebiet vertraute Autorin, zeichnet in einer dialogischen Romanstruktur mit ihren Figuren eine Familiengeschichte aus der Provence des 16. Jahrhunderts nach, die auf alten Prozessakten und anderen historischen Quellen beruht. Die Waldenser stießen mit ihrer neuen Glaubensrichtung damals auf den Widerstand der traditionell verankerten Vorstellung der Alten und Etablierten. Ein immer wieder auftretender Generationen-Widerstreit von Tradition und Aufbruch einer aufbegehrenden Jugend, wie auch hier mit viel Leid, Intrige und Machtgier begleitet. Ich möchte dem Klassiker in der eher bescheidenen Waldenser-Literatur nicht auch eine lebendige Struktur abstreiten, ich selbst habe in die langatmige Geschichte jedoch nie mitreißend hineingefunden, sodass ich bisher nicht über das erste Drittel des Buches hinausgekommen bin. Da fehlen mir vielleicht etwas die erzählerisch-fantastischen Elemente wie auch eine einfallsreiche und kraftvolle Sprache.

Da führt „Grünes Paradies“ mit den Geschichten aus Okzitanien Erzählers und Dichters Max Roqueta (Trikont-Dianus Buchverlag) in eine ganze andere Welt an der Grenze von zivilisationshistorischer Kritik von Heimatzerstörung und fantastischer Überzeichnung, die bis in märchenhafte Erzählwelten hineinwandert. Manche poetische Sprachgestalt kontrastiert dabei die beklemmenden Inhalte der Geschichten. Man mag da nicht jeder Geschichte ganz im Rationalen folgen können, aber auch die Sprachgestalt kommt an ihre Grenzen. Denn Roqueta schreibt seine Werke in okzitanischer Sprache und versteht sich auch als Kämpfer für die Bewahrung der kulturellen Vielfalt, der dem französischen, nivellierenden Kulturzentralismus die Stirn bieten möchte. So ist denn der ebenfalls im Buch enthaltenen streitbare Kulturdialog mit Henri Giordan noch fast interessanter als die Geschichten selber, dessen sprachlicher Gehalt sicherlich auch mit der schwierigen Übersetzung etwas auf der Strecke bleiben muss.

Die Welt des Fantastischen betreten wir endgültig mit „Provenzalische Märchen“ herausgegeben, übersetzt und mit Nachwort von Felix Karlinger und Gertrude Gréciano (Eugen Diederichs Verlag). Wie schon mit Max Roqueta selbst überschreiten hier die Herkunftsorte der Märchen den Raum der Provinz PACA bzw. Provence, denn der provenzalische Sprachraum bezeichnet über die Provinz hinaus den Raum, der auch als okzitanischer Sprachraum bezeichnet wird. Für die parallele Verwendung der Begriffe sind eher niedergelegte deutsche und internationale Forschungsschriften verantwortlich, in denen der Begriff „provenzalisch“ offensichtlich häufiger den Niederschlag fand als der Begriff „okzitanisch“ (von langue d’oc = Languedoc, also auch über die Region des heutigen Languedoc hinaus zu verstehen). Dabei ist das Provenzalische oder Okzitanische auch nur ein Sprachraum, der aus verschiedenen Dialekten besteht, die solche Eigenständigkeit haben konnten, dass man einander nicht verstanden hat. Im Falle der Märchen ist dabei die Erzähl-, spätestens aber die Schriftsprache nicht unbedingt authentisch zur Entstehungsregion – will heißen, dass das Französische des Nordens bereits früh auch das Okzitanische verdrängt hatte, spätestens mit der schriftlichen Niederlegung der Märchen. Wie dem auch sei, zerfließen die Unterschiede der Sprachen in der Übersetzung sowieso. Immerhin listet das Buch die Märchen einmal nach Herkunftsregionen und einmal nach Märchentypen, sodass man gezielt die Geschichten nach verschiedenen Kriterien ansteuern kann.



Weil wir gerade beim erweiterten provenzalischen Sprachraum, dem langue d’oc, dem Okzitanien zwischen Limousin und Roya-Tal sind, ein kleiner Tipp in Sachen Musik aus diesem übergreifenden Raum. Wahrlich üppig ist die Auswahl Alter Musik heute, dass dies hier nur eine Anregung aus einem schon alten CD-Schrank sein kann. „Forgotten Provence – Music-making in the South of France 1150-1550“/The Martin Best Consort (Nimbus Records) versammelt gesangsbetonte Stücke aus unterschiedlichen Epochen und Regionen, in denen meditativer Sakralgesang mit sanft akzentuierten rhythmischen Tanzformen wechseln. Die eher sparsame Instrumentierung lässt viel Raum für den Ausdruck der Sprache. Zentren der niedergelegten Noten waren Montpellier, Limoges und Alba, trugen aber Stücke aus verschiedensten Regionen – also auch jenseits der Rhone – zusammen, da sie wichtige Schnittstellen von Pilgerwegen waren.

Ein Autor, der exakt aus der beradelten Region stammt, ist Marcel Pagnol. Dessen Roman „Die Wasser der Hügel“ (Serie Piper) spielt in einem Bergdorf im Hinterland Marseilles, unmittelbar bei Pagnols Heimatort Aubagne (an dem ich daselbst wenige Kilometer entfernt via Gemenos vorbeigefahren bin) und wurde sogar u.a. mit Yves Montand und Gérard Dépardieu verfilmt. Wohl selten ein gutes Buch, in dem nicht auch Habgier und Intrige eine Rolle spielt, erinnern wir uns an den ersten Lesetipp. Doch Pagnol gelingt es, die die dialogische Romanerzählung mit ungeheurem Sprachwitz anzureichern, eine lebendige Bühne des Fabulierens zu bereiten, nicht nur die Personen lebendig aufleben zu lassen: „Die Maultiere, denen es langweilig geworden war, hatten den leeren Karren umgedreht und kamen den Abhang mit Trab herunter.“ Da huschen Bilder von „tauben Stichen“ oder „stachligen Wangen“ vor des Lesers Auge. Die Frau des Buckligen kommentiert den selbst gelobten untrüglichen Ortssinn ihres Gatten mit „Du machst deine Reisen wie eine Brieftaube“. Ich fühle mich ertappt, meine Reisen immer mehr mit Wiederkehr an Orte mir bekannter Grashalme zu verknüpfen und sie auf ihren veränderten Wesenszustand zu prüfen. Der Radler also eine Brieftaube?



Große Poesie-Geschichte trägt die Provence durch Francesco Petrarca, der für eine paneuropäische Kulturgeschichte des Mittelalters steht, in der Dichtung und Gesang die schon aus der Antike intensive Verbindung der schönen Künste bestärkte. Petrarcas Weg über Avignon nach Fontaine-de-Vaucluse, wo er sein berühmtestes Liebesepos an die Geliebte „Laura“ ersann. Weder den Ort noch die Geliebte traf ich aber auf der Reise, mehr aber hatte ich den berühmten Mont Ventoux im Blick. Wenn ich diesen Mythosberg diesmal nicht noch einmal erklomm, so wirkt seine Aura auch in seinem Blickfeld wie in meinem Gedächtnis. Umso mehr darf ich hier Petrarcas Pionierwerk der Reiseliteratur „Die Besteigung des Mont Ventoux“ (mit Fotos eines Urenkels (Constantin Beyer) von Rainer Maria Rilke als bebilderte Edition in der Insel-Bücherei, etwas hübscher als die zweisprachige nüchterne Reclam-Edition für die Lateiner) anmerken – gern als erste romantische Landschaftsbeschreibung bezeichnet und Petrarca selbst als Pionier des Alpinismus – auch wenn der Berg mehr Begehung als Bekletterung erfordert. Kein geringerer als Rilke selbst empfahl die Lektüre dieses literarischen Briefes, den Petrarca an einen befreundeten Mönch sendete. Der moderne Pedaltreter wird seine Qualen ebenso gespiegelt wiederfinden wie das irisierende Naturerleben am weißen Berg – die Herausforderung klar umrissen, wer es angehen möchte: „Verwegnes Mühen alles zwingt.“

Dass der Mont Ventoux mehr als ein mystifizierter Pilgerberg von Radlerwaden ist, dem übrigens auch der Philosoph Peter Sloterdijk mit einer Pedalexkursion huldigte, die ihn zu einigen spitzen, scharfsinnigen gleichwohl entzaubernden Anmerkungen in dem Spiegel-Interview Hundsgewöhnliche Proletarier anregten, darf man zwischen anregenden Bildern und Texten in „Die Provence – rund um den Mont Ventoux“ von Wolfgang Hillen/Corinne Bart/Friedrich Gier (Romanistischer Verlag) nachblättern. Der etwas andere Reiseführer nimmt sich dann auch den Literaten der Region an, gleichwohl hält er ein wachsames Auge auf manchmal weniger bekannte Sehenswürdigkeiten und Schönheiten dieser Ecke – auch das nördliche Baronnies. Trüffel und Oliven erfahren ebenso einen kenntnisreichen Tribut wie ein Schlaglicht auf den Mount Ventoux als Wandergebiet und den Radclub der „Bekloppten“ geworfen wird, die durch eine 4-fach-Beradlung des Berges auf allen fahrbaren Wegen an einem Tag den zweifelhaften Ehrentitel eines „Galeerensklaven“ erreichen können. Mir sind ja nicht nur auf dieser Reise Teile davon gut bekannt und doch mag mir da das Gaumenwasser weiter im Munde zusammenlaufen, seh ich in dieser Region noch etliche Wege, die noch leidlich nicht meine Pneuspuren tragen.



Fast schon als ein Ausreißer nicht nur im geografischen Sinne möchte ich den Bücherkasten mit einem Bilderbuch jenseits der hier dominanten Provence bereichern, dass natürlich auch sachkundige Erläuterungen enthält. Es wäre vermessen zu behaupten, dass Sonnenuhren exklusiv einer Region zuzuordnen seien, sind sie mitunter in vielen Teilen des Alpenraumes sehr verbreitet, aber nicht nur dort. Besonders im okzitanischen Raum sind die Zeitmesser des Schattenwurfs eine schon fast flächendeckend dörfliche Institution. Ohne das italienische Valle Stura oder die Südregionen dahingehend als weniger interessant bezeichnen zu wollen, hat sich doch in dem Department Hautes-Alpes das traditionale Malhandwerk von Ziffernblattfresken in besonderer Dichte wie auch Motivvielfalt entwickelt – schließlich ist man der Sonne besonders nah. Die freien, kurzgeschorenen Berghügel der östlichen Naturparkregion Queyras bringen wohl das gleißendste Sonnenlicht in die Augen des Reisenden, gespiegelt in den Gebirgsbächen und dem satten Grün – so habe ich es eigentlich immer wieder erlebt. Schon auf einer früheren Reise erwarb ich „Cadrans Solaires du Queyras“ von Gaëlle et Pierre Putelat (Editions du Queyras) direkt vor Ort, eine stilvolle Edition über Sonnenuhren mit Hintergründen hinein bis in die Dorfgeschichte(n) und den Maltechniken. Auch dem nicht französischsprachigen Betrachter bleibt hier noch genügend sprichwörtliche Erleuchtung zur Freude.

„Die stufenweise Gegenwart der Sonne stillt die Tragödie. Ach, scheu dich nicht, deine Jugend zu stürzen“, so etwa mag das passende Zitat zu dem Dichter René Char überleiten, der eigenständige, geradezu antagonistische Sprachbilder entworfen hat, wie er auch seine meist prosaische Dichtung mit einer Haltung gleichsetzte, und zwar die der Resistance. Er nannte sich entsprechend Poet und Resistant. Damit setzt er ein Zeichen für eine Literatur, die auch immer politisch ist, nie wertfrei dahinwabern darf: „Die treue Einfalt griff überall Raum.“ Wer mag da nicht beklemmend an die aktuellen geschichtsvergessenen Verirrungen der Wörter und Floskeln denken. Einen Einblick gewährt „Zorn und Geheimnis /Fureur et mystère – Gedichte“ (Fischer Taschenbuch). Deren Gehalt erschließt sich nicht für jeden Augenblick, man muss seine eigene Gedankenmaschine anwerfen, gewohnte Wortdeutungen neu interpretieren, semantische Fallstricke entschlüsseln. Immer wieder werden vermeintliche Irrlichter zu starken Kopfbildern: „Das vielgeteilte Erkennen // Bestürzt den Frühling mit Regen // Ein heimatlicher Duft // Ließ die entsproßene Blume währen.“ Freunde eines gereimten Lyrizismus werden hier nicht bedient. Seine Werke inspirierten Pierre Boulez zu Kompositionen, er suchte die Nähe zu Philosophen wie Albert Camus und Martin Heidegger, mit letzterem er letztlich aber (erwartungsgemäß) brach, und Henri Matisse wie Georges Braque ehrten seine Schriften mit Illustrationen. Auch seine Heimatstadt L’Isle-sur-la-Sorgue verfehlte ich auf der Tour leider um Haaresbreite im Schatten von Roussillon und Gordes.



Zum Abschluss noch ein erweiterter Hörtipp (einige weitere Tipps auch noch später im Berichtstext). Einer der herausragendsten zeitgenössischen Musiker der Region ist der aus Le Cannet stammende und in Nizza ausgebildete Richard Galliano (Ich stellte ihn bereits im Rahmen meiner Vogesentouren nach La Petite-Pierre vor), der auch auf italienische Wurzeln zurückblickt. Er begründete die traditionelle französische Akkordeonmusik mit der New Musette (ähnlich dem Tango Nuevo in Argentinien etwa durch Astor Piazzolla) für moderne Spielarten zwischen Klassik, Jazz und Weltmusik, befreite sie aus dem Mief einer selbstverliebten folkloristischen Klischeemusik aus den Gassen der Rotlichtspelunken, machte sie zur kultivierten Konzertmusik luftiger, melodischer Ausflüge über moderne Harmoniekonzepte – in Summe ein Füllhorn an Tontrauben, die weithin den Geist von Meridionale und Méditerranée tragen. Da ist immer noch wunderbar das wegweisende und in transparenter Live-Atmosphäre eingespielte Album „New Musette“ (Richard Galliano Quartet, 1991, Label Bleu). Im Trio-Format mit Gästen unterschiedlichen Backgrounds wie Michael Portal, Toots Thielemans und Didier Lockwood sehe ich mit „Laurita“ ein Album von bleibenden Wert (1995, Dreyfus Jazz). Zu den Projekten in diesem Jahrtausend gehört das Trio mit dem schwedischen Pianisten Jan Lundgren und dem sardischen Trompeter und Flügelhornisten Paolo Fresu, noch mehr als eine paneuropäische Musiksprache ausgelegt, mittlerweile erneuert in dem Folge-Album „Mare Nostrum II“ (2016, ACT Music). Natürlich sind auch zahllose Samples über YouTube verfügbar – einfach nach „Richard Galliano“ suchen.
- Update 21.11.: Das neue Album "Mare Nostrum III" wird am 25.1.2019 bei ACT Music veröffentlicht. Die Konzertpremiere soll am 1.4.2019 in der Tonhalle Zürich stattfinden (kleine Tournee danach durch Schweiz und Deutschland), wohl aber gibt es das Programm auch schon beim Umbria Winterjazz in Orvieto zwischen den Jahren zu hören.

Fortsetzung folgt
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Geändert von veloträumer (21.11.18 20:32)
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#1362474 - 13.11.18 21:02 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
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PACA-1 Pays Marseillais mit Parc National des Calanques, Massif de la Sainte-Baume & Montagne Sainte-Victoire

Marseille, 23:35, Place aux Huiles. Crêpes mit Rotwein. Einmal salzig, einmal süß. Auf der Süßen leuchtet eine Zuckerkugel rosafarben oben auf – eine Liebeserklärung? Ich bin angekommen. Mein Auge schweift von der Treppe über den Platz, die Lichter lassen die Nacht noch leben, leichter Geruch von Meeresluft. Der Blick bleibt hängen an Blumenkübeln, der Kunst gefalteter Servietten und an zwei jungen Frauen, die den Abend schon genossen haben. „L’addition, s‘il vous plait!“



Es ist Frankreich, Mittelmeer, schön, leicht, wuselig, als würde Leben gerade geboren und es schmeichelt mild der Seele. Marseille, eine der ältesten Siedlungen des Abendlandes, hieß griechisch „Massalia“ oder auch später Massilia bei den Römern, ist eine Gründung der Liebe und Harmonie der Völker, der Wortbedeutung nach vermutet man das ligurische „mas“, demnach „Frühlingen“. Ein griechischer Seefahrer und Neuankömmling entzückte eine ansässige Liguro-Keltin so sehr, dass sie dem Brauch ihres Volkes nach ihm den Krug für ihren Hochzeitswillen schenkte – so sagt es die Legende. Keltin und Griechin gründeten Marseille und banden beide Völker, heute sind es weit mehr Kulturen, Afrika ist nah, von Frankreich nicht selten blutig kolonisiert worden, 90 % der Einwohner haben nicht-französische Vorfahren, soweit man auch über die Vätergeneration weiter zurückschaut.

Die Ankunft mit dem TGV war verspätet, der Zusammenbau des Rades klemmte zudem. Da wurde es eng, noch einen Happen zu ergattern, ab Mitternacht schließt auch in Marseille fast jede Küche. Im Zug hätte es auch warme Gerichte gegeben, die aber recht pappig wirkten. Wäre es nach einem Schaffner gegangen, hätte man mein Rad im Müllsack gar nicht mitgenommen, aber es war offensichtlich nicht die Mehrheitsmeinung. Als Radler läuft man stets neben der Gesellschaft und hofft immer mal wieder, mitgenommen zu werden. Querulant mit zwei Rädern – da ist man im politischen Spektrum gleich verortet wie ein illegaler Immigrant. Da scheint Marseille irgendwie passend als Startort, wenngleich es wohl weniger Illegale gibt als geglaubt wird. Das sagt ja die Geschichte, der genetische Code ist verschoben, nicht die Legalität – siehe oben. Afrika ist ja auch Mittelmeer – wird gerne vergessen.

So klein auch das Mittelmeer in Konkurrenz zu den Ozeanen sein mag, so groß ist doch sein kultureller Kosmos. Drei Kontinente sind hier an einer gemeinsamen Lebensader enger verflochten als irgendwo sonst auf der Welt. Die meisten Grundlagen heute unverzichtbaren Weltdenkens nahmen ihren Ausgang an der ebenso fruchtbaren wie kriegerischen Reibefläche zwischen Abend- und Morgenland der Mittelmeeranrainervölker – die Demokratie, die Mathematik, die Philosophie, die Religionen des Christentums, der Juden, des Islams, die notierte Musik, die moderne Kriegsführung der Schlachtordnungen, die Weltenerkundung der Seefahrer oder der Landwegpioniere wie die eines Hannibal oder eines Marco Polo.



Das Hostel hier gleich um die Ecke und nur wenige Meter vom Vieux Port entfernt ist leger und angenehm, morgens grüßen Seemöwen über dem Innenhof. Ich hatte vorgebucht – ausnahmsweise auf meinen Reisen, wegen dieser Spätankunft in einer Großstadt. Kontakt habe ich mit den Mitschläferinnen und -schläfern nicht – Radler sind Frühaufsteher und können die gemütliche Morgenmuffelmentalität der urbanen Globetrotter nicht teilen. Eher schon macht der Radler Siesta – Mittagszeiten sind brütend heiß – die nächsten Tage wird das Thermometer auf über 35 °C steigen. Der Sommer hat pünktlich begonnen – für meine Tour. Das ist schon fast neu für mich, wenn ich auf die letzten Jahre zurückblicke.

AE: R La Crêpe de la Carée: Crêpe Artischocke/Käse, Crêpe Sucre, RW15,60 €
Ü: Hostal Vertigo 21,85 mFr (vorgebucht)

Do 15.6. [Mi 14.6. Stuttgart 13:03 || Karlsruhe || 21:48 h Marseille] Marseille - Les Goudes/Cap Croisette/Callelounge - Pointe Rouge - Mazargues - Vert Plan - Le Redon - Col de la Gineste (326 m) dev. D559/Gardiole - Col de la Gardiole (262 m) - La Fontasse - Calanque de Port Miou - Cassis - Camping Les Cigales - Cassis - Camping Les Cigales
62 km | 890 Hm | 5:48 h | 10,6 km/h

AE: R Le Perroquet: Miesmuscheln in Petersiliensud, Dorade, Kartoffeln, Ratatouille, RoséW, Eis Belle Heléne, Cafe 38,80 €
Ü: C Les Cigales 14,45 €

Nein, Marseille werde ich nicht besichtigen. Das habe ich mir weise vorgenommen, denn für eine solche Stadt braucht es eher ein ganzes Leben lang sie kennenzulernen. Ich bleibe daher auf Südkurs jenseits des Stadtzentrums, Ziel das Cap Croisette. Allein hier stadtauswärts gibt es genügend zu sehen, als dass ich zügig vorankommen könnte. Das Meer hat magische Wirkung – immer wieder – sogar Frachtschiffe und Industriehäfen wecken ja Fernweh. Mir reicht hier der morbide Charme eines kleinen Schiffsfriedhofs. Es gibt weit mehr als Meer zu sehen – Festungen, Villen, Kathedralen, Monumente und – Menschen.



Eine der ersten Begegnungen ist ein Reiseradler, genauer zwei, Dusan & Toby – das ist überraschend, denn in Reiseradkreisen wird die Umfahrung Marseilles empfohlen. Es ist schon komisch, wie sich manchmal der Radreisende vor der Reiserealität aus Verkehrsknoten und kulturellen Schmelztiegeln zu verstecken sucht. Von Sonne gegerbt, wirkt der Fremde wie ein Obdachloser. Sein Partner – ein Hund! Unklar, wer Dusan und wer Toby heißt. Der Hund liegt unter einem Baldachin und ist weiß geblieben. Seine Kilometer hat er außen angeschrieben wie auch die bereisten Länder. Man kann erahnen, dass er sich Zeit lässt – 30000 km in fünf Jahren, im laufenden Jahr summierte er 3000 km.

Die Fahrt nach Süden führt eher durch besser gestellte Außenbezirke, Armut und Straßenlagerei sind nicht zu sehen. Neben Jachthäfen warten auch Golfplatz und Pferderennbahn etwas neben der Strecke. Blau – wie sonst? – erkenntlich ein Fischrestaurant mit der Spezialität Bouillabaisse – die Preise eher exklusiv. Das Meer ist immer Lebensmittelpunkt, nicht nur in der Küche – schon morgens wird gebadet, obwohl weder Urlaubszeit noch Wochenende. Es gibt kleine Buchten, aber fast alle Felsen werden genutzt, unter Brücken und der manchmal kühn am Fels vorbei über das Meer gehaltenen Küstenstraße. Radwege mal ja, mal nein.

Marseille ist stark muslimisch geprägt, Kopftücher als Zeichen religiöser Zugehörigkeit daher keine Seltenheit. Doch vertragen sich hier Kopftücher neben Bikinifiguren – es wird über Grenzen hinweg geplaudert, flaniert und gechillt. Mir wird augenscheinlich deutlich, dass ich aus einem Land komme, in dem multiethnisches Leben immer noch die Ausnahme ist. Hier ist es normal, auch wenn gleichwohl immer wieder konfliktbehaftet aufgeladen in Politik und Gesellschaft. Marseille ist heute ein wenig hipp, gilt als kreativ, als modern und das verdankt es auch und nicht zuletzt der Vielfalt seiner Bewohner – so sehr man das Prekariat an den Rändern auch fürchtet. Zuviel Bürgerlichkeit lähmt aber auch Gesellschaften. Die Römer sind untergegangen, nicht wegen dem Fremdeinfluss der Sklaven, sondern eher schon wegen der Sklavenhaltung und der damit verbundenen Überheblichkeit und Faulheit des gut betuchten Vaterlandsrömers.



Die Frage nach der Identität von Marseille stellt auch ein anderer, viel mehr aber eine Hommage an die Hafenstadt mit dem besonderen Licht des Südens: Ahmad Jamal, amerikanischer Pianist mit reduzierter, modaler Spieltechnik und Clusterakkorden, setzte genau just im Jahre meiner Radreise dort der Stadt ein musikalisches Denkmal. Jamal selbst gehört zu jener Generation Amerikaner, die einst auch aus Protest gegenüber dem kriegerischen und rassistischen, „christlichen“ Amerika zum Islam konvertierten, ihren Namen entsprechend änderten. Islam stand mal vor 50, 60 Jahren für Frieden und überzeugte sogar Amerikaner – das sollte mal ein Taliban sich vor Augen führen. Wie schnell doch immer wieder die Ideale ihre Unschuld verlieren und verraten werden. Für Jamal spielte die afroamerikanische Tradition immer eine große Rolle und in jüngerer Zeit wuchsen seine Verbindungen Frankreich und afrikanisch geprägten Musikern. Mit dem Pariser Rappoeten Abd al Malik entstand nun das Album „Marseille“ und um ein Haar habe ich hier DAS Konzert zu meiner Reise verpasst (nur ca. 2-3 Tage vorher gab er zwei Konzerte vor Ort), würde ich auch Ahmad Jamal zu einem meiner heimlichen Heroen zählen wollen.

Ahmad Jamal "Marseille (feat. Abd Al Malik)" (7:37 min.)

Jenseits von Pointe Rouge endet die Strecke urbaner Eitelkeiten, die dem spröden Charme von Fischerdörfern weichen, die schon bald sogar Teil des Nationalparks des Calanques-Massivs beim Cap Croisette werden. So nah noch die meridionale Kapitale, so nah auch schon das Gefühl vom Ende der Welt. Nur einige Ölklumpen im Meer zeugen von der Nähe des Industriehafens, von nie entrinnbaren Lasten des zivilisatorischen Fortschritts – soweit man es Fortschritt bezeichnen darf. Doch diese Gedanken verfliegen schnell. Die Calanques türmt sich zwischen Mont Rose und Callelounge (Straßenende) eindrucksvoll und charakteristisch mit weißem Fels auf, inszeniert die eine oder andere mächtige Steinskulptur, wenn man die Fantasie walten lässt.



Um Cassis am ersten Tag noch zu erreichen, musste ich alle weiteren denkbaren Stichtouren zu den Calanques auslassen, nachdem ich auch einem ersten Bad im Meer frönte – bis zum kurz vor Ende der Reise das einzige sogar. Die Fjorde der Calanques unterliegen ohnehin schwierigen Zugangsregelungen. Während Somiou und Morgiou noch asphaltiert, für Verkehr aber reglementiert sind, entzündet sich an anderen Buchten heftiger Streit zwischen Stadt und Parkrangern einerseits und Mountainbike-Gruppen andererseits. Für die Piste zur begehrten Calanque de Sugiton gilt z.B. ein scharfes Verbot für Radler mit empfindlichen Bußen – nicht wegen der Natur, sondern wegen der Konkurrenz mit zumindest an Wochenenden massenhaft strömenden Fußgehern, sprich Strandbesuchern, die ihr Auto in Luminy (Universitätszentrum) abstellen. Besonders scharf sind offensichtlich die Radverbote überall dort, wo die Gemeinde Marseille das Sagen hat, während in den Cassis zugehörigen Calanques-Zufahrten die Sache etwas lockerer gesehen wird. Klar geregelt ist es aber auch dort nicht und mit Verweisen zu rechnen. Verfolgt man die Diskussionen vor Ort im Web, so scheint sich eine Kompromisslösung abzuzeichnen, sodass in kommenden Jahren evtl. Radler zumindest teilweise zugelassen werden – also z.B. an den Wochentagen und nicht an den Wochenenden o.ä. Der interessierte Radler sollte sich jährlich updaten.

Ein weiterer Hinweis zu den Calanques ist wichtig: Mit längerer Sommerhitze steigt die Brandgefahr und zuweilen werden einige der Calanques dann ganz gesperrt – also auch für Fußvolk. Dazu gibt es ein System farblich abgestimmter Warnzeichen. Da ich zu Anfang der ersten großen Hitzeperiode da war, gab es noch keine derartige Vollsperrung, allerdings einen Tag später bereits für die (asphaltierte) Höhenroute am Cap Canaille zwischen Cassis und La Ciotat. Dort besagte der Verbotshinweis allerdings „Gefahr durch Feuer UND Wind“. Nicht zuletzt wegen früher Stunde war der Wind noch milde gestimmt und ich bin trotzdem durchgefahren, auch weil mir ein ansässiger amerikanischer Jogger zu verstehen gab, dass diese aktuelle Vorsichtsmaßnahme gemäß Radio umstritten sei und möglicherweise auch wieder aufgehoben würde. Innerhalb der Sperrzeit begegnete ich auch einem Ranger-/Forstauto, dessen Insassen mich ohne anzuhalten gewähren ließen. Es ist aber durchaus möglich, dass sich die Feuergefahrenlage durch die heißen Wüstenwinde aus Süden an der Küste schnell verschärft haben könnten. Feuer erlebte ich dann erst gegen Ende der Reise in der Nizza-Agglomeration, was aber sehr verdächtig nach Brandstiftung aussah.



Noch ein kleiner Blick zurück auf die Calanques-Tour bei Cassis: Nach dem betriebigen Col de la Gineste darf man eine eng verwinkelte Straße im Auf und Ab zum Col de la Gardiole fahren. Von hier aus geht es nur per Piste weiter, auch zur Jugendherberge, die hier mitten im kiefernüberzogenen Hang zum Meer runter liegt. Bis zur Jugendherberge (La Fontasse) ist alles gut fahrbar, danach folgt eine rüde, ausgewaschene Piste, die sich mit Reiserad nur bedingt radeln lässt. Inwieweit weitere Pisten hier fahrbar sind, konnte nicht mehr erkunden. Ist man in Sichtweite der Calanque de Port-Miou, die im Schwerpunkt ein lang gezogener Jachthafen ist, gleitet man wieder auf ordentlichem Grund den Booten vorbei. Die umgekehrte Richtung ist für Reiserad nicht zu empfehlen, denn neben losem Schotter gibt es extrem steile Passagen, die kaum aufwärts zu schieben sein dürften.

Fr 16.6. Cassis/Camping Les Cigales - Routes des Crêtes - Pas de la Colle (197 m) - Routes des Crêtes - Calanque de Figuerols - La Ciotat - Ceyreste - Col du Grand Caunet (392 m) - Col de l'Ange (218 m) - Gémenos - Col de l'Espigoulier (722 m) - Col de Roussargue (728 m) - Plan d'Aups-Ste-Baume
68 km | 1590 Hm | 6:44 h | 10,0 km/h

AE: R Lou Pèbre d'Aï/H 3 étoiles: Miesmuscheln in Currysauce, Lamm in Sahnesauce, Kartoffelpürée, Gemüse, Schokokuchen m. Erdbeeren, RW, Cafe 42,20 €
Ü: C frei

La Ciotat erreicht man über die o.a. Route des Crêtes (steile Anfahrt) zunächst ohne eine weitere Fjordbucht. Für die Calanque de Figuerols muss man noch vor der Ortseinfahrt zu Gegenseite abzweigen. Hier überragt die Bucht ein eindrucksvoller Felsen, nicht mehr in weißem Kalkton, sondern schon fast rötlich, ein Ockerton und stark perforiert wie ein Schwamm. Wenig oberhalb des nur kleinen Strandes gibt es gute Essgelegenheiten, sogar mit Übernachtungsmöglichkeit – auch mal eine besondere Kulisse, wenn es gefragt sein sollte. Im Gegensatz zu Cassis mit auch abends eindrucksvoll überragender Burganlage ist La Ciotat etwas weniger Postkartenperle, hat dafür aber eine größere Geschäftszeile zum Einkaufen.



Nach Ceyreste kommt man bald auch in ein kleines Kurveneldorado durch schattenspendenden Pinienwald. Den durfte ich gütig begrüßen, nachdem ich mühsam durch die Mittagshitze schlappte, sie in einem Friedhofsgelände zu mildern suchte. Es waren wohl 40 °C. Von der kleinen Plateau-Ebene in La Grand Caunet reicht der Schwung und Schatten weit ins Tal nach Gemenos am Fuße des einsamen Vallon de St-Pons, welches eine herrliche Auffahrt zu der Chaîne de la Ste-Baume einleitet. Unten noch ein wassersprühender Park, dann Schlucht-begleitend und später panoramareiche Ginsterhänge, die von großen Felsklötzen durchsetzt sind, sorgen für reichlich Abwechslung noch bis auf die Rückseite der Bergkette. Dann weicht das buschreiche Bergland einer eher spröden, langgezogenen Hochebene, auf der man in das etwas seltsam zersprengte Plan-d’Aups-Ste-Baume vorstößt.

Sa 17.6. Plan-d'Aups - Pas Orgnon - St-Zacharie - Pas de la Couelle (531 m) - Trets - Pourrières - Les Puits-de-Rians - Col des Portes (631 m) - Col de Claps (515 m) - dev. D10/D11 (pré Vauvenargues) - Gorges de l'Infernet - Col de Grand Sambuc (615 m) - Jouques - Col de Bèdes (420 m) - Pont de Mirabeau - Mirabeau - Col de Campanettes (419 m) - Beaumont-de-Pertuis - La Bastide-des-Jordans
99 km | 1525 Hm | 7:15 h | 13,1 km/h

AE: Bar de Sports: Pizza, RoséW, Cafe 16,30 €
Ü: C frei

Ohne der Hochebene weiter zu folgen, geht es durch wiesendurchsetzten Eichenwald, voller Morgenfrische grün getankt schwungvoll hinunter und mündet an Kleinoden eines Mühlenbachs in St-Zacharie. Mit den Stärkungen des lokalen Bäckerhandwerks kann man nun einen der honorigsten Alpenpässe überhaupt angehen – den Galibier! … – Es versteht sich, der „Petit Galibier“, wie der Col de Pas de la Couelle mit seinen 525 m (Karte auch 534 m) liebevoll und inoffiziell lokal auch genannt wird. Gewiss liegen die Schwierigkeiten des Passes hier eher in möglich hohen Temperaturen, die zur Mittagshitze gesteigert mich allerdings erst eine Bergkette weiter zermartert, als ich die doch sehr zähe Hochebene in den Montagne Sainte-Victoire angehe. Auf dem Wege dorthin Trets sicherlich eine Erwähnung wert mit einer kleinen Künstlergemeinde, eingebunden zwischen mittelalterlichen Gemäuern wie Burg und Stadttor, wo man nur noch ein paar Pfeifentrommler und tanzende Troubadore vermisst.



Die schon fast befehlsmäßig aufgereihten Eichenhainen erzeugen Gefühle endlos sich weitender, glühender Savannenlandschaften. So eile und weile unter einer Eiche – dein Schatten ist mir ein kühlendes Dach, das mir die Gedanken rettet. Vom dunklen Schattenbaum zum lichten Stein: Zum Sambuc-Pass leitet eine intime Schlucht ein, begleitet ein fast vertrocknetes Bächlein, nackter Fels in Tuchfühlung zur nackten Haut – die Höhepunkte der Reise häufen sich, zum Glück wiegen sie nicht schwer, sondern verleihen Flügel wie der kühlende Brunnen von Jouques. Mildes Abendlicht im sanften Gelb des Ginsters aufgefangen, Schafe in grüne Hecken geschnitten, Lavendelschnecken wiegen im leichten Wind, Olivenhaine verströmen zarten Ölduft, silbern spiegelt die Durance an der Pont de Mirabeau, das Weinglas begleitet den Dorfplausch. Ein Tag endet im Süden Frankreichs.

Bildergalerie PACA-1 (89 Bilder):



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#1362477 - 13.11.18 21:37 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
Keine Ahnung
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Zur Zeit häufen sich die Reiseberichte. Auf Deinen Beitrag habe ich schon gewartet. Ich bin schon gespannt auf das "Gesamtwerk". Der Anfang ist gemacht und er ist äußerst vielversprechend! grins
Gruß, Arnulf

"Ein Leben ohne Radfahren ist möglich, aber sinnlos" (frei nach Loriot)
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#1362524 - 14.11.18 10:10 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
talybont
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In Antwort auf: veloträumer
War der Südostfranzose auch immer bekannt dafür, ein wenig ungehobelt und unfreundlich zu sein – das Geld der Reichenküste und Provence-Edelaussteiger ihm zu Kopfe gestiegen – so breiten sich die ins Land getragenen Missgünste mit modernen Ängsten gegenüber dem Fremden immer mehr aus. Überall scheint ein Feind zu lauern, die Diebe, die Immigranten.

Der Landbewohner bewaffnet sich, Beißhunde werden auch mal öfters nicht mehr angeleint und der Wein- und Pfirsichbauer verteidigt sich mehr und mehr mit Schießeisen. Die Feinde sind – auch das der Wahrheit kaum zu leugnen – nicht vorhanden und die Ängste diffus (es kommt mir bekannt vor). Aber Le Pen macht Stimmen (ich diskutierte mit einem Campinggast). Interessant ist, dass die mir zugedachten Aggressionen nicht von den verdächtigen gehandelten Personenkreisen kamen – nicht mal in Nizza oder Marseille –, sondern eher von der Gegenseite, die vorgeben, den Schutz zur Sicherheit liefern zu wollen. So schaute ich als Wildcamper in das Rohr einer Flinte eines Obst- und Weinbauern, so jagten mich Kampfhunde durch die dunkle einsame Nacht, wo nirgends Einbrecher lauern könnten, so wurde meine Ersatzkamera von der security stuff des Jazzfestivals Nizza zertrümmert. Ein Hotelier erdreistete sich (vermutlich) des Diebstahls meines Akkuladegeräts. Campinggäste wiesen mich nachts vom Campingplatz, weil der Betreiber nicht da sei. Es gäbe noch ein paar mehr kleine Geschichten zu erzählen, die nachdenklich stimmen könnten. Die Frage stellt sich, wo der Weg hingehen soll, nicht mit dem Rücken zur Wand, sondern mit dem Blick nach vorne.

Dies zu lesen macht mich traurig!
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#1362541 - 14.11.18 11:10 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: Keine Ahnung]
veloträumer
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In Antwort auf: Keine Ahnung
Zur Zeit häufen sich die Reiseberichte. Auf Deinen Beitrag habe ich schon gewartet.

Bin allerdings ein Jahr im Verzug. Die Berichte stehen eigentlich recht schnell, aber die Arbeit an der Bilderflut zieht sich. Zur diesjährigen Sommmerreise steht der Bericht auch schon, aber die Bildbearbeitung ist noch ohne Sicht auf Ende. Derzeit kann ich mir wegen prekärer Lage auch nicht viel Zeit mit dem Schönen gönnen. Aber ohne kann ich eben auch nicht leben. Zum Glück hatte ich hier schon das meiste bereits vorbereitet den Sommer über auf dem PC liegen.
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Matthias
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Off-topic #1362630 - 14.11.18 19:09 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
Keine Ahnung
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Bei mir ist es eher der Bericht, der mehr Zeit beansprucht - ich bearbeite aber die Bilder nicht mit großem Aufwand ...
Gruß, Arnulf

"Ein Leben ohne Radfahren ist möglich, aber sinnlos" (frei nach Loriot)
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#1362642 - 14.11.18 20:26 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
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PACA-2 Vaucluse mit Parc Naturel Régional du Luberon

Sonntagsstille, Sonne, Morgen, Brunnenplatz Vitrolles, Terrrassenblick ins Tal. Früher trafen sich hier Waschweiber, das Wasser zum Blumengießen wird immer noch hier abgefüllt. Schon der Empfang war ein Lächeln. Eine Dame stand mit nacktem Busen auf dem Balkon, zwinkerte mir zu und verschwand, als müsse man die Momente des Lieblichen wie seltene Kostbarkeiten behandeln. Kaum denkbar, dass ich nur wenig entfernt nachts in den Lauf einer Schrotflinte schauen durfte. Wie friedliebend sind die Menschen in einer Idylle?

So 18.6. La Bastide-des-Jourdans - Vitrolles-en-Luberon - Col de l'Aire dei Masco (697 m) - Cereste - Tour d'Embarde - Viens - Col des Quatres Chemins (644 m) - Collet de Flaqueirol (677 m) - dev. D22 - D112 - Gignac - Colorado Provençal - Apt - Camping La Clé des Champs - Apt - Camping le Luberon - Apt
62 km | 960 Hm | 5:04 h | 12,3 km/h

AE: R Les P‘tits Lilou: Salat m. Entenleber, Lammkeule, Pommes, Gemüse, Pannacotta, RoséW, Cafe 23,90 €
Ü: C Les Cèdres 5,62 €

Auch jenseits Vitrolles ein lieblicher Landstrich nach Céreste mit struppigen Steineichen etwa auf der Nordflanke einer weiteren kleineren Passhöhe. Erfrischender Bachlauf für ein kleines Bad. Aufstieg nach Viens, Lavendel, in der Ferne Ockerabbau. Im Ort Handwerkermarkt, Sonntagsausflügler. Überall Winkel zum Verweilen. Aussicht weit über das Land, darf eine Burganlage nicht fehlen. Wer möchte da nicht in einer Turmstube okzitanische Geschichten niederschreiben? – Ich leide, ein gewöhnlicher Brötchenverdiener aus Stuttgart zu sein. Ich rechne nach, auf was ich alles verzichten könnte, wenn ich austeigen würde aus dem Trott der Pflichtenhefte. Ich glaube es reicht nicht – sagt das Hamsterrad ganz unpoetisch.



Die Gegend hier heißt genauer Réservé Naturelle Géologique du Luberon – eine Schaubude der Farbträume. Aus dem betörenden Gelb des Ginsters wachsen bald immer mehr rote Ockerfelsen raus – Zapfen, Säulen oder auch Wände. Dann sind es wieder weiße Schichten oder fast schwarze. Noch vor Colorado Provençal (für Kinder: nicht Haribo! – für Cowboys: nicht Amerika!) liegt Gignac, eher ohne Ocker, aber wieder steigende Gassen und Treppen, Katzen, die sich den Bauch lecken. Auch Gignac ist großartig – zeitlos, zeitvergessen. Wer es auf der Karte nicht findet: nicht schlimm, so viele Besucher verträgt das Idyll nicht.

Colorado – hier geht es auf den Ockerweg. Einige Zugänge zu den brüchigen Felstürmen sind gesperrt. Radfahren geht kaum, der nahe Radweg hingegen schon zu weit entfernt von den Abbrüchen. Man müsste auch immer wieder die Berge ersteigen, auch hinter den Frontkulissen zeigen sich neue Facetten von Ockerbühnen – Türme und Soldaten des Erdreichs. Die Faszination ist heute etwas gedimmt unter grauem Himmel. Manche Felsen aber leuchten einfach so als seien sie fluoreszierende Erde.



Es wartet Apt, alte Gassen auch, Platz für Märkte und ausgeruhte Abende. Ich musste erstmal kräftig durchatmen, hatten mich die ausgeschilderten Campings gleich zwei Berge erklimmen lassen, bevor ich doch den dritten im Tal fand – zwei sportliche Extrarunden für die Katz. Rechne ich die Zeit zusammen, wäre ich anders auch noch bis Bonnieux gekommen. Aber vielleicht auch gut so. Die Landschaft atmet nicht so schnell wie der Antrieb eines Kettenfahrzeuges. Jeder Ort flüstert ins Ohr: „Bleibe und weile, du Rastloser!“

Mo 19.6. Apt - Col du Pointu (499m) - Bonnieux - Pont Julien - Roussillon/Trail d'Ocre - Gordes - Col des Trois Termes (574 m) - Combe de Vaulongue - dev. D177/D4 - Combe de Murs Venasque - Col de Murs (627 m) - Murs - Joucas - Murs
81 km | 1520 Hm | 6:51 h | 11,7 km/h

B: Trail de Ocre 2,50 €
AE: Hostellerie des Commandeurs (Joucas): Tarte Provencal, Salat, Kalbfleischröllchen, Kartoffelpuffer, Ratatouille, Cafe Gourmand 30,60 €
Ü: C Municipal Murs: 8,70 €

Erstmal weniger Ocker, dafür erste Borie. Hier als Hirtenbehausung. Weiter nördlich gibt es ein ganzes Museumsdorf damit. Tockensteinmauern ohne Mörtel, aber stabil. Manche sind nur um die 200 Jahre alt, andere bis zu 400 Jahre. Eigentlich wirken sie archaischer. Tatsächlich älter das Gemäuer in Bonnieux – ritzig von Unkräutern durchtriebene Treppen, kerkergleich schattig verschwiegene Hausbögen, steilgassige Stolperfallen. Ich hatte Angst vor dem Trubel, Bonnieux steht auf den Programmprospekten von Reiseveranstaltern wie auch Lourmarin zur anderen Seite des Berges. Gewiss, Besucher drängen sich durch den Ort, aber der Charme kann nicht geraubt werden. Probleme haben die Busse. Sie kommen nicht um die Ecke im Ort und schon ist Stau. Vorteilspack Fahrrad. Ätschi-Bätschi!



Das Auge ist eigentlich schon genug geschwängert. Jetzt auch noch Lavendel. Nicht Lavendel, sondern mehr Lavendel – ein Meer von Lavendel. Von Violett zu Grün: an der Pont Julien kreuzen Radwege, sogar eine Extra-Radbrücke – wir sind an einer der bekanntesten römischen Straßen, der Via Domitia. Neu dahingegen der Bahntrassenradweg dem Calavon entlang. Unter der historischen Pont Julien (eine Nachbildung der ursprünglichen römischen Brücke) quaken Frösche in grünem Algenschleim. Baden will man da eher nicht – wer weiß, vielleicht wäre es gesund?

Von Gelb zu Violett zu Grün zu Rot: Schon vor Roussillon passiert man rote oder rotgelbe Ockerfassaden und -türme. Lärchen- und Kieferngrün setzt sich dort unwirklich irisierend ab. Roussillon selbst ist Ocker – überall und ganz als Vollverkleidung des Ortes. Die Häuser in Rot bis Orange – das Kaleidoskop der Ockertöne, auf einem Hügel zusammengeschart. Der Ocker-Trail hier kostet Eintritt – im Gegensatz zu Rustrel. Das Geld ist nicht verloren, es gewinnt an Wert. Jeder Schritt ein Mehrwert. Da stakt man Ockertreppen runter, steht in Amphitheatern aus Ockerriesen, Figuren, Zapfen, Zipfel, Zuckerhüte. Grünkontraste dazu – wie Lebensadern in einer Steinwüste – oder umgekehrt. Das Auge schwimmt, weint, strahlt und ist geblendet. Die Bildbetrachter werden behaupten, ich pumpe mit Photoshop auf. Falsch, die Abbilder sind nur ein flauer Abklatsch des realen Farblichts vor Ort. Hier spielt die Kulisse selbst den Mephisto. Es müsste mindestens zehn Vorhänge geben. Aber noch besser ist Schweigen aus Demut.



Ocker ist aber auch historischer Farbstoff. Die Ockergewinnung hatte seine Tücken, harte Arbeit für Menschen, bis die Farbe sich vom Stein auf Stoffe und Leinwände übertragen ließ. Zur Geschichte und Technik der Ockergewinnung gibt es auch ein Museum. Roussillon ist voll mit Touristen – und doch auch hier jeder Winkel einen Blick wert. Spezialitäten, Kunst und Künstliches – und sogar gutes Eis. Um eine Ecke gegen Ortsende kann man die Arbeit in einer Ölmühle von früher bis heute einsehen. Es gibt die Olivenöle in silbernen Dosen als wären es Lacke. Wer bleiben kann, sollte wenigstens einen Abend verweilen. Der Radler scheucht sich wieder – herrje!

Das Borie-Dorf auf der Seitensackgasse hatte ich schon gestrichen. Gordes selbst liegt hingegen auf der Strecke, einen neuen Berg hoch. Ein E-Biker ächzt, ich muss ihn hinter mir lassen – er lacht sarkastisch. Gordes, noch so ein Verweilort – auch Burgberg, Schönste-Dörfer-Prädikat, Renaissance-Spuren. Touristen auch hier, Edelhotel sogar – Provence de luxe, mehr als Bonnieux oder Roussillon. Wieder Kunstateliers, Brunnen vor dem Tore, Terrasse unter Platanen, Treppengassen. Die historische Landarbeit ist auf großen Wandhängen plakatiert, die Gesichter tragen die Spuren des Lebens. Mir dürstet nach Wassermelone. Ich arbeite ja auch auf dem Lande, wenn man es genau betrachtet – meine Felder sind die Straßen.



Wegen Gordes hat man schon Höhe für die nächste Passhöhe gewonnen, verliert aber wieder durch eine Zwischenmulde mit Kloster. Glatter Asphalt und Schlucht hinunter zur anderen Seite. Von der Combe de Vaulongue zweigt man unmittelbar in die Combe de Murs Venasque mit Kurs auf den Col de Murs. Radlerisch auch eher ein leichteres Spiel. Oben auf dem Plateau überreife Kirschen. Niemand pflückt sie – welche Verschwendung von rotem Saft und Süße! Unwiderstehliche Verführung.

Hätte ich mehr Kirschen bunkern sollen? – In Murs ein einziges Bistro – wie so häufig mit dem Schild „fermé“. Kleine Burganlage, ein Borie. Ich riskiere den Weg hinunter zur anderen Seite, hoffe auf ein Hotel auf halber Strecke – Essen nur für Pensionsgäste. Also ganzer Berg runter nach Joucas – das ist schon fast Roussillon. Quasi einmal im Kreis rum. Das Gartenlokal hübsch, aber der Nachtlagerplatz weit oben in Murs – eine Hundejagdstrecke entfernt. Bei der Nachttour hecheln im Dunkeln kläffende Vierbeiner hinter mir her. Habe ich gut gegessen um jetzt selbst zur Schlachtplatte zu werden? Die unsichtbaren Schnauzen, aus den ich nur die fletschenden Zähne erahnen kann, bleiben bald zurück. Aufatmen und sogar noch eine Dusche in der Nacht. Das war jetzt nicht Landarbeit, sondern Nachtsport. Nacktsport dann wieder eher morgen.

Di 20.6. Murs - Col de la Ligne (756 m) - Col Faraud (665 m) - Saint Hubert (831 m) - Monieux - Gorges de la Nesque - Villes-s-Auzon - Col Notre Dame des Abeilles (996 m) - Sault - St-Trinit - Revest-du-Bion
92 km | 1655 Hm | 7:02 h | 13,0 km/h

AE: Proviant
Ü: C Municipal 3 €

Das Plateau de Vaucluse sorgt für eine nicht immer einfache Topografie, mehrfach haben sich Zwischentäler südlich der Gorges de la Nesque in die Hochebene eingeschoben. Die Steigungen hier nicht prominent, aber doch häufig unzugängliche steinige Hänge, die von struppigen Niederhölzern überwuchert sind. Erst in Monieux findet man wieder kleine Gastronomie und Unterkunft, sogar ein Freizeitgelände mit Anglerteich. Die Rennradlerdichte steigt an (sogar einige Reiseradler und E-Biker), denn die Gorges de la Nesque ist so eine Art Vorhof für den velophilen Mythos Mont Ventoux, den man hier in der Schluchtroute nur selten sehen kann, dafür bereits deutlich zuvor von der Nordflanke des Plateau de Vaucluse aus.



Die Gorges de la Nesque offenbart sich trotz des mäßigen Gefälles mit einem grandiosen Kurvenlabyrinth, wirbelt durch Felstunnels, Steinvorsprünge streifen fast die Kopfhaut, während die hellen Felsmusterungen immer wieder gleißendes Sonnenlicht zurückwerfen. Mitten in einer großen Kehre rauchen die Bremsen – ganz verschämt unter Felsen wartet eine Honigverkäuferin auf Kunden. Schlechte Marktlage, denke ich, welcher Rennradler kann die aromareichen Nektarextrakte in Gläsern transportieren? Die Honigaromen sind vielfältig und ausgefallen, typisch etwa Rosmarin- oder Lavendelnoten – Honig einkaufen in der Gorges de la Nesque, Empfehlung für felsversessene Leckermäuler!

Von Villes-sur-Auzon, wiederum beliebter Rastort für Rennradler, führt die breit angelegte D1 in einem ganz anderen Landschaftsbild auf eine Hochebene. Weitgehend offen durch Strauchgewächse, gräbt sich unter bleichender Sonne jeder Tritt mühsam ins Wadenbein. Im Schatten des Mont Ventoux, der seine abweisende harte Kalkschicht der geologisch zweiträchtigen Faltung von Pyrenäen und Alpen verdankt – quasi als Beweis der Zerreißprobe widerstanden zu haben –, gleicht die Strecke ein wenig der Nordwestrampe am Ventoux von Malaucène aus. Es fehlt hier die glorreiche Inthronisation des Radlers durch einen markanten Hochpunkt mit Observatorium, denn der Pass Abbeiles zerfließt mehr oder weniger unmerklich auf einer schnurgeraden Linie, die auf dem Plateau immer mal wieder von einer Zwischenmulde aufgerieben wird.

Der eigentliche Glanz der Strecke entfaltet sich erst mit dem an einen Hang aufgeschichteten Sault, unter dessen pittoresker Silhouette sich Lavendelfelder ausbreiten, die hier zum einträglichen, traditionellen Einkommenserwerb beitragen. Die Essenzen von Lavendel und Lavandin (ein Hybrid-Lavendel, ertragreicher als gewöhnlicher Lavendel, aber weniger edel) werden in allen Formen der Verwertung von Parfum über Seifen bis zu Marmeladen und Honig angeboten, zuvorderst in einer Kooperative noch unterhalb des Ortes gelegen, die auch Einblicke in die Produktionsprozesse der Destillation des Duftgoldes gibt. Der Duft lässt sich sogar gut im Reisegepäck des Radlers nach Hause tragen, weil die getrockneten Blüten in dekorativen Kissen und Säckchen eine ebenso schmucke wie haltbare Konservierung ermöglichen.



Lavendel und meist Lavandin wachsen zwar auch in den niederen Ebenen etwa der Basse Durance oder weiter nördlich der Drôme, aber die Hauptanbaugebiete des hochwertigen Lavendel sind in den Hochebenen und bevorzugt auf Höhen um die 1000 m, auch bis zu 1500 m, erhalten erst ab 800 m Höhe das AOC-Prädikat von Provence-Lavendel. In Tat- bzw. Produktionseinheit der kargen Böden steht auch das Petit Épeautre, kleines Dinkelkorn, auch Einkorn genannt, eine Art Urweizen, der für die Ernährung der Lavendelregionen einst eine tragende Rolle spielte und heute wieder neu entdeckt wird, so auch hier in Sault.

Damit ist aber die Genussregion Sault am Fuße des Ventoux (Radtrikots mit dem Berg natürlich überall zu Nepper-Preisen erhältlich) noch nicht vollständig beschrieben. Sicherlich gehören auch Käse und Wursterzeugnisse zum lokalen Geschmacksportfolio, jedoch ragt noch eine weitere Spezialität heraus, das weiße und schwarze Nougat. André Boyer, der Nougatmeister des Ortes (Museum und Workshops bei Voranmeldung), verarbeitet Honig, Mandeln und Karamell natürlich noch in anderen schmackhaften Varianten als Calissons, Krokantgebäck und Makronen – es wartet aber auch erlesene Schokoladen, Kekse aus Petit Épeautre oder die gepuderten Guimauves à l‘ancienne, die in ihrer Konsistenz wie auch im Geschmack eine Edelvariante von Marshmallows darstellen.



Dieses Genusszentrum Sault soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Infrastruktur auf der Hochebene recht bescheiden ist. In Revest-du-Bion kann man sich auf das ansässige Bistro nicht unbedingt verlassen, nächster zuverlässiger Versorgungsort in Richtung Osten ist erst wieder Banon. Auch wenn es über die Hochebene keine radlerischen Herausforderungen gibt und spektakuläre Landschaftsformen fehlen, übermannt einen immer mal wieder ein wahrer Farbrausch, wenn da Lavendelfelder auf frisches Giftgrün treffen oder die Beigetöne des Petit Épeautre sich mit leichtem Goldschimmer dazwischen schieben.

Mi 21.6. Revest-du-Bion - Banon - D201 - Col de Val Martine (655 m) - Carniol - Oppedette - Gorges d'Oppedette - Grand Vallat - (501 m) - Prieuré Carluc - Reillane - Les Granons - Col de Montfuron (645 m) - dev. D907/D105 - dev. D105/D505 - St-Martin-les-Eaux - Dauphin - Col de la Mort d'Imbert (591 m) – Manosque – Pont Manosque
86 km | 1075 Hm | 6:10 h | 13,9 km/h

AE: Les 2 Frères: Melone m. Schinken, Lammfilets, Kartoffelpürée, Pfirsichsuppe m. Basilikum, RoséW, Cafe 32,50 €
Ü: C frei

Südlich von Banon nehmen die Berg- und Talfahrten wieder zu. Über das auf einem Felssporn liegende Oppedette erreicht man südlich davon die gleichnamige Schlucht, die sich aber von der Straße kaum einsehen lässt. Sie kann auf Wandertrails auch auf der Talsohle erschlossen werden. Nimmt man den Abzweig Richtung Les Roux bzw. Ste-Croix-à-Lauze, ergibt sich nach weiteren Lavendelhügeln ein Schotterabzweig nach Süden. Dieser Schotterstrecke ist recht heftig auch ob ihrer Steigung, lässt sich aber wegen der Kürze der Strecke notfalls auch mal schieben. Vom Hochpunkt geht es asphaltiert weiter über ein schon weitgehend verfallenes Kloster (Prieuré de Carluc), wo Informationstafeln die Geschichte des Ortes erläutern. Als Radroute ausgewiesen ist die weitere Strecke nach Reillane, welches sich auf einem Hügel als charmanter, aber wenig touristischer Balkonort empfiehlt.



Bleibt die Strecke zum Col de Montfuron bei zunehmenden Verkehr eher landschaftlich unterdurchschnittlich, entblättert sich mit dem Abzweig über St-Martin-les-Eaux noch eine Kuriosität. Mitten im kaum einsehbaren Abhang in einer Kehre gelegen, entspringt eine Quelle mit schwefelgeschwängertem Wasser. Das Wässerchen diente Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts als Heilquelle und begründete einen Kurort, für den keine Anstrengungen gescheut wurden, um die Gäste dorthin zu bringen. Die Eisenbahn brachte die Gäste von weit in die Talsohle, Kutschen überwanden die schwierigen Höhenstufen und weiter oben brachten Autobusse der ersten Generation die Gäste zu Hotels, der es mehrere gab. Mit dem Abgesang der Hochzeit von Kurorten auch durch die beiden Weltkriege generell sowie mit zunehmend umstrittenerer Heilwirkung des Schwefelwassers im Speziellen endete die Zeit als Bäderort mit Schließung der medizinischen Einrichtungen 1942 gänzlich – heute nur noch Siedlungsort. Die Quelle mit dem fauligen Geruch ist unweit der Straße per unauffälliger Treppe zu erreichen (deutlich vor und unterhalb von St-Martin-Ort). Nahebei erzählen mehrere Informationstafeln und eine Stahlmotivwand die Geschichte des Ortes an der Stelle der ehemaligen Bädereinrichtungen.

Ich erreiche Manosque zur Dämmerung und finde ein lautes Menschengewimmel vor, dass sich aus den modernen Stadtviertel her in die Altstadt hineinschiebt. Aus Süden gelangt man durch das Salztor, wo man auf dem Boden vier Hände zu seinen Füßen vorfindet. Sie weisen auf das Stadtwappen und die viergeteilte Stadt im Mittelalter hin – unter dem Motto "Omnia in manu dei sunt" (Alles ist in Gottes Hand). Auf den verschiedenen Plätzen, die sich überall verwinkelt auftun, spielen Gruppen unterschiedlichster Musikrichtungen – traditionelle Zigeunerklänge, moderne Blues-Grooves, multiethnische World Music oder elektronische Rockverzerrer. Es ist lange Musiknacht und für die Gastronomie im Ausnahmezustand. Nur noch abseitig des historischen Kerns konnte ich ein Speiseangebot erhalten. Dem Musikfest angemessen, lasse ich hier mal für die vielen mittelalterlichen, heimeligen Mauerorte des Luberon die historische Musik aufleben, lebt in ihr ja auch das Okzitanische ebenso wie das Poetische der Region fort:

Les Musiciens de Provence „Estampie et Ungaresca“ (3:01 min.)

Bildergalerie PACA-2 (145 Bilder):



Fortsetzung folgt
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#1362645 - 14.11.18 20:47 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
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PACA-3 Basse Durance mit Gorges/Parc Naturel Régional du Verdon

Mittagszeit, kleine Wellen schlagen an die Steinkanten, das Prickeln des gestauten Verdonwasser auf der nackten Haut – hier am Lac d’Esparron zum Eintauchen smaragdfarben schön. So oft er von hohen Mauern in seinem Lauf auch aufgehalten wird – quasi zur kräuselnder Stille seiner Schluchtenwinde gezwungen wird – so wenig lässt der Verdon sich bis in seinen Unterlauf die belebende Alpenfrische nehmen, die er weit oben vom Col d’Allos herunterträgt. Vor den Augen quellen die Genüsse vom geschmacksintensiven Markt in Greoux-les-Bains noch einmal auf – ein Farbenmeer der Gaumen- und Nasensinne. Eine Spezialität der Region ist ein gemischter Ziegen-/Kuhmilchkäse, der in braungegilbte Weinblätter eingewickelt wird, von herb-herzhafter Cremigkeit gezeichnet.



Do 22.6. Pont de Manosque - Gréoux-les-Bains - Camping Naturiste Verdon-Provence (600 m)
23 km | 485 Hm | 2:02 h | 11,0 km/h

AE: C Naturiste Verdon-Provence: Salade Chèvre Chaud, Hähnchenspieß, Pommes, Gemüse, Salat, Eisbecher Le Gourmand, RoséW, Cafe 36,50 €
Ü: C (dito) 10 €

Fr 23.6. Camping Naturiste Verdon-Provence - Esparron-de-Verdon - Albiosc - (547 m) - Quinson - St-Laurent-du-Verdon - Montpezat - Barrage de Ste-Croix - (Ste-Croix-du-Verdon) - (642 m) - Riez - (680 m) - Moustiers-Ste-Marie
69 km | 1175 Hm | 5:41 h | 12,1 km/h

AE: R La Bonne Auberge: Ente m. Lavendelhonigsauce, Pommes, Salat, Gemüse, Erdbeerbecher, RoséW, Cafe 32,70 €
Ü: C Le Vieux Colombier 11 €

Esparron könnte man schon am Ende der Welt vermuten, nur wenige Besucher verirren sich trotz der traumhaften Wassersportmöglichkeiten dorthin. Eine Burg hier in Privatbesitz, Platanenallee weiter, leichte Hügel, mal Lavendel, mal Niederbuschwald. Kleinste Orte, mal ein Radler, bald dann wieder See bei St-Laurent. Man fährt eher neben dem See, nur leicht erhöht, Abzweige zu leicht erreichbaren Strandbuchten. Bis zum großen Lac de Sainte Croix brechen wieder Schluchten durch den Felsen, die umfahren werden müssen – zweimal kräftige Anstiege, Erlösung im Leuchtpuder aus Karibikblau des Seespiegels und Sonnengelb des Sandufers.

Nach der Brücke kontinuierlicher Anstieg, die Straße bleibt oberhalb des Ortes Ste-Croix, oben Aussicht mit Panoramatafel. Man muss sich entscheiden zwischen Höhenroute zur Uferseite oder etwas verkehrsreicher den Umweg über Riez. Diese Route wirkt zunächst etwas öde, tiefbraune Erde, aber auch Lavendel, dazwischen riesige Elektromasten. Die Szenerie entfacht mit den drohgebärdenen Wolken ein außergewöhnliches Lichtspiel, die geometrische Anordnung wird zu einem der großen Blickfänge der Reise. Diese Momente sind nicht berechenbar.



Riez präsentiert sich als lieblich anmutendes Zentrum zahlreicher kleiner Restaurants in Gassen und auf Terrassen. Man möchte bleiben und schlemmen. Ich nehme noch Kurs auf Moustiers-Ste-Marie. Ein Ort wie in den maghrebinischen Wüstengebirgen in den Felsen gehauen, kaum die Farbe der Gebäude von der Farbe des Felses zu unterscheiden. Campings auf fast allen Höhenebenen, weit oben lohnt, weil dann der Zugang zu Binnenmeile nicht weit. Die Zeit drängt, leckere Ente, zum Schluss das Desaster des geklauten Kameraakkus samt Ladegerät. Hotel und Restaurant haben die selbe Toilette, aber gehören nicht zusammen. Beide Betreiber sind sich offenbar nicht ganz grün – der Gast muss es auslöffeln.

Die Chance auf ein Ersatzladegerät war auf meiner Route zunächst mal recht gering. Die Besprechung in der Touristinfo in Palud ergab Sisteron oder Digne-les-Bains, wobei die Dame Sisteron eher ausschließen wollte. So rief ich in ein Fotogeschäft in Digne an, die mir versprachen ein funktionierendes Universalladegerät bereitzuhalten. Es kam dann doch noch etwas anders, konnte ich bereits in Sisteron ein solches Gerät erwerben – allerdings nicht im dort südlich gelegenen Elektronikmarkt, sondern im nördlich gelegenen Supermarkt. Das ergab sich dann erst beim zweiten Besuch von Sisteron und sorgte bis dahin für die sparsame Verwendung der Kamera, um mit den zwei restlichen zwei Akkus entsprechend lange durchzuhalten.

Sa 24.6. Moustiers-Ste-Marie - Col de l'Olivier (711 m) - Col d'Ayen (1052 m) - La Palud-s-Verdon - Chalet Martel - Pas de l'Aubac (1330 m)/Point Sublime - La Palud - Col de la Croix de Châteauneuf (1042 m) - Col des Abbesses (1286 m) - Les Louches - Col de la Cabane (1342 m) - Col de St-Juris (1318 m) - St-Juris - Estoublon
90 km | 1955 Hm | 8:40 h | 10,4 km/h

AE: Musikfest Estoublon: Salat, Nudeln m. Gulasch, Apfelkuchen, Bier, Cafe 20 €
Ü: C frei

Für den aufregend am Fels aufsteigenden Ort Moustiers-Ste-Marie war das schon ein schlechter Beginn, die Motive hier vielfältig in atemberaubenden Perspektiven. Die Verdonschlucht erklimmt man quasi wie durch eine Pforte, wo sich noch letzte Panoramablicke auf das weite Blau des Ste-Croix-Sees ergeben. Die aufregendsten Felsgestalten finden sich gleich zu Beginn, fortan wandert die Schlucht eher immer wieder aus dem Auge des Radlers, bis man ganz abgewandt eine aufsteigende Wiesenebene nach Palud erklimmt. Von dem Globetrottertreff mit Späthippie-Wanderern und Cabrioaufschneidern sorgt dann die Rundschleife für weitere eindrucksvolle Schluchteinblicke, insbesondere mit den Felsenwänden der Gegenseite. Dazu taucht man zunächst weit ab und erklimmt die höchste Höhe der gesamten Nordroute, die Steigungen dabei auch die kräftigsten. Beachten sollte man, dass es für Teile der Rundschleife einen Einbahnverkehr gibt, d.h. die Runde regulär nur im Uhrzeigersinn gefahren werden kann. Wegen der Aussicht ist jedoch eine Fahrt am rechten Straßenrand und damit die entgegengesetzte Richtung sinnvoller. Als Radfahrer ist das auch grundsätzlich möglich, weil die Einbahnpassage nicht allzu schmal ist. Risiko und denkbare Sanktionierung musss jeder selbst abwägen – ich sehe hier aber keine Probleme. Wählt man die Richtung entgegen dem Uhrzeigersinn, beginnt die Einbahnpassage bei einem Ausflugslokal, das große Aussicht bietet.



Mit dem Col de la Croix de Châteauneuf eröffnet sich eine veränderte Forstsetzung mit einer Nebenschlucht, die mit mehr Vegetation belebt ist, sodass man auch Pinienhaine, Bergwiesen und Buschwerke durchfährt. Nach der Passhöhe taucht man tief und steil ab um dann bei ebenso heftigen Neigungswerten zur Straße der Gegenseite aufzusteigen. Bis zum Weiler Les Chauvets mit kleiner Kapelle ist die Strecke asphaltiert, danach folgt man einer weitgehend gut fahrbaren Piste über den Col des Abbesses. Danach ergeben sich zwei Möglichkeiten zum Kiesbettfluss Asse mit dem Örtchen Estoublon vorzustoßen, via Majastres oder über St-Jurs, so ich diesen letzteren Weg gewählt habe. Die Route führt zunächst durch dichteren Wald, lockert mit der ersten Passhöhe auf, in der Ferne erahnt man die Furche der Trévans-Schlucht. Für die Abfahrt muss man teils recht lose schottrige Passagen bewältigen, die obersten Asphaltteile weisen ein sehr starkes Gefälle auf, sodass ich die Umkehrung der Route weniger empfehlen würde.

Estoublon liefert zwar eine Basisversorgung, den angeblich vorhandene Camping à la ferme kann ich nicht finden. Die einzig denkbare Gaststätte, kein reguläres Restaurant, bietet allerdings keine Gerichte an, weil ein Fest mit Nachwuchsbands stattfindet. Dafür gibt es ein Outdoor-Menü auf Plastiktellern, das noch hinter den musikalischen Darbietungen deutlich zurückbleibt. Obwohl eine touristisch entlegene Region, treffe ich ausgerechnet auf den Bänken des Festes auf eine Schweizer Ehepaar, die hier seit Jahren wiederkehren.

So 25.6. Estoublon - Trévans/Gorges de Trévans (kurze Wanderung) - Estoublon - Bras-d'Asse - St-Jeanet - Col d'Espinouse (838 m) - Les Ragots - Malijai - Les Mees - Peyruis - dev. D12 - Forcalquier - Les Mourres - Fontienne (726 m) - St-Etienne-les-Orgues
82 km | 1130 Hm | 6:13 h | 13,1 km/h

AE: Ritchie Pizza: Pizza Corse, Tiramisu, RoséW 21 €
Ü: C frei (WoMo-Stellplatz ohne Infrastruktur)

Die Gorges de Trévans erreicht man über eine Stichstraße zu dem exponiert gelegenen Ort Trévans. Noch unterhalb des Ortes befindet sich ein Parkplatz, von dem aus man auch per Fahrrad nur noch wenig weiterkommt. Die Schlucht wird durch große Blocksteine und eine große Gumpe gleich zu Anfang quasi abgeschlossen und lässt sich weiter aufwärts nur erwandern, teils unter überhängenden Felsen hindurch. Ich nehme hier nur einen Teil unter den Fuß, der aber wohl schon die eindrucksvollsten Passagen beschreibt.



Es warten schon weiter stille Winkel in Bras-d’Asse, Lavendel am Col d’Espinousse, Flussbettinseln im Unterlauf der Bléone und – Les Mées. Les Mées? Eine hässlicher Supermarché, ein paar mittelprächtiger Häuser, aber eine Felsnadelwand in einmaliger Konstellation. Man könnte auch meinen, dass hier die Ausgabestelle für Hinkelsteine ist und Obelix jederzeit um die Ecke schaut. Man hat Mühe, die eigentümliche Felsparade abzulichten. Im Ort stellen sich die Felsen steil hinter den Häusern auf und der hässliche Supermarché erhält eine ganze neue Deutung mit dieser Kulisse.

Es folgen weitere Felskuriositäten. Die Rocher des Mourrés bezeichnen kuriose Ansammlung von natürlich geformten Felsskulpturen – Köpfe, Brücken, Löcher, Tulpen – wenn man die Fantasie spielen lässt. Das Steinfeld befindet sich zwischen Forcalquier und St-Etiènne-les-Orgues. Da darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass Forcalquier ein pittoreskes Kleinod am nordöstlichen Luberon-Ausgang markiert – ein Hügelort mit wiederum kleinen Gässchen und einladenden Plätzen um zu schlemmen und anzustoßen das Wiedersehen oder dem erneuten Abschied vom Luberon. Das hatte ich zu leicht ausgeschlagen der wenigen Kilometer mehr an den Rand der Montagne de Lure, dem entschleunigten St-Étienne-les-Orgues. Etwas zu entschleunigt, fehlt ein reguläres Restaurant, bleibt eine etwas seltsame Pizza-Gaststätte. Camping gibt es eigentlich nicht, aber ein Wohnmobilstellplatz.

Bildergalerie PACA-3 (86 Bilder):



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#1362785 - 15.11.18 19:56 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
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PACA-4 Sisteronais mit Montagne de Lure & Géoparc de Haute-Provence

Neuland wartet. Spannende Steinwelten. Ein Schild kündigt die Montagne de Lure als Herausforderung für Radler an. Also auch ein Pilgerberg für Wadenbeißer? Die Ähnlichkeit mit dem Mount Ventoux hat er oben, ich sagte es eingangs. Endemische Pflanzenwelt, Planetenlandschaft. Der höchste Punkt ist weder ein Pass noch die Bergspitze selbst, auf der das Observatorium thront. Mindestens eine Schotterpiste würde ganz hoch führen. Auffahrtsseite passiert zuvor noch markant unter der Gipfelregion eine Berghütte zum Übernachten und Verpflegen. Nicht angekündigt der Fuchs, der keine Scheu zeigt. In diesem Kapitel der zweite dieser Art. Füchse – wer mit den Tieren auf Kriegsfuß steht, sollte diese Kapitelregion meiden.



Mo 26.6. St-Etienne-les-Orgues - Refuge de Lure - Signal de Lure (1749 m) - Pas de la Graille (1597 m) - Col St-Robert (908 m) - Valbelle - dev. D946/D53 - Sisteron - Valernes - Vaumeilh - Col de Grêle (728 m) - Sigoyer
92 km | 1710 Hm | 7:18 h | 12,5 km/h

AE: Proviant
Ü: C frei

Di 27.6. Sigoyer - Col du Haut Forest (833 m) - Melve - Col du Château (803 m) - La Motte-du-Caire - Col de Sarraut (980 m) - Gigors - Breziers - Epinasse - La Bréole - Col de Charmel (1230 m) - Col des Fillys (1322 m) - Villaudemard - Col des Garcinets (1185 m) - Turriers
80 km | 1495 Hm | 6:44 h | 11,8 km/h

AE: Bar de France: div. Farce, , Pasta Bolognese, Käse, Birnentorte, RW, Cafe 15 €
Ü: C frei

Mi 28.6. Turriers - Col des Sagnes (1182 m) - Bayons - Clamensane - Nibles - Sisteron - Col de Mézien (814 m) - St-Geniez - Authon - Col de Fontbelle (1304 m) - Col d'Hysope (1236 m) - Melan - Thoard
84 km | 1305 Hm | 6:22 h | 13,1 km/h

AE: C Thoard: Pasta Carbonara, Eis, RW, Cafe 15 €
Ü: dito 8 €

Do 29.6. Thoard - Pas de Bonnet (886 m) - Les Augiers - Digne-les-Bains - Barles - Auzet - Col du Fanget (1459 m) - Seyne
70 km | 1180 Hm | 5:45 h | 11,6 km/h

AE: H/R ?: Pizza Savoyarde, warmer Schokokuchen, m. Vanillesauce, RW, Cafe 23,50 €
Ü: C La Blanche 10 €

Das Wetter des Tages meint es weniger gut. Eingetrübt, recht kühl, droht eine dunkle Regenfront aufzulaufen. Der Anstieg ist dank recht gleichmäßiger Steigung weniger martialisch als die Ankündigung glauben machte. Dafür jagt mich die Wetterfront vom Berg runter. Wer ist schneller? Ich schaffe es bis Sisteron nicht ganz ohne Regen, aber die große Regentraube bleibt zurück in den Bergen. In Sisteron ein letztlich eher nutzloser Abstecher nach Süden zum Elektronikmarkt. Ganz umsonst war es nicht, beim benachbarten Decathlon-Laden erhielt ich neue Sandalen – ich verlor die alten auf der steilen Schussfahrt bei St-Jurs.



Der Exkurs brachte immerhin eine Besserung des Wetters. Schon in Sisteron markiert ein eigentümlicher Fels die Typik der folgenden Region, ausgeschliffene Felsrillen chiffrieren alte Erdschichten oberhalb der Bodenkrumme. Die Varianten sind ein eigener Kosmos von Formen und Farben, treiben sich exhibitionistisch ins Auge wie sie gleichzeigt die Geheimnisse von Urzeiten nur fragmentarisch preisgeben. Ich tauche ein in den UNESCO Global Géoparc de Haute-Provence: Karte. Er ist eine Art Gedächtnispodium der Erde, das millionenalte Epochen mit dem historischen und heutigen Wirken des Menschen verbindet.

Die Verbindung stellen Werke der Modernen Kunst her. Museen und Produzenten regionaler Produkte wie dezenter Tourismus integrieren die heutigen Bewohner im symbiotischen Einklang mit der Geschichte der Erde und des Menschen, geben ihnen Einkommen und Lebensgrundlage. Wer sich an der verlinkten Karte orientiert: Gefahren bin ich einen Teil der Lavendelstraße zwischen den Seen (orange); überwiegend die Straße der Hochebenen (rot) mit prähistorischen Gesteinsschichtungen und zivilisatorischer Nutzung durch den Menschen; die Straße der Zeit (blau) mit natürlichen wie menschlichen Insignien und Gedanken aus unterschiedlichsten Zeiten – die man als „Schlüsselstraße“ des Geoparks bezeichnen muss; die Straße der prähistorischen Spuren in Natur und Kunst (violett); auf dieser Tour nicht gefahren bin ich die Straße der Berge und des Menschen (grün).

Die Region ist allerdings nur spärlich touristisch erschlossen, hier wäre noch Luft nach oben. In Sigoyer und Thoard haben die jeweils einzigen Restaurants nur 3-4 ausgewählte Öffnungstage – sehr leidlich, weil vielversprechende Lage. Das trifft dann auch auf weitere Einrichtungen, etwa die reguläre Bäckerei in La Motte-du-Caire, für die es aber etwas weniger noblen Ersatz gab. Mit La Motte-du-Caire ist auch einiges der wenigen kleine touristischen Zentren mit Campingplatz genannt, die sich innerhalb in der kreisrunden Nischenregion zwischen Durance, Bléone und D900, wo jeweils der Transit in die Alpenregionen von Hautes-Alpes fließt. Natürlich kann man den infrastrukturell besser aufgestellten Ring auch miteinbeziehen, um die Region zu erkunden – so finden sich gute Möglichkeiten nebst Sisteron und Digne-les-Bains besonders auch am Lac de Serre-Ponçon.



Mit einem ersten Abstecher zum Lac de Serre-Ponçon (Staumauer) kehre ich zurück nach La Bréole, wo ich schon auf meiner Alpenreise 2005 Gefallen am regionalen Kunsthandwerk insbesondere von farbig modellierten, ausgehärteten Lederfiguren und -accessoires fand. Da sind Schildkröten und anderen Tiere, Blumenwasen für Trockenblumen, auch Lampen oder andere größere Wohnaccessoires. Diese Souvenirs sind ziemlich tourenradfreundlich, weil sehr leicht, leider manchmal aber auch recht voluminös und sperrig. Gleich nebenan ist noch ein Skulpteur, die sich mit Stein befasst – da sackt das Rad schon mal mehr ab. Dennoch sind auch dekorative Miniaturen zu finden wie etwa Sonnenuhrenmodelle.

Es ist hier schwer, alle Höhepunkte zu benennen. Schon die kleinen Einstiegspässe in Richtung Sigoyer liefern verheißungsvolle Ansichten von Erdplatten und idyllischer Vegetation. Der Colle de Sarraut bietet ein vielfältiges Bild von Maulwurffelsen, die aus der Erde rausschauen, aber auch ganze Bergmassive, schwarze Abhänge, einen ockerbraunen Spreizwasserfall, kleine Hügeldörfer im Norden. Da und dort finden sich Mohnfelder, u.a. auch am Col de Charmel/Col de Fillys, welcher als einziger eine unerbittliche Rampe aufweist – die meisten Pässe darf man als gemäßigt bezeichnen. Einen Haufen von Felsspänen als wäre es Holzrinde beschreibt den grandiosen Col des Garcinets – eine ideale Ergänzung zur Gorges de la Blanche (die ich bereits auf einer früheren Tour mal gefahren bin). Die Südseite des Col des Sagnes besticht mit einem ein Kurven- und Felsenlabyrinth und dem verwunschen Kleinod Bayons.



Schwer zu glauben, dass sich die Faszination noch steigern kann, nachdem ich Sisteron erneut gestreift hatte. In mehreren Auf-und-Abs fährt man als Höhenpanoramastraße die „Road of Time“ mit dem Stein der Inschriften, der auf die römische Herrschaft des 5. Jahrhunderts zurückgeht oder das eiförmige Steinmal von Andy Goldsworthy, mit Materialen aus der Region zusammengebaut, ohne Bindemittel und als Kunstwerk dem Zerfall als Zeichen der Zeit preisgegeben. Die besonderen Lichtstimmungen bei kräftigeren Wolken verstärken die Wirkungen dieser Route noch. Das Tunnel- und Felsenlabyrinth erfährt seinen Höhepunkt schließlich mit der Clues de Barles und weiterführend Clues de Verdaches, sowie die Fortsetzung derselbigen in Richtung Col du Fanget. Schon vor den Engstellen öffnen sich am Straßenrand Ammonitenabdrücke – für Ichthyosaurus müsste man noch in die Seitenarme wandern. Dagegen fällt der wirtschaftliche Knotenpunkt Digne-les-Bains recht bescheiden ab, bietet weit weniger reizvolle Ecken als Sisteron.



Zur Faszination gehört auch die geballte Kraft der Naturelemente Feuer, Wasser und Wind, die sich auch hier Bahn brechen – und dem sich auch der Besucher stellen muss. Hatte ich mit dem freundlichen holländischen Gastwirt Bert vom Café de France in Turriers auch über sein Nebengeschäft mit Weberei insbesondere von Rüschenstoffen, auch von Puppenkleidern, gesprochen, so gab er mir den Tipp, auf der Anhöhe oberhalb des Ortes auf der Bergkuppe zu zelten. Ziemlich unbedarft verwarf ich meine Pläne eine Schutznische im Ort zu suchen und missachtete auch das nahende Wetterleuchten.

Der weltgewandte Holländer, der Grußkarten seiner Gäste aus aller Welt sammelt (auch Australier verirrten sich dort), versprach mir das große Déjà-vu des Erwachens mit einem gigantischen Panorama. Der Holländer sollte recht behalten, nimmt man das Bild die Wolkenschwaden des nächsten Morgens, wie sie unten im Tale kleine Dorfkirchen herausschälten. Die umherstehenden Kühe schauten indes mit einem gewissen Kopfschütteln herüber, denn das Panorama noch zu erleben darf ich auch den letztlich wohlwollend gestimmten Göttern verdanken. Der überirdischen Prüfung oblag ein infernalisches Gewitter mit Sturmböen, die mein Zelt an die Leistungsgrenze gebracht haben dürften. Ob das Kreuz des Hügels in weißer Voraussicht für den vom Götterdonner Erschlagenen dort steht oder den Schutzpatron für verwegene Gäste symbolisiert, muss hier als offene Frage stehen bleiben. Die Geschichte vom „fliegenden Holländer“ hätte ich gerne Bert noch beim Kaffee erzählt, er hatte mir aber bereits bezeugt, nicht zu den Frühaufstehern zu gehören, weswegen ich dies ausfallen lassen musst.

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#1362786 - 15.11.18 19:59 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
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PACA-5 Haute Durance mit Guillestrois & Parc National des Écrins

Seyne, strahlende Morgensonne jenseits des Bergschattens, nass tropfende Zeltplane. Schuhe fast trocken. Wieder hatten sich Wolken am Vortag ausgetobt, schon auf dem Weg zum Col du Fanget brach der Himmel erstmals ein. Abends in Seyne dann weiter Wolkenbruch. Kleine Regenpausen ermöglichten doch noch gerade soeben, das Zelt aufzubauen. In der Morgensonne verlocken die Produkte des Marktes noch mehr. Überraschend viel Seefisch wird in dem Scheideort zwischen den mediterranen Bergketten und den Hochalpen von Ubaye und Haute Durance angeboten. Die Kuhglocken im Supermarkt sind da schon authentischer für die Käseproduktionen aus den Eutern der Weidekühe, die sich hier einen ebenso vergnüglichen Morgen zusammenschmatzen.

Fr 30.6. Seyne - Col St-Jean (1333 m) - St-Vincent - Ubaye - Col de Pontis (1301 m) - Lanthelme - Savines-le-Lac - Siguret - St-Clement-s-Durance
80 km | 1325 Hm | 6:27 h | 12,2 km/h

AE: R La Guilde de L'eau Viva Rafting: Entrecôte, Pommes, RW, Cafe Gourmand, Likör (von Gast spendiert) 27,50 €
Ü: C Les Mille Vents

Auf dem Col St-Jean wird der alpine Wechsel in Chalets für Skitourismus sichtbar. Und doch eröffnet dann ein blaues Meer nach Norden und Westen ein berauschendes Panorama. Die Straße muss sich indes sehr eng am Fels winden, um die kleine Brücke am Ende des Stausees zu finden. Für zwei Fahrspuren reicht der Platz unten dann nicht, eine muss kurz durch einen Tunnel gelegt werden. Im See stehen sich Bäume die Wurzeln nass – ob sie das mögen? – Aus dem Grün der Uferböschungen windet sich die Straße zum Col de Pontis steil nach oben, ermöglicht die wadenbeißende Abkürzung der Uferroute, die allerdings auch nicht ganz flach ist. Immer wieder ergeben sich neue Panoramablicke – bald auch schon zum Nordteil des Lac de Serre-Ponçon – Inselkapelle und die Brücke sind besondere Blickfänge.



Ich unterlaufe das Felspanoramastädtchen Embrun, dazu kann man auf einem kleinen Fahrweg fast direkt an der Felswand nebst Kleingartenanlagen entlang fahren. Nach Uferwechsel und Anstieg fährt man eine Halbhöhenstraße mit stetigem Panorama auf das mäandernde Silberband Durance. Eigentlich wollte ich noch einen stark ansteigenden Stich zum Lac de Siguert fahren, der stark aufgefrischte Wind hatte aber meine Kräfte schon aufgebraucht. Der Camping hatte zum Glück windbrechende dicke Hecken, die den aufkommenden Schüttelfrost eindämmen konnten.

Sa 1.7. St-Clement-s-Durance - Le Plan de Phazy - Mont-Dauphin - Fontaine Pétrifiante de Réotier - Chanteloupe - Pallon - Les Ribes - Parking Dormillouse des Cascades (1440 m)/Vallée de Freisinières - Les Ribes - Pallon - L'Argentière-la-Bessée - Col de la Pousterle (1763 m/1825 m?) - Puy-St-Vincent - Vallouise
71 km | 1585 Hm | 6:54 h | 10,3 km/h

AE: H/R La Pendine (Puy-St-Vincent): Apfelkäsetörtchen, Wurst, Salat, Lammfilet, Kartoffeltörtchen, Gemüsetörtchen, Avocadocrème, Erdbeersuppe m. Schokokrispeln & Vanillesauce, RW 39 €
Ü: C GCU

Badewasser, ca. 28 °C. Fuß raus, Sonne lacht, Wasser dampft. In den Eisenrot gefärbte Bassins hat man Mühe die Position zu halten, rutschig wie Algenschleim. Nur ein Wohnmobil steht am frühen Morgen an der Source de le Plan de Phazy, das Imbisshäuschen noch geschlossen. Nur bibbert man ob des kalten Windes, der immer noch kräftig durchs Tal fegt, wenn auch schwächer als abends zuvor. So ist der Genuss an dieser frei zugänglichen, natürlichen Therme mit pittoreskem Zylinderkegelbadehäuschen eingeschränkt, um länger zu verweilen. Andererseits hat man die Becken noch für sich alleine.

Zur nächsten Quelle von besonderem Rang liegt nicht viel mehr als eine Brücke über die Durance. Dort gilt Bade-, sogar Betretverbot. Und doch freut sich das Auge hier noch umso mehr – so aus der Welt gegriffen ist diese Skulptur aus mineralisiertem Kalkfels. Man könnte auch meinen, die Absperrung soll vor dem archaischen Wesen schützen, ein Dinosaurier, der Wasser spuckt. Mag die Fontaine Pétrifiante de Réotier geologisch recht trivial erklärbar sein, so ist die vollendete Erscheinung nicht weniger als ein Naturwunder von höchster künstlerischer Intuition, deren Schöpfer mal wieder der Zufall gewesen sein könnte – wohl ein Zufall mit Zauberstab.



Die fortlaufende Strecke gestaltet sich aufregender als gedacht, schwelgt sie zunehmend panoramareich über der Talsohle des Durance-Tals. Was aber Schönheit mit der Höhe gewinnt, hat den Nachteil zunehmend Schweißperlen zu sammeln. Eine Erholung der Wadenmuskeln wartet mit der Kluse bei Pallon, die in ein fast flaches Hochtal überführt. Mit dem Bergdorf Freissinières (les Ribes) – ein aktuelles Fest verneigt sich vor der Brotkultur – verdichtet sich die lärchenreiche Bergvegetation zur Straße hin, Wasserfälle fallen zu allen Seiten über Felsrippen. Das Ende der Straße ein Parkplatz (mit kleinem Kiosk) und Wasserfälle, der große variiert sein Bild je nach Perspektive, stäubt fulminant aus einem Felskanal – Berglilien und Glockenblumen zieren das Blickfeld. Weiter geht es hier nur zu Fuß zum Bergweiler Dourmillouse, ein besonderer Ort abgeschiedenen, aber intakten Berglebens. Die Wanderung war mir mit Blick meines Streckenrückstandes aber doch ein Stück zu weit, sollte man ohnehin eine Übernachtung oben einplanen.

Die Recherchen zum Col d’Anon ergaben wenig vertrauenswürdige Fahrverhältnisse, sodass es wieder komplett zurück in die Talsohle ging, für den dann anstehenden Aufstieg zum Col de la Pousterle – ziemlich anspruchsvoller Nischenpass mit geschotterten Pistenteil in den oberen Etagen, quasi überflüssig und gar ein Umweg gegenüber der direkten Anfahrt von L’Argentière-la-Bessée zum pittoresken Bergdorf Vallouise und umliegenden Skigebieten. Die Berg-und-Talanfahrt über das Städtchen L’Argentière ist jedoch mehr als eine zusätzliche Höhenbewältigung, denn nicht nur die Auffahrt über das ehemalige Silberstädtchen (Minenstollen liegt abseitig an der Strecke, Besuch muss aber vorher mit dem Museum in der Stadt ausgehandelt werden) macht sich äußerst reizvoll aus, sondern auch das Städtchen selbst hält eine weitere Kuriosität der Region bereit, die sich bestens mit der Passauffahrt ins Auge setzen lässt.



Die Stadt wird – von unten betrachtet über dem Bahnhof hervortretend – von dem Uhrenturm Hermes überragt, der von weithin sichtbar auf einem Felsen posiert. Der Uhrturm ist einem Deal der Kommune mit dem Industriellen und Wasserkraftelektroingenieurs Gilbert Planche zu verdanken, der hier eine für alle im Ort sichtbaren Uhrturm als Zeichen des industriellen Zeitalters nach damals neuesten Stand der Technik in diesem agrarisch strukturierten Land der Sonnenuhren darstellen will. Ursprünglich sollten es zwei Kirchturmuhren werden, die Verhandlungen verzögerten sich jedoch ob der Finanzierung und Gegenleistungen der Gemeinde sowie den Wirrungen des Ersten Weltkrieg, sodass Mäzen und Ort die Einweihung des nun „säkularen“ Turmes auf 1922 vertagen mussten.

So 2.7. Vallouise - Ailefroide - Pré Mme Carle (1874 m) - Ailefroide - Vallouise - L'Argentière-la-Bessée - La Roche-de-Rame - St-Crépin - Guillestre - Le Pont de Pierre - Ceillac
73 km | 1575 Hm | 6:18 h | 11,5 km/h

AE: Le Matefaim: Tartiflette (Kartoffelauflauf m. Speck & Reblechon), Crêpe Chalimette (Génepy), RW, Cafe 29,20 €
Ü: C Municipal

Vallouise frohlockt als schnuckeliges Eingangstor für Kletter- und Wandertourismus in das Écrins-Massiv, die große Gletscherkulisse der Okzitanischen Alpen, zugleich auch die nördliche Barriere des langue-d’oc’schen Kulturraums. Und man könnte meinen, dass hier nochmal alle Perlen von Natur und Gastfreundschaft dem Besucher in verschwenderischer Fülle um die Ohren gehauen werden. Mögen die Verbauungen des Skitourismus der am Vorabend durchpflügten Bergsiedlungen nicht alle die vollendete geschmackliche Note besitzen, so ist das Bemühen um stilvolle Chalet-Verbauungen doch gegeben. So war auch das Hotel-/Restaurant La Pendins in Puy-St-Vincent trotz gewisser Größe ein schmucker moderner Holzbau, in dem ich als einziger Speisegast sogar eines der besten Menüs der Reise gereicht bekam. Ganz offensichtlich liegt der Schwerpunkt in dem Konzept heimelig eingerichteter Skihotels und fürchtet ein wenig auch um die ungleiche Verteilung touristischer Ströme, ist doch der Bergsommer hier ein Fest der Sinne, der mehr Beachtung verdienen würde. Gleichzeitig mag man mehr Besucher auch nicht haben wollen, um die Lyrik der Orte nicht zu gefährden. Das immerwährende Dilemma von gleichberechtigter materieller Lebensgrundlage der Einheimischen und der projizierten Bergromantik des angelockten Besuchers.



Da ist nicht nur durch Tagestouristen im folgenden Tal St-Pierre schon ein gewisser Andrang zu verzeichnen, zum Wanderer gesellen sich heute auch immer größere Gruppen der Freeclimber, Basisstationen mit Camping finden sich auch noch im schmalen Bergkanal in Ailefroide. Über die Fahrt zur großen Dame, besser gesagt dem Vorzimmer einer erhabenen Dame, genannt Pré de Madame Carle, lässt sich hier wenig sagen außer man sei in der Lage, das Staunen und Herzhüpfen in eine okulare sinfonische Dichtung zu transponieren, die den Hörer wie Leser in hochfrequente Schwingungen versetzen müsste. Die sinfonische Dichtung zeichnet sich durch ein dramatisches Finale aus, in dem aus einem überraschend abgeflachten Schotterflussplateau Zapfen und Könige wachsen wie etwa die drei aus dem Morgenland, die uns regelmäßig um die winterlichen Feiertage beglücken – so auch Reste von Winter hoch abgelegt sind in mächtigen Gletscherzungen, aufgeraut wie ein eisige Reibefläche zwischen Erde und Himmel. Tusch und husch ins nächste Paradies!

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#1362965 - 16.11.18 20:07 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
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PACA-6 Parc Naturel Régional du Queyras & Embrunais

Ceillac, Raureif, 2 °C, Zelt noch im Schatten, Leuchten des Bergsommers an den hohen Flanken, die Häuser des Ortes wärmen schon die Steine, die Bergvölker wissen um die besten Einfallswinkel der Sonne. Auch in Ceillac hat man Sonnenuhren, ziert aber die Fensterbänke auch gerne mit lustigen Männchen aus Blumentöpfen und Stroh. Obwohl noch morgens früh, gelte ich hier als Spätaufsteher, wo Wanderer in den kleinen Herbergen und Pensionen nächtigen. Der Klientel angemessen gibt es mindestens zwei Sportgeschäfte mit Wanderstiefeln, Trekkinghosen und anderen Accessoires zu alpinen Aktivitäten. Am Vormittag schwärmen wie Geiervögel sogar Gleitschirmflieger über dem Hochplateau des Ortes.

Mo 3.7. Ceillac - La Raille - Parking de Chaurionde (1967 m) - La Raille - Ceillac - Le Pont de Pierre - Combe du Queyras - Col de l'Ange Gardien (1493 m) - Le Collet (1390 m)/Château Queyras - Aiguilles - Abries
49 km | 880 Hm | 4:04 h | 11,8 km/h

AE: R La Fenierre: Salat m. Schinken, Lammkotelett, Kroketten, Kartoffeln, Käse, Frischkäse m. Heidelbeeren, RW, Cafe 28,70 €
Ü: C Queyras Caravaneige 9,20 €

Ich hatte Ceillac abends noch mit großer Verve erreicht, an den Vauban-Mauern von Mont-Dauphin vorbei, die untere Queyras-Schlucht, die hier eigentlich Combe du Guil heißt, die kräftigen Serpentinen in das fast abgeriegelte Nebental, dessen großes Panorama sich erst mit Ceillac öffnet. Bei dem schweißtreibenden Kampf um das Anrecht einer noch warmen Mahlzeit wurde ich immerhin noch mit einer herzhaften Tartiflette belohnt. Die Kohlehydratspeicher scheinen jedoch nicht ausreichend gefüllt, der Tag verläuft im Müßiggang zu gutem Teil an den rauschenden Wassern der Guil. Für die Wanderung zum Lac Ste-Anne fehlte mir am Straßenende der Antrieb, obwohl ein schattiger Lärchenwald wartete. Überhaupt ist der Exkurs über Ceillac hinaus landschaftlich sehr verwandt mit der Nordseite des Col d’Izoard – wenn auch mit weniger ausgeprägten Geröllhalden – mehr Grün als Mars-Landschaft.



Über Château Queyras und Ville Veille hinaus schleicht man ziemlich flach und zuweilen sehr geradlinig ins Monviso-Land. Weite grüne Bergwölbungen erinnern an Pyrenäen oder die Nockberge. Den hübschen Orten Aiguilles oder Abries fehlt es nicht humorigen Details, Abries ist dabei regensicher ausgestaltet – jedenfalls hat man große Mengen bunter Regenschirme über die Straßenzüge gehängt. Dieser Outdoorkunst scheint einer gewissen Mode zu unterliegen – ich fand solcher Art Installation schon 2013 in Kotor, Montenegro, vor, und auch in Portugal ist darüber zu lesen und jüngst in Rot-Weiß in Bayonne. Die Sackgasse in Richtung Monviso endet für mich früher als erwartet, zu mühselig erscheint mir der Weg kurz nach Schotterbeginn. Das Guil-Tal im Ristolas-Naturparkgebiet ist nicht spektakulär, aber für die Entschleunigung wie geschaffen. Auch hier ein Ende der Welt, so darf man vermuten.

Di 4.7. Abries - Ristolas - L'Echalp - Roche Ecroulée (1780 m) - Ristolas - Abries - Ville Vieille - Molines-en-Queyras - St-Véran (2042 m) - Pierre-Grosse - Ville Veille - Le Collet (1390 m)/Château Queyras - Col de l'Ange Gardien (1493 m) - Guillestre
80 km | 1130 Hm | 5:57 h | 13,3 km/h

AE: R Dehan Dehors: Ente m. Aprikosenchutney, Kartoffel, Gemüse, Feigenkompott m. Likör/Eis/Blumen, RoséW, Cafe 34,90 €
Ü: C La Ribière 11,20 €

Es wartet schon ein weiteres Ende der Welt – die höchste Gemeinde Europas. Dazu schwenkt man in Ville Veille auf die Anfahrt zum Col d’Agnel ein. Nicht aber ohne einen Besuch der Verkaufskooperative für regionale Produkte in Ville Veille. Das krokantige Aroma der gerösteten Kekse war mir über Jahre in Erinnerung geblieben. Die gibt es immer noch direkt aus der Fabrikation und der Laden nebenan hat das Sortiment nicht nur erweitert, sondern auch exklusiver gestaltet. Wohnaccessoires und Schmuck sind schon teils gehobene Produkte, die den Geldbeutel nicht schonen.

Nicht essbar, aber immer in Blickfang der Pilzfelsen zur Seite der Auffahrt. Von l’Adret aus hat man dann die Möglichkeit, St-Véran auf einem Rundkurs zu erschließen, der sich abseitig zur Col-d’Agnel-Route (die nach Italien führt) ergibt – hier quasi als Höhenendschleife des Exkurses gefahren. Zunächst geht es in den Mühlenort hinunter ins Tal, bevor der Anstieg wartet. St-Véran kündigt sich früh an mit einigen Ferienhäusern oder Pensionen. Die erste Sonnenuhr kündigt Esel an, die dann auch gleich leibhaftig von der Weide den Radler fragend beäugen. Erreicht man den geschlossenen Ortsteil, der sich durchgehend am Berg hochzieht, bündeln sich mehr und mehr Bergkneipen mit seltsamen Gehänge wie Tierpfoten oder historisch verwitterten Nike-Schuhen, der Zapfhahn fürs Bier in Holzbohlen eingehauen, Brotkulturmuseum, Klimbim, das regionale Ristolas-Bier und natürlich immer wieder Sonnenuhren. Die stabige Holzbauweise erinnert an Walsersiedlungen in den Walliser Alpen oder auch das altbairische Sauris-Tal im Friaul. Diese Facetten aus Müßiggang, das Schlendern durch das kuriose Flohmarkt-Sammelsurium, die zu Schweigen verpflichtenden Kulissenblicke über rissige Ziegeldächer, das beseelte Plaudern an verwitterten Holztüren, der lebensgezeichnete Stockschritt des Buckligen, die knarzenden Bohlen in den Ateliers mit Kunst und Genussmomenten, das quellfrische Plätschergeflüster der Dorfbrunnen, und diese göttliche Nähe des Firmaments – das evoziert hier den stillen Gesang von Lebenskunst der Tagesweil, wohl nur verlängert um den Abendchor des Engelrauschens, das es hier geben muss, wenn sich Nacht legen wird.



Der Sturz hinunter ins Tal zurück nach Guillestre entreißt mich jäh aus den Träumereien, mein schlagartig arthritisch entzündeter Fußknochen erinnert an des Teufels Erde, die jeden Engelschor zu entzaubern vermag. Doch das Gaumenlabsal einer süßlich marinierten Ente lässt das Pendel wieder zu den Höhepunkten ausschlagen. Im quirligen Restaurant wird jeder Platz gefüllt, ohne dass die okzitanische Freundlichkeit darunter leidet – kein Wunder, lädt hier ein Fahrrad in die Gastwirtschaft ein. Eine Empfehlung.

Mi 5.7. Guillestre - Risoul - Station de Risoul (1850 m) - Col de Valbelle (2377 m) - Route des Florins/La Bergerie - Pramouton - Col de la Cloche (1791 m) - (St-André d'Embrun) - Le Villard - Crévoux (+)
56 km | 2010 Hm | 7:06 h | 8,0 km/h

AE: H/R Le Parpaillon: Salat m. Kartoffeltaschen, Schnecken in Kräuterbutter, Melone m. Sirup (spendiert vom Gastwirt wegen langer Wartezeit), Kaffeekuchen m. Vanillesauce & Erdbeeren 40,50 €
Ü: C frei

Ein Abend später – Crévoux, biederes Hotelambiente, der Magen knurrt nach dem Hauptgericht. Ich ordere als Nachschlag Schnecken – was könnte besser passen zum langsamen Fortgang der Tagesstrecke? Und das ganz im Gegensatz zur plakatierten Hommage an verschiedene Radsportlegenden – Contador, Pantani, viele mehr – auf der Straße nach Risoul 1850, den Skiort oberhalb Guillestre, auf der ich den Tag eröffnete. Die Randvegetation ist eher bescheiden, doch überwältigt immer wieder das Panorama – die Vauban-Festung, die Schneegipfel vom Écrins-Massiv in der Ferne. Der vornehmliche Skiort ist erstaunlich gut auch auf Sommergäste vorbereitet. Mountainbikes und E-Bikes zum Verleih, einige Läden halten offen, auch Sportgeschäfte. Für die richtige Anfahrt zum Col de Valbelle braucht man etwas Orientierungssinn. Die Ausschilderung ist lückenhaft und die Auskünfte der Gäste oder Einheimischen sind vage bis unbrauchbar – sogar von der Touristinfo. Tatsächlich sind die Wege dort aber nicht unbekannt, sogar eine Familie kommt mir mit wohl geliehen Mountainbikes entgegen. Evtl. wird auch per Seilbahn aufgefahren und dann Downhill über den Col de Valbelle runtergerollt.



Es gäbe auch eine Pistenalternative in Richtung Vars, vielleicht auch direkt zum Col de Vars. Die Pisten hier sind aber originär Skipisten, führen blumige Fantasienamen. Die auf Karten vermerkten geografischen Bezeichnungen wie etwa Col de Valbelle fehlen. Mit dem Abzweig zur Route des Florins wird der Schotter gröber, der Abstieg sehr ruppig, eine Auffahrt härter als zur von mir gewählten Richtung. Motocrosser, derer einige wenige unterwegs sind, haben natürlich eher Spaß dabei. Martialische Warnhinweise verwirren, ob die Route überhaupt befahrbar ist. Soweit meine Sprachkenntnise reichen, wird jeodch wohl nur vor der langen Distanz ohne Verpflegungsmöglichkeit gewarnt.

Ist der Aufstieg zum Col de Valbelle eine offene, zuweilen öde Berglandschaft mit großen Panoramen – neu gebaut eine Sonnenterrasse mit Holzliegen –, so entwickelt sich die Abfahrt blumen- und waldreich, auch ein Bergbach kreuzt den Weg. Mitten im Kiefernwald liegt bereits der Col de la Coche, nunmehr wieder Asphalt unter dem Pneu – aber was für einer! – Man hüpft von Schlagloch zu Schlagloch, umkurvt Tausende von Pinienzapfen, naht sich riskant an den Felsen an, sieht den Abgrund beängstigend tief zur anderen Seite. Dort taucht eine kaum einsehbare Schlucht auf, dann wieder Piniendächer und alsbald immer wieder Ausblickfenster ins Durance-Tal und später nach Süden zur Kluse mit der Felsterrasse von Embrun. Wer noch nicht Radfahren konnte, wird es nach der Strecke können müssen – oder er liegt jetzt woanders zwischen Dornen und Kiefernrinde. Sehr launig, aber nicht ohne Gefahren.

Anmerkung: GPSies kennt den Piste und Straße um den Col de la Coche nicht bzw. ist falsch verzeichnet. Bei GoogleMaps ist hingegen zumindest die Wegführung richtig zu erkennen, die exakt richtige und vollständige Darstellung hat mal wieder nur die traditionelle Michelin-Papierkarte zu bieten.



Auf dieser Runde hier kann man oberhalb von St-André und weit über der Durance bleiben, nur letzte Häuser werden gestreift. Den neuen Anstieg begleitet ein liebliches Tal, bald verengt in eine kleine Schlucht, getragen von milder Abendsonne. Statt in Crévoux einzukehren (und wer nicht im Hotel übernachten will) sei empfohlen, die noch kleine Rampe bis la Chalp zu nehmen, befindet sich quasi als letztes Haus dort eine lustig-farbiges Bistro mit großen Panoramablicken – ein auch etwas flippiges, moderneres Angebot von Drinks und Speisen mit nettem Betreiber, wie ich beim Kaffee am Morgen erlebe. Fährt man noch ein wenig weiter bis zum verschärften Anstieg der Parpaillon-Straße am Waldrand, befindet sich dort ein zeltgeeigneter Parkplatz mit WC, wo auch ggf. Wohnmobilisten übernachten.



Do 6.7. Crévoux - La Chalp - Col de Parpaillon (2650 m) - St-Anne - La Condamine-Châtelard - St-Paul-s-Ubaye - Serenne - Pont du Chatelet - Maljasset/Maurin (Rifugio 1903 m, Combe Brémont ~1930 m)
55 km | 1590 Hm | 7:02 h | 7,8 km/h

AE: Gîte/Auberge La Cure: Suppe, Schweinebraten, Bratkartoffeln, Brokkoli, Käse, RW, Cafe 21,50 €
Ü dito: C im Garten (gratis), Frühstück 8 €

Es geht nun über eine grüne Arena alsbald steiler durch Lärchenwald. Erste Hinweise finden sich auf den Tunnel, dessen Passage erlaubt ist mit Einschränkungen. Auch endet bald der Asphalt, die Piste nicht einfach zu fahren, vor allem weil recht steil. Bald aus dem Wald heraus, weitet sich die Bergarena, Blumenwiesen, eher wenige Kühe, ein funkelnde Frische versprühender Bergbach. Weitere MTB-Routen sind machbar, auch eine Infotafel ist in Crévoux vorhanden. MTB-Tourismus wird hier dezent, aber gezielt gefördert. Doch bleibt das Erlebnis an diesem Berg eines für einige wenige – alle Verkehrsteilnehmer wie Autofahrer, Motorbiker und Pedalisten abzählbar an zwei Händen, drei davon E-Biker – nur zuoberst am Tunnel sorgt eine französische MTB-Gruppe für eine zweistellige Anzahl von Radlern während der gesamten Passage.

Der Tunnel Parpaillon deutet sich an, letzte Gewissheit seiner Lage kommt aber spät. Beide Portale werden von gewaltigen Geröllhängen bekleidet und das Loch bleibt zunächst dunkel. Wie erwartet tropft es im Tunnel, stehen Pfützen da und dort. Gutes (Batterie-)Licht am Rad ist anzuraten. Doch ist die Passage auch nicht so lang. Der Landschaftskontrast zu beiden Seiten ist gravierend, nach Südost eine wieder andere Arena aus Bergwiesen und Geröll. Der Fahrweg hier aber weit schlechter, schottriger, zur Auffahrt mit Reiserad eher unfahrbar – zu groß wären die Anstrengungen. Ist man weiter unten, endet die Schotterpassage noch lange nicht, eine recht kiesige, weniger steile Zwischenpassage durch Lärchenwald führt bis zum Asphaltübergang. Auch insofern ist die Schotterpassage auf dieser Seite länger als zur anderen.

(Bildstrecke und Beschreibung seien hier mit Erreichen des Ubaye-Tals in diesem Kapitel abgeschlossen, der Rest des Tages wird im nächsten Kapitel aufgegriffen.)

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#1363088 - 17.11.18 19:57 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
veloträumer
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PACA-7 Haute Ubaye & Valle Stura mit Alpi Marittime

Wanderer packen ihre Rucksäcke, schnüren Schuhe, dicke Weißbrotscheiben locken aus den rot kariert ausstaffierten Frühstückskörbchen, die Taunässe beschimmert den Tagesanfang in einem Silberkleid. Im Bergweiler Maljasset versammelt sich die Sehnsuchtsgemeinschaft der Berggänger, auf der Via Alpina besteht unmittelbar Übergang zum GTA zur italienischen Seite ins Maurin-Tal – Maurin, so wie die Gemeinde auch hier zur französischen Seite genannt wird mit den Ortsteilen La Barge, Maljasset (oft auch dieser als Gemeindenamen zu finden, Verwaltungsgemeinde ist aber St-Paul-sur-Ubaye). Am Ende der Welt – hier gewiss nicht unzutreffend tituliert – Combe Brémond, wo die Straße endet und in einen Wanderpfad übergeht. Das Ende der Welt wird indes von wenigen Bergbauern bearbeitet und von viel mehr Schafen grasfrisch zerkaut. So gesehen hatte ich noch Glück, ein Abendmahl im ausgebuchten Refuge bekommen zu haben – nein, kein Hammel war dabei.



Die Steinhäuser scheinen aus den Felsen gewachsen, der Mensch macht hier nur Formen, vermeidet künstliche Farben. In dieser Formenvielfalt stehen schroffe Charaktergipfel, denen man Würde und Stolz eines okzitanischen Geistes zudenken muss. Vor der Leinwand nach Nordwest erhebt sich der letzte Kirchturm als mahnender Obelisk für die Endlichkeit, wenngleich selten das Himmelstor der Unendlichkeit hier so leicht zu erklettern scheint. Aber wer möchte noch ins blaue Paradies, wenn man schon da ist?

Fr 7.7. Maljasset/Maurin - Combe Brémont - Pont du Chatelet - Serenne - St-Paul-s-Ubaye - Les Gleizolles - Meronnes - Larche - Col de Larche (1991 m) - Bersezio - Ferriere (Piste Pouriac, ~1800 m) - Bersezio - Pietraporzio - Sambuco
72 km | 1140 Hm | 5:42 h | 12,5 km/h

AE: Albergo/Osteria Pace: Thunfisch-/Kartoffelpastete, Risotto m. Gemüse, Forelle im Salzmantel, Roastbeef, Kartoffelpüree, Thunfischsalat m. Ei, Käse, Aprikosen, Waldbeeren m. Eis, RW, Cafe 30 €
Ü: C frei (WoMo-Parkplatz ohne Infrastruktur)

Es ist kaum zu bewerten, ob sich eher abends die ganze Faszination des Ubaye-Tals mitteilt oder doch morgens. Die Lichteffekte sind so verschieden, dass ich glauben muss zwei Täler gefahren zu sein. Mal leuchtete mild das weiche Abendlicht, die Schatten schon halbseitig an der Pont du Châtelet zur Mondlichtruhe verschwiegen, so auch gedämpft das wilde Wasser flüsternd – dann wieder aufgerissen von der Morgensonne das Gegenlicht ein greller Schein, sprudeln die Katarakte zu neuen Kristallkugeln den Durst nach Verjüngung. Die Welt hier ist nicht nur bizarr, sondern auch immer voller geheimnisvoller Ordnung, so der Fels mal als überlebensgroßer Tafeltisch die Erde bedeckt, dann die Pont du Châtelet eine schwindelerregende Symbiose von menschlichem Mauerwerk und naturgegebener Felsengewalt modelliert.



Vergessen seien nicht der Menschen Kunsthandwerk des Tales, in Serenne sägt nicht zufällig ein Holzmännchen am Dorfbrunnen – gleiche mehrere Künstler arbeiten die Ubaye-Seele des Alpenholzes in Wohnaccessoires und Spielzeuge hinein – ebenso schlicht wie die bodenständige Ressource, so amüsant und stilvoll in der Gestalt – für den Wein darf es ein Pilzhut sein – Kinder bekommen Eisenbahnen, hier, wo nirgends ein Zug fährt.

Die Anfahrt zum Col de Larche lässt mich etwas grübeln – lag mir in der Erinnerung fern, dass sich unten ein Radfahrverbotsschild befindet. Zu allem Überdruss sind neue Kilometersteine am Straßenrand eingelassen, die sich ausdrücklich mit Steigungsangaben an den Radler wenden. Was ist jetzt wohl fehl gelaufen? – Tatsächlich besteht eine MTB-Piste als Alternative, die allerdings nicht wirklich straßenradtauglich wäre, wäre sie nicht ohnehin durch Felssturz an verschiedenen Stellen unpassierbar. Hier so fern in der Bergwelt auch noch ein Schild(bürg)erstreich. Ohne zivilen Ungehorsam, das Verbotsschild zu ignorieren, kein Aufstieg.

Nach dem engen, von rutschigem Splitterfels gezeichneten, gefährlich abgründigen unteren Val d’Ubayette entfaltet sich ab Meyronnes das Grün der geschmeidigen Seealpenbrüste, die sich zu beiden Seiten des Col de Larche, wie von Skulpteuren als erotische Spielwelten modelliert, vor dem Betrachter einladend ausbreiten. Ein Wunder, dass hier noch kein Golfplatzbetreiber die Schaufel ausgepackt hat. Zur touristischen Vermarktung auch als Skigebiet sind Teile vom Ubaye- und Ubayette-Tal zum Val d’Oronaye zusammengeschlossen. Eine weitere Kommerzialisierung wäre nicht angemessen, zur französischen Seite grenzt unmittelbar der Nationalpark Mercantour, die meisten Haine streben dort hinauf ins Ubayette-Tal – das Glitzern aus Silber ist berauschend.



Es wäre nicht Italien, würde man nicht gleich den ersten Grenzmeter für einen Verkaufstempel nutzen. Zur Ehre gereicht, dass gute Qualität verkauft wird, wenn auch etwas überteuert. Die zeichenbrettgetreuen Serpentinen leiten bald in kleine italienische Dorfkerne, Ebenbilder okzitanischen Lebens kaum anders als zur französischen Gegenseite. Bis ins lukullisch mittlerweile bekannt gewordene Sambuco mit der Slow-Food-Osteria Pace zwängt sich aber auch das obere Stura-Tal durch einige Engstellen. Da auch liegt Bersezio, wo ich noch einen Abstecher in Richtung Ferriere einlege – ein über relativ steile Straße, durch Lärchenhaine samt Brunnenquell erreichbarer Bergort, der über eine Anhöhe hinweg in einer Talmulde liegt, über die sich noch mehr grüne Bergwiesenkämme ziehen – horizontlos fast, im Gegenlicht der Abendsonne zu einer Fata Morgana gesteigert in Silbergrün. Das Paradies hier als reale Illusion. Eine Höhenpiste führt oberhalb von Ferriere zum Col de Pouriac, die mir für eine weitere Erkundung doch zu mühevoll erscheint (aber einigermaßen fest im Untergrund – wer‘s probieren sollte, sei gebittet um Bericht).

Sambuco, das Kleinod vor eindrücklichem Bergkegel etwas abseits der Passstraße, deswegen nicht weniger von Wanderern besucht, bietet dann die schmackhafte Küche in der Osteria Pace – nicht überdreht ins Gourmetfach verlegt, sondern der ursprünglichen Idee von slow food verpflichtet. Eigentlich ist zumindest heute nur Pensionsbetrieb für Hotelgäste (Unterkunft sowohl im Hotelzimmer wie auch in einfacher Wanderherberge gegenüber), sogern aber erhalte ich gastliche Teilhabe am Menü.

Sa 8.7. Sambuco - Pianche - Bagni di Vinadio - San Bernolfo (mit Stück Piste, ~1800 m) - Bagni di Vinadio - Pratolungo - Santuario di Sant Anna (2010 m)
49 km | 1795 Hm | 5:59 h | 8,2 km/h

AE/Ü mFr: Rifugio Alpino San Giacchino: Spinatpfannkuchen mit Rahmsauce, Schweinebraten, Bratkartoffeln, Crèmekuchen m. Beerenfrüchten, RW, Cafe 55 €

Im Wind wehen tibetanische Himalayafahnen, Bettlaken hängen aus den Fenstern, Socken trocknen in der Bergsonne, Lederstiefel entlüften. Keine Mönche, stattdessen italienischer Wein. Die Piste geht irgendwie weiter vom Rifugio San Bernolfo, beliebte Wanderbasis – ein Ende der Welt, wo das Ende ungewiss bleibt. Es gibt kein Ende, auch nicht am Ende – so muss man es dialektisch deuten. Ich hätte mir noch mehr Mühe geben können und dem Weg noch weiter folgen können. Es war jedoch kluge Vorsehung, nicht in die Bergpampa weiter abzudriften.

Für einen Thermenbesuch in Bagni di Vinadio war die falsche Zeit – das Bad aufgewühlt von Baumaschinen zur Renovierung. Der Ort liegt in einer kleine Zwischenebene, nach einer ersten Rampe. Die weitere Fahrt ist Horizontentwicklung, wie sie nicht radgerechter sein kann – einjeder Pedaltritt eine neue Welt, Horizontverschiebungen, neue Kaskaden, Schmetterlinge lecken an den Schweißdrüsen, Doldenblüten wachsen bis in die Nase hinein. Die dichter bewaldete Schlusssteigung nach San Bernolfo bereiten dann beißende Wadenmeter, von zwei einholenden Sportradlern auf der Strecke gibt einer auf.



Die rasende Abfahrt macht Sinn, der Donnergroll schon im Nacken. In Pratulongo muss ich zweifeln – Aufstieg in dunkle Teufelssuppe oder doch Abbruch in Vinadio? Es sind bisher nur wenige Tropfen gefallen. Mutige Rennradler stürmen bergauf. Ich folge alsbald, Regen und Donner gewinnen an Kraft. Unerwartet ersten Unterstand gefunden. Zwei Rennradler habe die anderen ziehen lassen und gleichwohl Angst bekommen. Der eine will noch zu seiner Frau zurück – nach Jausiers – nicht nur den Col de Lombarde komplett rauf, auch noch anschließend Bonette-Restefond rüber. Geplant hat er mit Licht und in der Nacht. Mit Gewitter weniger. Radler, immer wieder ein Pool von Verrückten.

Es ist jetzt Taktik nach kurzer Regenpause und Erreichen der Mulde beim großen Lärchenwald. 9 km zum Pass – das geht nicht mehr, 2 km nach Sant Anna, Pilgerkirche, aber ein Dach über dem Kopf? Kaum im Berg zu den Heiligen rauf, schüttet es aus Eimern, besser gesagt aus Zisternen. Die Christlichen erreiche mit Aalzittern. Wochenende, ausgebucht, Gebete – ich dann auch. Dann doch noch ein Zimmer frei, ja, Essen auch. Die Tische hier wie in einer Community, ein großes Familientreffen. Der Oberhirte begrüßt jeden Gast persönlich. Ein Glaubensgelübde verlangt er jedoch nicht – Sonderstatus Reiseradler, so denke ich. Nach dem Abendessen ist Abendgebet mit Gesang – das Zimmer ist jedenfalls demgegenüber nicht schalldicht. Ich schaue auf das Kreuz über dem Bett und frage: „Was hast du wieder vor mit mir?“ – Das Jesukreuz antwortet nicht, aber ich muss an Santuaria Ave Maria denken – ein Jahr Pause ließen mich die Heiligen im Teufelsgewand genesen. Noch immer trage ich Spuren davon.



So 9.7. Santuario di Sant Anna - Col de la Lombarde (2350 m) - Isola 2000 - Col Mercière (2342 m) - Col de Salèse (2031 m) - Le Boréon - St-Martin-Vésubie
52 km | 1290 Hm | 6:39 h | 7,4 km/h

AE: R La Trappa: Aubergine/Tomate, Schnitzel m. Kartoffeln, Zucchini, Zitronencrème m. Himbeeren/Chantilly, Cafe 26 €
Ü: C La Mério 9 €

Gepunktete Tischdecke, Wasserkaraffe, Rotweinglas, Entrée mit Aubergine-Tomatenkomposition. Liebliches Örtchen mit steilen Gassen, pittoreske Fassaden, ein Rinnsal plätschert neben dem Trittpflaster. Der Abend in St-Martin-Vésubie trägt die Tränen der Trübsal. Wer nicht beten will, wird bestraft. Das Jesukreuz wusste, warum es schwieg. Der Tag war kühl, zuweilen kalt, windig. Auf dem Col de la Lombarde zitterte ich für einen Moment der Erinnerung. Am Col Mercière trieb der Wind mich an der Pforte der ehemaligen Militärbunker zurück – ein Sturm aus Süden, zu kraftvoll, als das Regen fallen könnte, obwohl tiefgrau der Himmel.

Es war ein Kampf gegen Windmühlen, schon den Col Mercière zu erklimmen war verfehlter Ehrgeiz. Ich fuhr nur wenige Meter, fast alles schob ich über seltsame Wiesenpisten, nicht nur schlecht fahrbar, sondern weitaus zu steil. Unten in Isola 2000 rieten sie mir von meiner ausgedruckten GoogleMaps-Route ab, die einen anderen Bogen gemacht hätte – noch steiler, unfahrbar – so hieß es. Tatsächlich stürzten dort Downhiller zu Tal. Es sind hier Funpisten für MTBer angelegt als schmaler Sommersport betrieben, eher aber sind es originär Skipisten, die man notfalls auch mit Mountainbike befahren kann.

Über den Mercière-Pass führt eine doppelspurige Piste, die diesen Namen aber kaum verdient – vierradangetrieben Ranger oder Bergbauern fahren schon mal her – so wohl um die 2-3 pro Tag oder auch weniger. Im oberen Teil sind es unzählige Grasnarben, die das Rad ruckeln lassen wie auf Paris-Roubaix, später mehr Schotter. Oft ist nur eine Spur überhaupt marginal radelbar, sodass man auch stets wechseln muss bzw. abstoppen. Oben eine weite Arena von grünen Bergwiesen, umzingelt von der bizarren Bergwelt der Seealpen. Von den für die Seealpen typischen Bergseen bleibt man aber weit abgetrennt, die Zugänge sind Wandertrails, eigentlich mehr Bergwiese querfeldein, und steigen weithin an, sodass es auch keine Ausblicke darauf gibt. Die Tuchfühlung hat man nahe mit den Gämsen – sie zeigen sich verblüfft gegenüber Radlern, was ja auch von gewisser Weisheit spricht, über die der Radler nicht immer verfügt.



Das Gerüttel nun mit steter Fußbremse sorgte alsbald für das Aus meiner Kamera, die den Dienst etwa mit Eintritt in den dichteren Lärchenwald verweigerte. Gerade schaute mal die Sonne vorbei und der Wind war abgeschirmt, war es mit der entspannten Psyche wieder vorbei. Zu der ungenießbaren Fahrt tragen auch zahlreiche quer zur Piste durchlaufende Bäche bei. Keine der Furten ist so ernst, dass man Schuhe ausziehen müsste oder dergleichen, doch zwingen sie immer wieder zum Absteigen. Ist man meist erst gerade wieder angefahren auf dem Sattel gelandet, wartet schon die nächste Barriere, die zum Sturz führen könnte. Die Gewitterschüttungen des Vortages haben hier natürlich eine Reihe nur zeitweiliger Abflüsse geschaffen, sodass es nicht weniger als 20 Furten, vielleicht sogar mehr als 30 zu überwinden gab.

Auch ohne die schlechte Witterung darf man sich aber kaum erhoffen, dass die Fahrt einfacher würde. Zu sehr verhindern Spurverengungen und unberechenbare Schottrigkeit ein sicheres Lenken mit bei niedrigsten Geschwindigkeiten und der Gepäcklast. Mit der zunehmend dichteren und dunkleren Bewaldung fehlen zu guter Letzt auch noch landschaftliche Lichtblicke, mit Erreichen der wieder fahrbaren Straßenpiste, gegen der Salèse-Passhöhe auch dann sogar Asphalt, fühlt man sich sogar in den Schwarzwald versetzt, stehen Tannen oder Fichten dicht zur Straße, besteht sogar bis kurz vor St-Martin-Vésubie keinerlei offene Berglandschaft.

Die Fahrbahn vom Col de Salèse ist zunächst arg ramponiert, für Rennradler wäre es eine kritische Herausforderung. Gegen hin zum Stausee bessert sich das, mit der Zusammenführung der entgegengesetzten Täler von Vallon de Salèse und Vallon du Boréon oberhalb des Boréon-Stausees fliegt man sogar auf einer aalglatten Fahrbahn hinunter. Da überrascht dann eine Kehre unterhalb des Weilers Boréon mit Basistourismus für Bergwanderer mit einem äußerst lieblich in Fels eingegrabener Wasserfallschweif, gerade passend zu einer vorbeistürmenden Gruppe von Pferden. Meine Kamera bäumte sich noch auf seltsame Weise gegen ihr Schicksal auf – das Wort „Wunder“ darf ich einmal in den Mund nehmen, ließ sie noch einmal, allerdings nur das Ablichten dieses Wasserfalls zu – anscheinend wohlwissend und um Gnade bemüht, mir meine Lieblingsmotive nicht zu stehlen – wann würde ich sonst nochmal hier vorbeischauen?



St-Martin-Vésubie ist nicht arm an Motiven mit seinen pittoresken Gassen – doch keines konnte ich in Bilder fassen. So finde ich mich an eingangs dieser Etappe beschriebender lauschiger Ecke am gepunkteten Tischtuch wieder, den Tag zurückblickend, wie den nächsten mit neuen Planungen. In St-Martin erfuhr ich noch von einem kleinen Laden, der zumindest mit wenigen Fotoartikeln handeln sollte. Meine Skepsis allerdings wurde am nächsten Morgen bestätigt, dass hier keine Abhilfe zu finden ist. Der Ladenbesitzer wollte eigentlich nichts mehr von Kamera wissen, hatte sich auf Fotoaccessoirs und diverses Dekor verlegt und meinte nur, einzige Möglichkeit sei Nizza, dort bei fnac.

Die Fahrt nach Nizza ward überraschend flott gewesen, nur kleine Gegenwellen finden sich im Bereich der Vésubie-Schlucht, bevor man auf den Var stößt. Es hätte auch andere Wege nach Nizza gegeben, die ich sowieso später als Routen rund um Nizza geplant hatte, wollte aber keine Risiken mit unbekannter Topografie eingehen und möglichst schnell mein Malheur beseitigen. Die Vésubie-Schlucht hatte ich nun gar nicht für diese Tour geplant, weilte sie bereits in meiniger, guter Erinnerung. An dieser Stelle endet dieses Kapitel, eigentlich der Vortag auch schon inhaltlich weitgehend im neuen Kapitel der Nationalpark Mercantour verankert. Doch schafft der technische, wenig erfreuliche Vorfall die Zäsur. Den Exkurs nach Nizza greife ich wieder im letzten Kapitel dieses Berichts auf. Es geht nun in Kap. 8 weiter an dem Schnittpunkt im Vésubie-Tal, den ich nach zwei Tagen Exkurs wieder erreichen sollte, nämlich in Roquebillière – nur ca. eine halbe Stunde unterhalb von St-Martin entfernt.

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#1363209 - 18.11.18 19:00 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
veloträumer
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PACA-8 Alpes Marittimes & Haut Verdon mit Parc National du Mercantour

Weiß – Blau – Rot – Orange – Gelb – Grün – Blau – Rot – … Farbspiel der Rathausuhr, Brunnengeplätscher, verliebte Jugend am Cocktailbecher. Abend in Roquebillière. Meditationskulisse, um die aufreibende Zeit der vergangenen Tage vergessen zu machen.

Das Opfer, dass ich für den zweitägigen Exkurs nach Nizza erbringen musste, war effektiv nur ein Tag, denn der Rest entfiel auf geplante Strecken – nur gedacht zu einem späteren Zeitpunkt. Dieser eine Tag aber war im Schwerpunkt als Wanderung geplant. Wollte ich bei Roquebillière das Vallon de la Gordolasque auffahren und ab dem Parkplatz zur Sackgasse oben mehrere Seen erwandern, im Ideal auch den Lac Vert mit dem Refuge de Valmasque. Das war eigentlich schon Ziel in der Vorjahrestour durchs Piemont, scheiterte aber damals vor allem an meinen verunfallten Knien. Jetzt also Kameraschicksal als Ursache – als wäre es schicksalhaft mir verwehrt. Nehme ich es ehrlich, stand die Exkursion ohnehin auf der Kippe, waren auch diesmal ein paar Zipperlein im Spiel und sah ich der Wanderung mit gemischten Gefühlen entgegen.



Es war nun, als wäre ich am mir bestimmten Ort zurückgekehrt. Wiederkehr war es ja auch, weilte ich schonmal in diesem Ort eine Nacht lang. Es gibt sogar eine Veränderung zu verzeichnen, denn unmittelbar zwischen Vésubie und dem Campingplatzgelände wurde ein neues Freizeitgelände mit Badebecken eingerichtet – der Zugang offenbar sogar frei und auch direkt vom Campingplatz aus. Dem Campingplatz scheint das zu nützen – er gehörte zu den bestbesuchten der Reise. Für die Restaurants hingegen schlägt die immer noch wirksame Wirtschaftskrise deutlicher durch – derer gab es weniger geöffnete als acht Jahre zuvor, zur historischen Seite am linken Ufer war alles geschlossen.

Mi 12.7. Roquebillière - Piste d'Albéras - Les Granges de la Brasque (1685 m) - Col d'Andrion (1484 m) - Col de l'Abaille (922 m) - La Tour - dev. D32/D2205/Vallée de la Tinée - Pont de Clans - La Bollinette - dev. D2205/D59 - Ilonse - Col de la Sinne (1438 m)
73 km | 2330 Hm | 8:17 h | 8,8 km/h

AE: Proviant
Ü: C frei

Die Route über Les Granges de la Brasque entpuppte sich als recht gut fahrbar, gewiss auch mit steilen Passagen. Es gibt gleich zwei Verzweigungen, die Alternativoptionen von Lantosque her eröffnen. Beide Varianten erscheinen ähnlich gut fahrbar, soweit ich es überblicken konnte. In den Pässelexika wird die Straße gerne als Col d’Andrion geführt, was etwas irreführend ist. Tatsächlich ist der Col d’Andrion nur ein unauffälliger Überroll-/Tangentialpass zur Südwestseite hin, während der tatsächliche Hochpunkt der Strecke der (bewohnte) Weiler Les Granges de la Brasque ist, mit einer kleinen Weidehochebene, die von Hainen durchsetzt ist. In der Pässeliteratur auch zuweilen falsch dargestellt ist die Asphaltierung, denn diese reicht tatsächlich im Südwesten hin bis zum Weiler und damit höchsten Punkt, nicht nur bis zum Andrion-Pass.

Sind die oberen Teile im Südwesten noch im dichten Wald versteckt, ergießt sich später ein Kehreneldorado hinunter ins Tinée-Tal. Der mittelobere Teil um den Col de Fournés (nur eine geringe Gegenhöhe) ist sehr mediterran, von Kiefernzapfen übersäht, sodass man zusätzlich zu den Kurven noch Mikroslalom fahren muss. Dieses launige Erlebnis ist berauschend, würde landschaftlich sogar die umgekehrte Fahrtrichtung nahelegen. Die in meinem Fall aufsteigende Ostseite mit der Piste ist letztlich landschaftlich etwas geringer zu bewerten, obwohl auch dort die eine oder andere Aussicht zu genießen ist und einige archaische Baumskulpturen den Weg begleiten.



Das stärker befahrene untere Tinée-Tal verzückt durchaus mit Schlucht und Balkonorten zu den Seiten, die nicht immer im Sichtfeld liegen und eigene Exkursionen rechtfertigen würden. Mit dem Col de la Sinne steht ein weiterer Nischenpass auf dem Tourplan, in der landschaftlichen Dramatik insbesondere auf der Westflanke dennoch einer der ganz großen. Noch mehr als bei Granges de la Brasque ist die Umkehrung der Route zu empfehlen, denn das schier atembraubende Felsschluchteneldorado aus der unteren Cians-Schlucht heraus darf man gerne länger genießen. Die Felsenwelt trennt ungefähr der Ort Pierlas zur Westseite, oberhalb befinden sich eher sanfte Wiesenberge, wie auch die Passhöhe gar ein ordentliches Fußballfeld abwerfen würde – ideal daher auch zum campieren – nur keine Infrastruktur.

Pierlas wollte ich eigentlich ob eines relativ neuen Gasthofes erreichen. Das zerschlug sich aber zeitlich und als auch noch in der Dämmerung mir auf der Passhöhe eine Familie zuwinkte, um gemeinsam Picknick einzunehmen, verblieb ich auch gleich dort. Zuvor enttäuschte die Essstube in Ilonse mit geschlossenen Läden – der Werbung im Tal zufolge hätte man mehr erwarten können. Es war auf der Reise gewiss nicht der einzige „Etikettenschwindel“ von großformatigen Werbetafeln, die touristische Einrichtungen vortäuschten, die nicht vorhanden oder geschlossen waren. Die Auffahrt zur Ostseite vollzieht sich komplett offen aus der Schlucht im Tinée-Tal heraus, eine ungefähr mittelschwere Rampe, in jedem Fall einfacher als der weiter nördliche parallele Col de la Couillole. Ab Ilonse ist ein recht neuer Asphalt auf einer welligen Strecke mit ungleichmäßigen Steigungen zur Passhöhe gelegt.



Do 13.7. Col de la Sinne - Pierlas - dev. D428/D28 Gorges du Cians - Le Pont du Cians - Puget-Théniers - Gorges de la Roudoule - Villars la Croix - Col de St-Léger (1070 m) - St-Léger - D316 - dev. D316/D2202/Var - Pont de Gueydan - Pont de la Reine Jeanne - Annot - Le Fugeret
73 km | 1040 Hm | 6:01 h | 12,2 km/h

AE: Gîte St-Pierre: Miesmuscheln in Zweibelsud, Pommes, Profiterolles, RoséW, Cafe 20,50 €
Ü: C frei

Pierlas wird man lieben, wenn man sich hier in Verweilzeit fallen lässt – ein Kleinod von Adlernest. Zum Rest ist ja schon was gesagt worden und über die Felsenwelt der Cians-Schlucht muss ich mich auch nicht wiederholen – jubilierende Schwärmerei auch noch beim dritten Mal. Mit der Pierlas-Einmündung bleibt man allerdings unterhalb der Grenze zum roten Stein, steigen die Schluchtfelsen in hellem Fels ohne Eisenoxydeinschlüsse empor.



Es folgt nach einem kleinen Wiedersehen mit den mittelalterlichen Gassen von Puget-Théniers ein weiterer Nischenpass mit leicht ungewisser Durchfahrt. Tatsächlich ist die Straße über den Col de St-Léger nicht nur bis in das schon unter und hinter diesem liegende Dorf St-Léger (mit Bistro) asphaltiert, sondern noch weit darüber hinaus hinunter ins Tal der Var. Die Strecke ist in St-Léger nicht mehr ausgeschildert und wegen einer nicht ganz eindeutigen Verzweigung braucht es etwas Orientierungssinn, um den Weg zu finden, derweil nur schwer Bewohner dort zu befragen und aus den Häusern zu locken sind. Genau genommen hat die Geheimnistuerei seinen Grund, denn ein kleines Stück der Strecke ist nicht nur Piste, sondern von Erdrutsch oder Felssturz ziemlich bedroht. Diese Engstelle befindet sich aber bereits weit unten mit Blick auf den Var, der hier noch ein breites Flussbett hat, während nach Norden die Daluis-Schlucht wartet. Es sei geraten, die Strecke nicht zu fahren, wenn es schwierige Wetterlagen gibt – dann könnte die Engstelle mit schieferigem Geröll und einem Wasserfall unpassierbar sein (auch wegen Schlamm usw.) – für Autos allerdings weit eher als für Radler. Fährt man die Strecke umgekehrt, weiß man recht früh, ob die Stelle passierbar ist. Andererseits erscheint mir die Ost-West-Passage landschaftlich reizvoller, zieht sich nämlich im Osten eine eindrucksvolle Mondlandschaft aus Mergelhauben hinauf, die auch noch teils von der Cians-Schlucht geprägt ist (mehr aber schwarz und weiß als rot).



Fr 14.7. Le Fugeret - Col de la Colle St-Michel (1431 m) - Pont du Moulin - Beauvezer - Colmars - Allos - Parking du Laus (2110 m) ... Wanderung Lac d'Allos (2229 m) ... Parking du Laus - Allos - Colmars
74 km | 1775 Hm | 6:37 h | 11,1 km/h

AE: R La Table Ronde: Pastéte m. Nüssen/Génépy, Gnocchi m. Hähnchen/Pilzsauce u. Käse überbacken, Apfelkuchen, RoséW 27,10 €
Ü: C Les Pommiers 8 €

Der Col de la Colle St-Michel birgt seine größte Besonderheit unter dem Berg – den Tunnel des Pinienzuges zwischen Nizza und Digne-les-Bains. Erstaunlich eigentlich, dass hier mehr oder weniger nur ein exotisches Personenzüglein tuckert, böte doch diese Verbindung Potenzial für Warenverkehr zwischen der Nizza-Region und dem Durance-Tal. Radlerisch bleibt der Pass hinter dem Durchschnitt der Region zurück – sowohl in Schwierigkeit wie auch im Landschaftsbild. Eher mittelgebirgig durchpflügt er weite Wiesenberge, aufregender die leicht von Fels begleitete Abfahrt ins Verdon-Tal. Besonderheiten gibt es dennoch einige, so etwa gleich unten bei Annot mit einem markanten Felsen, das recht charmante Gassengeflecht von Annot oder die breite Hochebene auf der Passhöhe selbst, die reichlich Wandermöglichkeiten eröffnet. So sind zwar die Orte Fugeret und Méailles nicht gerade touristisch, der Rest des Berges nahezu menschenleer, aber auf der Passhöhe gibt es gleich mehrere Unterkünfte und einige Siedlungshäuser, darunter eine große Gîte, wo eine ganz Schülergruppe weilte.



Folgende, teils flach gehaltene, teils nur mäßig ansteigende Strecke am Verdon sollte ich gleich zweimal abradeln, da der Weg zum Lac d’Allos eine Stichtour markiert. Erwähnenswert hier ein kooperativer Verkauf regionaler Produkte in Beauvezer – Käse, Würste, Pasteten, Schinken, Honig, Marmeladen, Eingelegtes, Joghurts, aber auch lokales Handwerk wie Schmuck, Holzspielzeuge und mehr. In Colmars herrschte recht großer Trubel für einen solchen Alpenort: Handwerks- und/oder Flohmarkt, Jugendgruppen, Trampolins, Feuerwehrfest mit Open-Air-Disco (raubte mir den Schlaf) – und abends sollte es noch Feuerwerk geben, zum Nationalfeiertag, der nächsten Tage danach sogar ein Jazz Festival.

Hatte ich das Ziel des Abends erst anders gedacht, landete ich letztlich doch wieder in Colmars, auch auf mir schon bekannten Campingplatz. Der Platzwart meinte trotz großer Freiflächen, dass alles belegt sei, wies mir aber wohlwollend nach langer Suchrunde einen Platz zu – hätte ich selbst problemlos noch 20 meiner Zelte dort aufstellen können. Über „das Boot ist voll“ gibt es ja bekanntlich sehr gravierend verschiedene Ansichten, sogar auf einem unpolitischen Campingplatz in abgeschiedener Alpenregion. Kaum besser hatten sich die Restaurants des Ortes auf den vermehrten Ansturm eingestellt – einfache, eher minderwertige Festmenüs, zu wenig Personal. Mit Glück fand ich doch noch eine Lokalität hübsch in der historischen Ortsmitte gelegen, gegenüber dem offenbar auch veloaffinen Museum.



Die verschärfte Auffahrt zum Lac d’Allos beginnt wie der gleichnamige Pass beim Ort Allos – auch mittlerweile mit einer kindergerechten Freizeitanlage für Sommergäste aufgerüstet, – über einen Stich nach Osten. Heftige Steigungen unten wie oben und zwei Zwischenmulden addieren etliche und schwere Höhenmeter. Sicherlich die schwierigste Auffahrt der gesamten Tour, wenn man einmal den Schiebepass Mercière ausblendet. Die recht offene untere Hälfte mit ein paar Neusiedlungen erfüllt die landschaftlichen Erwartungen noch nicht so ganz. Dann taucht man in dunklen Nadelwald ein, wo sich an einem Parkplatz die Mautstelle befindet. Der Autofahrer kann sich hier entscheiden, das Auto abzustellen oder gegen Gebühr noch in den Nationalpark Mercantour einzufahren bis zum Parkplatz am Ende der Straße. Dort befindet sich eine Hütte mit Infos über den Park und gleichwohl ist auch dort für Radfahrer Schluss – der See darf nicht erradelt werden und es wäre auch für Reiserad nicht machbar.



Der Höhepunkt der Auffahrt verlegt sich auf den Schlussteil nach der Mautbarriere. Hier wird der Mischwald – meist Lärchen – von kaskadenreichen Bergbächen durchflossen, auf den halblichten Berghängen räkeln sich Moose, Gräser, Glockenblumen und Berglilien. Die Wanderer stöckeln nochmal auf einem anderen Weg entlang des großen Bergbachs (nicht der Verdon, welcher am Col d’Allos entspringt). Die Straße ist hier zwar recht gut asphaltiert, aber sehr schmal, steil und kurvenreich, auch nicht immer gut einsehbar, sodass die Abfahrt heikel und anspruchsvoll ist. Da ich am Abend runter bin, gab es allerdings kaum noch Gegenverkehr.

Dass es dennoch auffahrende Autos sogar noch gegen Abend gab, liegt an der Berghütte am Lac d’Allos. Sie wird nicht nur von Tageswandern angegangen, sondern auch gerne zum Übernachten genutzt. Die Berghütte verfügt neben dem Zentralbau mit Essstube und Terrasse auch noch über verstreut liegende weitere Schlafhütten. Zum Nationalfeiertag war hier alles so überlaufen, dass ich erst gar nicht mehr auf den Gedanken kam, die ins Auge gefasste Bergnacht anzustreben. Ohne Reservierung hätte ich wohl keinerlei Chance auf Essen und Schlafplatz erhalten. Die Schlepperei von Schlafsack & Co zu diesem Pilgerort der Bergromantik wäre mir auch zu mühsam gewesen. Das hindert aber nicht Familien mit Kinderwägen, See und Berghütte zur Abend- und Morgenröte zu erleben. Und tatsächlich liegt dann der See dort und schmeichelt aller Mühsal – ein Amphitheater ohne Worte, ohne Bühnenspiel, nur Kulisse mit Bühnenspiegel. Zu jeder Jahreszeit, zu jeder Stunde, in jedem Moment – eine Krönungsszene, ein Horizont schweigt, jeder Blick ein Bild – ein Bild, das bleibt. Das Bild gefeiert: In Colmars gabs dafür Feuerwerk. Tusch!



Sa 15.7. Colmars - Pont du Moulin - Thorame-Haute - Thorame-Basse - La Bâtie - dev. D2/D215 - Lambruisse - Col du Défend (1267 m) - Les Sauzerier-Hautes - La Basse-Palud - Moriez - Col des Robines (988 m) - St-André-les-Alpes - St-Julien-du-Verdon
78 km | 790 Hm | 5:32 h | 14,0 km/h

AE: H/R Le Pidanoux: Tomatensalat m. Ziegenkäse, Terrine m. Fleischvariationen, Kartoffeln, Schokokuchen m. Himbeersauce, RoséW, Cafe 33,60 €
Ü: C du Lac 12,20 €

Sprung tief hinunter den Verdon, quasi unmittelbar dorthin, wo ich Vortags vom Col de la Colle St-Michel herunterkam. Hier wendet man sich mit nur mäßigem Höhenzuwachs auf eine Hochebene, mit den Orten Thorame-Haute, Thorame-Basse und La Bâtie – entschleunigte Orte mit spärlichem Tourismus, aber eine Region, die auch für Nicht-Bergradler viele Möglichkeiten eröffnet. Auf zahme Weise fällt die Hochebene nach einem kleinen Anglersee ab und man kann hier von den gut 1100 m auf die knapp 900 m von St-André-les-Alpes entlang der Issole zum Castillon-Stausee der Verdon abgleiten, ohne die stärker befahrene Route entlang des Verdons in Anspruch zu nehmen. Es finden sich auch schöne Badestellen im flachen Kieswasser.



Die Tour über den Col du Défend bedeutet eine Westerweiterung der Tour zum Lac Castillon via Barrême, die nunmehr nochmal in den Géoparc Haute-Provence (vgl. PACA-4) eintaucht. Die Erdschichten staffeln sich wieder täfelchenartig über die Oberfläche der wie gekämmt wirkenden Hügel von Kalkmergel in Taubenblau bis Schwarz, sorgen für aparte Gesteinswelten und legen an verschiedenen Stellen Ammonitenabdrücke offen. Das weitgehend leichte Radfahrareal setzt sich auch über den Col des Robines fort, die Schienentrasse des Pinienzuges begleitet die Straße meistens unmittelbar. Mangels Bergüberhöhung hat man auch kaum einen Ausblick auf den Lac de Castillion von Norden her. Der See lockt einige Touristen an, die in und um St-André funktionale Infrastruktur finden.

Mit St-Julien-du-Verdon liegt eine kleine Perle halbinselartig über dem See, das geschlossene Ortspanorama muss man nach der Fjordkurve im Süden ins Auge fassen. Trotz gefülltem Campingplatz ist das örtliche touristische Angebot sehr dezent, zur Hauptferienzeit kann es mit Essensplätzen im offenbar einzigen Hotel/Restaurant eng werden. Immerhin bleibt somit auch diese Örtlichkeit trotz Nationalstraße eher ein stiller Platz, nach Süden dann nochmal verschwiegener der See. Mit dem Aufstieg zum Croix de la Mission am nächsten Tag überblickt man eindrucksvoll die verschiedenen Stauseen hier an dem oberen, nordöstlichen Zipfel des regionalen Verdon-Naturparks, der nahtlos zwischen Soleilhas und St-Auban in den regionalen Naturpark Préalpes d’Azur übergeht – genügend Stoff für ein neues Kapitel. (Die Bildergalerie hier schließt die entsprechenden Panoramabilder von den Stauseen beim Aufstieg am nächsten Morgen noch mit ein.)

Bildergalerie PACA-8 (155 Bilder):



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#1363387 - 19.11.18 20:05 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
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PACA-9 Parc Naturel Régional des Préalpes d’Azur

Am Croix de la Mission liegen unweit ein paar Ruinen, die in der Landschaft fast untergehen. Das Teleobjektiv offenbart aber eine ganz andere, geradezu exotische und bunte Welt oberhalb des gegenüberliegenden, westlichen Ufers des Castillon-Sees (Bild bereits in der Fotogalerie des vorherigen Kapitels). Seltsame Buddha-Statuen und indisch anmutende Heiligentempel sind in einem Park zusammengehalten – eine Fata Morgana? – Dunkel erinnerte ich mich, dass es hier irgendwo wie eine Kommune geben musste. Tatsächlich findet ich dazu in der Webrecherche die „Holy City of Mandarom Shambhasalem“ bei La Baume. Seine Heiligkeit Lord Hamsah Manarah hat hier einen Platz für eine universelle Religion geschaffen, benannt „Aumism“, nach dem Laut Om, Ohm, Aum, Amen, Amin – Urlaut der Anbetung in verschiedenen Religionen. Natürlich ist auch diese Fusion-Religion Toleranz, Liebe und Frieden verpflichtet – keine Neuheit in den Religionen – allein dass sie sich an ihre Prinzipien selten gehalten haben.

Und Aumism soll das Goldene Zeitalter in Zukunft bringen, einer besseren, vereinten Welt voller Empathie und Solidarität. Vom Tod eines einzelnen Lebens halten die Religionen ja wenig, deswegen haben sie zahlreiche Varianten des Ewigen Lebens ausformuliert. Nicht anders hier, ist auch Reinkarnation ein Teil dieser religiösen Lehre. Summiert man die Ansichten, scheint die buddhistische Lehre dem Fusionsgedanken am nächsten zu stehen, was wiederum die Heiligenskulpturen und Gebäude auf dem Gelände zu bestätigen scheinen. Glücklicherweise stand zwischen der Anlage (sie ist mit Führung zu bestimmten Zeiten zu besichtigen) und meinem Fotostandort ein ziemlich tiefer Graben aus Wasser und Fels, sodass der Funkenschlag religiöser Verblendung nicht überspringen konnte. – Was könnten Religionen bewirken, wenn sie ihre schöngeistigen Ideale leben und nicht nur zelebrieren würden!?



So 16.7. St-Julien-du-Verdon - dev. D955/D102 - Croix de la Mission (1149 m) - Demandolx - Col de St-Barnabé (1365 m) - St-Auban - Clue de St-Auban - Le Haut Chandelalar (1000 m)/Briançonnet
37 km | 745 Hm | 3:08 h | 11,8 km/h

AE: C/R Le Haut Chandelalar: Hähnchen, Pommes, Bier (im self service) 16 €
Ü: dito 24,50 €

Zum Leben des Ideals gehört ja irgendwie auch immer die Körperlichkeit, die die Gesellschaften gerne im Sinne ideologischer oder religiöser Menetekel beschränken und zügeln wollen. Insofern ist es schon fast wieder eine Religion, Nacktheit zu leben. Nunmehr steuerte ich den zweiten Rastort mit explizit nackter Lebensweise auf dieser Reise an, in entlegener Bergwelt bei Briançonnet. Wieder war bis zum Erreichen des Ortes der halbe Tag rum, also ein verlängerter Nachmittag in sonniger Höhe – warme Luft umstreichelt. Der Platz ist hier auf der Hochfläche deutlich ebener als der FKK-Camp am Lac d’Esparron, auch gibt es deutlich mehr Kiefernbestand für Schattenplätze. Der Nachteil indes ist das Fehlen eines natürlichen Gewässers, wenngleich der Estéron per Fußpfad erwandert werden kann.

Ein schöner Aspekt dieser Anlage ist das leitende Ehepaar, welches sich einer besseren Küche verschrieben hat und mit Eigenkreationen aufwartet. Leider war ich mal wieder am falschen Tag da, dem einzigen Wochentag, an dem das Restaurant geschlossen hält. Ersatzweiseweise gab es ein immerhin sehr saftig gehaltenes Brathähnchen zur Selbstabholung – Sitzgelegenheiten gibt es ausreichend weitere auf dem Gelände. Abendmahl mündete dann in politische Gespräche mit zwei Franzosen.



Bevor ich aber das Camp erreichte, lag noch Sehenswertes auf der Strecke. Mit der Hin- und Rückfahrtnach Briançonnet erlebte ich die sehr eng eingelassen Auban-Schlucht gleich zweimal. Sie wird mittlerweile reichlich für populäres Canyoning genutzt, die sich zwischen den Gumpen abseilen. Für den durchschnittlichen Betrachter ist der Flusslauf hier eher unerreichbar, muss man sich mit den pittoresken Blicken zufrieden geben. Da es oben um Heiligtümer ging: Auch hier liegt mitten in der engsten Schluchtpassage eine Madonnenkapelle in einer Felshöhle. Wahrscheinlich empfiehlt es sich, vor dem Canyoning beten zu gehen.

Nebst der Auban-Schlucht lohnt aber auch ein Gang durch das Adlernest St-Auban, wenngleich die Versorgungsstelle des Ortes unten an der Straße liegt. Die Straße über den Col de St-Barnabé steht mit einer fast ausgetrocknet wirkenden Hochebene schon in einem strengen Kontrast zum Blau der Verdon-Stauseen und seiner üppig bewaldeten Ufer. Auf der Ostseite mildert sich die Landschaft aber ab, öffnet zwischen kanalartig begleitenden Felshorizonten Wiesen mit Kornblumen, fällt durch den spröden Charme von Soleilhas und steigert sich dramaturgisch in Richtung St-Auban.

Mo 17.7. Le Haut Chandelalar (Briançonnet) - St-Auban - Col de Pinpinier (1130 m) - Le Mas - Clue d'Aiglun - Aiglun - Clue du Riolan (I) - dev. D10/D17 - Sigale - Clue du Riolan (II) - Le Moulin du Pali - St-Antonin - Baisse de Rourebel (1017 m) - Ascros - Col de Vé Gautier (1099 m) - Toudon - Col St-Michel (887 m) - Tourette-du-Château - Revest-les-Roches - Collet des Sausses (629 m) - via D27 - Col de Rostan (647 m) - Bonson - dev. D27/D17 - Gilette - Pont de la Cerise
101 km | 1435 Hm | 8:00 h | 12,7 km/h

AE: Proviant
Ü: C frei

Setzen wir die Reise von St-Auban nach Osten fort, kommt es zu einem Zwischenspiel aus Wäldern und Feldern ohne markante Felsen. Fahren in Richtung Col de Bleyne hin wieder noch ein paar Autos und Versorger, bleibt man nach dem Abzweig in Richtung Le Mas nahezu allein. Hier findet sich eine Ausschilderung der Radrouten Préalpes d’Azur, weiße Schilder auf weißem Grund, die ich in diesem Jahr häufiger auch in sehr alpinen Regionen vorgefunden habe. Es ist ein vermehrt radtouristischer Aspekt, der allerdings kaum alternative, neue Radwege erschließt, sondern lediglich bekannte Nebenstraßen etikettiert. Im System des engmaschigen und meist verkehrsarmen französischen Straßennetzes nicht unbedingt eine Notwendigkeit oder Sensation.



Die nun weitere Passage schleicht mal bedingt durch einen Kiefernwald, viel mehr aber windet sie sich geradezu dramatisch in und an Felswänden vorbei, überbrückt quer dazu gumpenreiche Schluchten wie Aiglun und Riolan, nur schwer oder gar nicht von der Straße zugänglich, und frisst sich durch engste Gassen von pittoresken Felsennestern wie Le Mas, Aiglun oder das hoch erhabene Sigalet. Dabei fällt man mal ab, steigt auf oder promeniert auf einer am Fels gelegten Höhenroute über dem Flusstal. In Sigalet hat man fast den Talboden des Estéron erreicht, muss dann aber für die alten Gemäuer des Ortes recht anstrengend nach oben.

Hier kehre ich dem Estéron vorübergehend den Rücken und steige in Wellen über ein Hochplateau zu einer ungewöhnlichen Höhenroute auf. Nach Rourebel rauf ist es zeitweilig noch ziemlich steil, doch ändert sich dann die Topografie recht deutlich. Während man nach Norden den Höhenzug nicht überschauen kann, blickt man nach Süden stetig in eine eher unzugängliche, bewaldete Talsohle. Die Straße aber verläuft am Bergrücken entlang nahezu flach oder leicht abfallend nach Revest-les-Roches. Danach fällt die Straße stärker ab, taucht in Wald ein und erreicht in Bonson, wie ein Terrassenbalkon oberhalb der unteren Var gelegen, den östlichsten Zipfel.



Schon glaubt man Gerüche von Nizza zu riechen und sind es nur noch zwei große Kehren bis auf Fast-Meereshöhe, bietet ein Abzweig die Umkehr nach Westen in Richtung Gilette, ein wie auf eine Scharte zum Schutz in das hinterliegende Estéron-Tal strategisch platzierter Terrassenort. Hier nährte zu dunkler Stunde bereits ein Volksauflauf meine Hoffnung auf eine noch geöffnete Essstube, was ich aber ernüchternd schnell vergessen durfte. Waren die Restaurants an der Strecke nun schon haufenweise geschlossen oder gar nicht vorhanden – immerhin ganz nahe der Nizza-Metropole und mit einigem Siedlungsvollk angehäuft – so war auch hier die letzte Hoffnung zerstoben. Der Menschenauflauf indes frönte dem Anblick der Feuer unten im Var-Tal, fast direkt in die Wohngebiete der Agglomeration Nizza ziehend. Das Schauspiel hatte indes einen unangenehmen Nebeneffekt, denn schon lange zuvor grub sich der Rauch tief in meine Nase ein.

Es war hier also kein Platz – topografisch auch nicht – ein Nachtlager aufzuschlagen. Ich fuhr nun noch eine Weile in die Dunkelheit bis zum Abzweig zur Pont de la Cerise, die einen verbotenen, aber doch gerne genutzten Badeplatz an der Estéron bereit halten sollte. Die von mir dort erwartete Zeltgelegenheit fand sich eigentlich nicht, obwohl ich schon aufopferungsvoll mich den Schotterweg heruntergequält hatte – am nächsten Tag aufwärts zurück nochmal strapaziöser. Obwohl früher auch Übergang für Autos, hat man die Strecke arg verfallen lassen, dass es auch einem Radler nicht möglich ist, dort zu fahren. Nun steht aushungert der Radteufel auf einer verwegenen Brücke in rauschender Dunkelheit – immerhin bestens abgeriegelt von den Rauchschwaden im Osten.



Di 18.7. Pont de la Cerise - Colle Belle (423 m) - Pierrefeu (Basse) - Roquestéron - Clue de la Bouisse - Conségudes - Ferres/Col de Ferres (596 m) - Bouyon - Coursegoules (1030 m) - Col de Vence (963 m) - Vence - Tourettes-s-Loup
76 km | 1180 Hm | 6:24 h | 11,9 km/h

AE: R Relais des Coches: Entenpastete m. Salat, Fleischspieß, Pommes, warmer Schokokuchen m. Vanillesauce, RW, Cafe 35,50 €
Ü: C frei

In Roquestéron machte ich bei Mittaghitze schlapp, hatte ich doch zu wenig geschlafen. Die Fortsetzung, quasi zur anderen Seite des Estéron, aber nach einem steileren Anstieg deutlich höher gelegen als die Gegenseite, ist nunmehr noch weniger befahren als zuvor. Erst im hübschen Bouyon wird die Einsamkeit etwas gebrochen, ist der Ort stärker schon an Nizza angebunden und sorgt ein Schwimmbad für ein wenig Jugendwind.

Kaum aber darf man hier von Verkehr reden – bleibt die Hochebene bei Coursegoules ein Geheimtipp für entschleunigte Touristen. Gar doch fand ich hier eine Radreisefamilie, die sich eine Gîte gegönnt haben. Sicher hätte ich auch an diesem Ort Genuss gefunden, doch sah ich die Chance noch, zumindest dem Etappenziel etwas näher zu kommen. Etwas zäh schleicht die Strecke zum Col de Vence, dann geht es rasant über abgebrannte Erde hinunter in das schon fast großstädtische Vence. Neben zahlreichen Villen zeichnet sich im Speckgürtel eine gehobene Infrastruktur ab wie etwa Kliniken. Der Ort, so ist klar, eignet sich für Nomadenübernachtung wenig und ich verlege die Besichtigung des Altstadtkerns auf den nächsten Tag.



In der urbanen Zone klebt Besiedlung an Besiedlung, doch sorgen Villengärten und die Hangtopografie dafür, dass die Häuser nicht aneinander kleben, sondern sogar noch feuchte Efeubiotope Urwaldatmophäre verströmen. Die Silhouette von Tourrettes-sur-Loup scheint verlockend – aber auch hier ist Platzmangel überall. Ein Camping liegt irgendwo ungünstig weitab unten im Tal. So gelange ich auch hier auf einen kaum weniger abenteuerlichen Übernachtungsplatz wie vortags. Trotzdem lohnte es, denn Tourrettes versprühte seinen mittelalterlichen Charme nochmal umso mehr, da der Ort an dem Abend ein Musikfestival in den Straßen zelebrierte. Die Winkel und Gassen sind voller liebvoller Details – ein Ort, fast wie eine geschlossene Burg zusammengebaut.

Mi 19.7. Tourettes-s-Loup - Pont-du-Loup - Le Lauron - La Colle-s-Loup - St-Paul-de-Vence - Vence - St-Jeanette
44 km | 405 Hm | 3:16 h | 13,1 km/h

AE: R Les Agapes (Vence): Avcado-Intro, Lachs m. Reisplätzchen, Schweinebraten m. div. Saucen, Kartoffeln, Crème Brulée m. Fruchtkompott, RW, Cafe 41,50 €
Ü: C frei

Tourettes ist bekannt für Violettes, die mit Zucker kristallisiert als blütenträumende Verführung Gaumenfreude bereiten. Das Ganze gibt es auch in der Rosenblattvariante. Besichtigen und probieren geht natürlich auch, die entsprechende Fabrikationsvilla öffnet aber erst spät am Morgen seine Tore. Man bekommt die Violettes natürlich auch in den Konfiserien und Patisserien des Ortes – und wenige Kilometer durch Efeu-umrankten Schattenwald entfernt in Le Bar-sur-Loup. Hier führte mich meine Geschmackserinnerung zurück. Die konservierten Fruchtaromen der Confiserie Florian erzeugten in meinem Gaumen bleibende Geschmacksexplosionen, als ich 2009 hier meinen ersten Besuch abstattete.



Da ich pünktlich zur Öffnung kam, konnte ich gut im Shop etwas probieren und zusammenkaufen (sündhaft teuer!) und anschließend noch die Führung der Manufaktur mitmachen. Die große Bedeutung erlangte die Firma durch die Konservierung von Früchten (kandierte Früchte, aber auch Marmeladen), bald aber auch bereichert durch Bonbons mit hochwertigen Fruchtaromen und edle Schokoladenprodukte. Ach ja: Wer kandierte Früchte verabscheut, hat hier noch nicht probiert. Die Kunst des konzentrierten Fruchtmarks ist mit herkömmlichen Glukosegesülz nicht zu vergleichen.

Mit den Geschmacksbomben in der Tasche lockte mich eine hübsche Badestelle an dem Loup, die allerdings als verbotener Platz getarnt ist. Die Fahrt entlang dem Loup ist eine durchgehend erfrischende und schattige Tour – zumindest soweit man ihm folgen kann. Mit La Colle-sur-Loup erreicht man ein nicht minder nettes Örtchen, dass seinen Charme ein wenig im Schatten der touristischen Hotspots St-Paul und Vence entfalten kann. Der zentrale Platz war bestuhlt und mit Bühne ausstaffiert, drumrum Bilder von Jazzmusikern. Ich konnte mit Philippe Villa kurz sprechen, der als Pianist beim Festival ebenso wie bei der Organisation mitwirkte.

Philippe Villa Trio „Extraits concert live – La Colle sur loup 2014“ (4:32 min.)



Das Jazzfestival in La Colle steht mit Musikacts eher aus der zweiten bis dritten Reihe deutlich im Schatten der Jazzfestivals in Nizza und Juan-les-Pins, quasi in Wurfweite. Sicher aber wäre man hier weit weg von dem Trubel an der Küste. Wie sich noch zeigen sollte, wäre es vielleicht die bessere Wahl gewesen in diesem Ort das Konzert mit einer unbekannten Gruppe zu hören (Roccassera Quartet) als ein kleineres Desaster später in Nizza zu erleben.

Gewiss war es für einen Halt in La Colle auch noch sehr früh. Und auch wenn ich in Kilometern gerechnet nicht mehr weit an dem Tage gekommen bin, fügten sich doch noch die Besichtigungen von zwei der bedeutendsten Kunststädte an, die sich hier am Berg hochziehen. Mit St-Paul-de-Vence hat man ein altstädtisches Gemäuer, dass mit den steilen Gassen schon für sich eine Exkursion wert ist. Doch noch mehr ist der Ort mit Shops und Galerien rund um Kunst so angehäuft, dass sich die größten Galerien der Welt dahinter verstecken können – zumindest in der Menge des Angebots. Und Frankreich wäre nicht Frankreich, wenn sich Kunst hier nur in retrospektiver Nostalgie selbstgefällig beehren würde. Nein, es sind eine Vielzahl, auch sehr überraschender moderner Kunstformen zu sehen – gewiss mit einem Auge auf dekorative und verkäufliche Werke gerichtet. Das ist aber keineswegs eine Abwertung, denn es ist eine der zentralen Aufgaben von Kunst, das Auge zu erheitern. Die Abwertung ist eher die Masse des Angebots, die die Eitelkeiten überbetonen – vielleicht weniger der Künstler selbst als der Kunstkäufer. Da vermutet man bei den Gästen von Shanghai bis L.A. schon mal seelenlose Kaufwut, um charakterlose Heime mit Schickeria-Kunst aufzufüllen.



Ein Rad hier steil rauf und durch dichtestes Gewühl zu schieben, darf man als Tortur bezeichnen. Ich kann aber auch nicht anraten, auf eine Besichtigung zu verzichten – es ist ein Füllhorn von Beobachtungsmomenten. Ein für mich kleines Kunstwerk bei kleinem Budget – dekoratives Grün versteht sich – fand ich auch noch, wenn aber fast schon am Ende des Rundgangs. Zwischenzeitlich wurde auch schon mal mein Fahrrad bewundert – vielleicht hielt man es auch für Kunst?



Fahrradkunst – die gab es mehrfach, als Aquarelldrucke in St-Paul, als leibhaftiges kurioses Tandem wenig weiter im schon am Vortag mal angefahrenen Vence. Vence ist weitläufiger, nur ein kleiner Teil schmaler Gassen zieht sich am Rande und der Überlauf von Menschen ist geringer als in St-Paul, wenngleich auch hier zahlreiche Ateliers locken. Am leicht überteuerten Restaurant zog internationales Volk vorbei bis hin zur Gruppe mit Kosakenfolklore, die mit Löffeln nicht Suppe essen, sondern Musik machen.

Meine aus dem Takt geratenen Etappen machten die Übernachtungen besonders im Hinterland Nizza ziemlich schwer, denn Campingplätze sind eher selten und die Besiedlung doch sehr dicht – wenn auch in abstandshaltenden Villen. Die Gelassenheit, auf der Höhenroute doch ein Plätzchen zu finden, war schon etwas verwegen, aber es sollte ja im Zweifel nach ein paar Kilometern einen Campingplatz geben. Da waren aber Mauern umzogen und als ein Auto einfuhr – ich dachte mal schlau mit rein, warfen mich dieselben wieder raus. Es seien die Betreiber des Campings nicht da. Frägt, sich welche Hoheit diese Autogäste hatten, die wohl dort irgendein Apartment gemietet hatten. Zwischen allen Villenzäunen fand ich doch noch ein verwaistes Grundstück zum Notcamping.

Am nächsten Morgen querte ich das Var-Tal, um auf der Gegenseite ins Pays des Paillons einzudringen bzw. aufzusteigen – das unmittelbare Hinterland von Nizza zwischen unterem Var und italienischer Grenze. Es wäre natürlich ebenso denkbar, dass ich in der Var-Mulde nach Süden nach Nizza abgebogen und dann ins Paillons gefahren wäre. Und tatsächlich tue ich jetzt so als wäre das der Fall gewesen, denn das nächste Kapitel beginnt mit der Einfahrt nach Nizza zehn Tage zuvor!

Bildergalerie PACA-9 (160 Bilder):



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Geändert von veloträumer (20.11.18 11:39)
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#1363390 - 19.11.18 20:38 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
max saikels
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In Antwort auf: veloträumer
Eine topografische Karte mit geografischen Namen und Orten, aber auch den Natur- und Nationalparks eingetragen findet sich z.B. hier. Leider fehlen dort die Einträge der noch jungen Parks Calanques und Préalpes d’Azur. Gröber strukturiert, dafür mit allen Naturparkeinheiten kann man sich das auf dieser Karte veranschaulichen. Wer sich grob übersichtlich an den Verwaltungseinheiten orientieren möchte, sollte noch einen Blick auf die Department-Karte werfen.

Kleine Fehlermeldung: der dritte Link ist falsch; ist derselbe wie der erste.
Grüße, Stephan
Touren 2023
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#1363399 - 19.11.18 20:53 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: max saikels]
veloträumer
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Okay, danke für den Hinweis. Welche Karte ich mal ausgewählt hatte, weiß ich nicht mehr, habe jetzt aber einen passablen Link eingestellt, der auch eine Reihe von Orten in den Departments darstellt.
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#1363440 - 20.11.18 07:55 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
Juergen
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Beiträge: 14.207
Was für eine Streckenführung....... teuflisch
So ohne die eigene Beschäftigung mit der Geographie wäre ich völlig überfordert. Doch Teil 8 und 9 lassen erahnen, was ich noch vor mir habe.

Danke zunächst und später etwas mehr zwinker
Jürgen
° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° °
Reisen +
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#1363487 - 20.11.18 11:37 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
Keine Ahnung
Moderator
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Beiträge: 12.863
Matthias, Dein toller Beitrag bringt mich schon wieder ins Schwanken. Eigentlich hatte ich mir überlegt, nächstes Jahr einmal Nordeuropa zu befahren, aber nun ...

Du solltest einmal anfragen, ob Du nicht Werbeprospekte für die von Dir bereisten Regionen verkaufen kannst - die wirklich schönen Bilder würden sich eignen, Touristen in großer Zahl anzulocken. zwinker

Ich freue mich auf die Fortsetzung! lach
Gruß, Arnulf

"Ein Leben ohne Radfahren ist möglich, aber sinnlos" (frei nach Loriot)
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Off-topic #1363492 - 20.11.18 11:55 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: Keine Ahnung]
veloträumer
Mitglied Übernachtungsnetzwerk
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Beiträge: 17.178
In Antwort auf: Keine Ahnung

Du solltest einmal anfragen, ob Du nicht Werbeprospekte für die von Dir bereisten Regionen verkaufen kannst - die wirklich schönen Bilder würden sich eignen, Touristen in großer Zahl anzulocken.

Wenn es ums Geld geht, werden die Menschen immer kleinlaut. Freie Fotografen gibt es wie Sand am mehr, meistens haben sie in den Regionen ihre "eigenen" Leute. Habe auch in Nizza mit einem Fotograf geredet, der ein Buch über oder um Nizza rum macht, dabei auch Fotos vom Jazzfestival einbauen wollte. Ich kenne es auch vom befreundeten Jazzfotografen aus Sachsen - tolle Bilder, vergrößert und Locations damit plakatiert für Veranstaltungen von gehobenem Rang - am Ende hat er sogar selber noch draufgezahlt. Glückliche Gesichter hin oder her. Zur Zeit bin ich für Jobangebote (bezahlt, nicht "ehrenamtlich") auch aus der Reisebranche empfänglich... zwinker

P.S.: Wir wollen doch nicht, dass es noch voller wird, sondern "Geheimplätze" bleiben...
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Matthias
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Geändert von veloträumer (20.11.18 11:59)
Änderungsgrund: P.S.
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#1363494 - 20.11.18 11:58 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: Juergen]
veloträumer
Mitglied Übernachtungsnetzwerk
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Beiträge: 17.178
In Antwort auf: Juergen
Was für eine Streckenführung....... teuflisch

Keine Ahnung sprach von "Gesamtkunstwerk". Da wollte ich auch GPSies eine künstlerische Note abgewinnen, mit Lineal kann ja jeder. grins
Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings!
Matthias
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Geändert von veloträumer (20.11.18 20:20)
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#1363513 - 20.11.18 12:45 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
Keine Ahnung
Moderator
abwesend abwesend
Beiträge: 12.863
Zumindest hast Du offensichtlich fast jeden Winkel (oder Schlucht) dort mitgenommen ... zwinker
Gruß, Arnulf

"Ein Leben ohne Radfahren ist möglich, aber sinnlos" (frei nach Loriot)
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#1363598 - 20.11.18 20:19 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
veloträumer
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Beiträge: 17.178
PACA-10 Pays des Paillons & Niçoise

Mo 10.7. St-Martin-Vésubie - Roquebillière-Vieux - Lantosque - Gorges de la Vésubie - Plan-du-Var - Les Moulins - Nice - St-André-la-Roche - Gorges de la Banquière - Tourrette-Levens - Col de Châteauneuf (628 m)
98 km | 740 Hm | 6:30 h | 15,4 km/h

AE: Bistro im self service (Tourrette-Levens): Pizza, Bier 12 €
Ü: C frei

Also Nizza – gegen Mittag. Mag die Promenade noch so schön für Radler hergerichtet sein, so ist die Einfahrt nach Nizza abseits der Meeresroute nicht vorgesehen. Der Radler, zur rechten Uferseite des Var übrigens mit Radweg bedacht (hatte ich nicht genutzt), sieht sich einem wilden Wechsel von Radwegsymbolen und Radverbotsschildern gegenüber, die einander widersprechen. Die offizielle Zentrumseinfahrt entpuppte sich dann noch als Baustellentorso, der das schwäbische Stuttgart trotz S21 wie eine schnuckelige Idylle erscheinen lässt. Weder die Hochzeit des Sommertourismus noch mehre Großveranstaltungen konnten offenbar die Stadträte von der Organisation größtmöglichen Chaos abhalten.

Alternativen zu fnac gibt es schon, die meisten der Spezialgeschäfte haben aber montags geschlossen. Besonderes Stirnrunzeln verursachte die Auskunft über einen geschlossenen Fotoladen, die mir benachbarte Ladenbesitzer gaben. Ich wollte wissen, ob Mittagspause oder ganz geschlossen montags oder überhaupt. Es gab als Auskunft alle drei Varianten! Tatsächlich hatte er nur verlängerte Mittagspause, ward aber nicht relevant für mich. Im fnac gab es sogar meine exakt gleiche Kamera – leider gibt es keine Garantiegleichheit zwischen Frankreich und Deutschland und Reparaturversuche scheiterten vor Ort ebenso wie ein letztlich identischer Software-Reset im Laden und in einem Callcenter, wo ich mit Olympus Hamburg telefonierte. Hätte ich in Summe viel Zeit sparen können, wenn ich meinem Gefühl gleich freien Lauf gelassen hätte – eine Ersatzkamera ohne Diskussionen zu kaufen. Nicht die Originalvariante (2000 €) wurde es, sondern „nur“ ein Altmodellvariante derselben Firma (600 €), wobei ich das Konvolut mit Objektiv nehmen musste – gab es doch keinen Rabatt ohne (Objektive hatte ich ja noch alle vier funktionsfähig in der Tasche).

Wäre ich meinem Instinkt gefolgt, hätte ich weniger als eine Stunde gebraucht. So aber wurde es Vorabend, ohne einen Euro einzusparen. Für eine kleine Mahlzeit bietet Nizza-Zentrum alles von Austern mit Champagner zum Gesehen-Werden bis zum Essen aus Aserbeidschan in dunklen Spelunken. Was es nicht gibt, sind einfache Bistros oder Cafés mit klassisch französischen Kleinigkeiten, wie man sie in Paris zu Hauf findet. Selbst klassische Eiscafés sind hier nicht hipp genug und müssen neumodischen Cocktailbars den Vortritt lassen.

Von einem Nachtlager hatte ich nunmehr keine Vorstellung, wo das sein könnte. Ich hoffte aber aus dem Speckgürtel zu gelangen. Das geht in Nizza zuweilen recht schnell, insbesondere auf eingeschlagener Route nach Tourette-Levens. Hat man die richtige Abzweigung nach St-André-de-la-Roche erwischt und die Autobahn unterfahren, dauert es nicht lange bis zur Gorges de la Banquière, die quasi das urbane Gewirr wie ein Fallbeil abschneidet und in erstaunliche Ruhe in Großstadtnähe reinführt. Da Tourette-Levens mit zwei Museen und Gasthof bereits weit vor dem Ort volltönende Plakatwerbung macht, malte ich mir einen schönen Abend in einem Bergort aus.



Da liegt in der Tat Tourette-Levens mit einladendem Burgberg vor dem Auge, hechelte ich hinauf und überblickte große Siedlungsgebiete weit hinüber zur anderen Talseite. Doch hier angekündigte Gasthöfe gab es nicht oder waren trostlos ohne nähere Hinweise geschlossen. Einzig verblieb ein gerade neu geöffneter Pizza-Abholservice – die Tische durfte man noch nicht benutzen. Der Betreiber wusste nicht einmal, in welcher Umgebung er arbeitet. Bis ich das erste Mäuerchen erreichte, auf dem sich die Pizza verspeisen ließ, war sie bereits erkaltet. Freiflächen sind hier trotz der ländlichen Ruhe rar – entweder zu steil oder wieder eine Villa. So kam ich zu nächtlicher Zeit noch bis auf die Passhöhe hinauf – eigentlich keine schlechte Wahl in dieser Region, die immer wieder zwischen Zersiedlung und einsamer Verlassenheit extrem hin- und herpendelt.

Di 11.7. Col de Châteauneuf - Contes - Bendejun - Coaraze - Col du Savel (972 m) - Col St-Roch (990 m) - Col de la Portè (1068 m) - Col de St-Arnoux (653 m) - Lantosque - Roquebillière
58 km | 1320 Hm | 5:53 h | 10,4 km/h

AE: RDV Vésubien: Salade Chèvre Chaud, Ente in Honigsauce, Gratin Dauphinois, Brioche m. Schoksauce & Vanilleeis, RW, Cafe 28,50 €
Ü: C Les Templiers 11,70 €

Die Folgen nicht organischer Besiedlung durch Berufspendler wirkt in viele dieser Dörfer hinein, so auch im nächsten Dorf Villevielle unterhalb der Passhöhe. Das kleine Lädele verweigerte geöffnete Ladentüren ebenso wie ein Bistro mit Café – trotz angeschriebener Offenzeiten. Abhilfe schuf erst das infrastrukturelle Zentrum Contes, in dem sich die Autos umliegender Dörfer zum Einkaufen sammeln. Es sei dazu erwähnt, dass man von Villeveille nach Contes in einem atemberaubenden Kurveneldorado heruntergleitet – eine Straßentypik, die im Paillons nicht gerade selten ist und daher immer reizvolle Touren eröffnet, auch wenn man Tagestouren von Nizza aus starten sollte.



So ist denn die fortgesetzte Route ins Vésubie-Tal ein kleiner Traum aus Kurven und Schluchtabschnitten, mit Coaraze als sehenswertes, steil über Treppen zu erschließendes Felsennest (Freirestaurant ganz oben) und Heimat eines okzitanischen Dichters und Sängers. Die Straße fällt auch mal zwischenzeitlich ab und ist daher steigungsschwankend, besonders im finalen Zug auf den Col du Savel auch mal recht steil. Jenseits vom Col de Porte darf man sich auf eine durchaus eindrucksvolle Nebenschlucht des Vésubie-Tals freuen, wobei die Straße lange weit oben verbleibt. Lantosque an der Vésubie ist wiederum lohnenswert durch die steilen Gassen zu bewandern, gleich unterhalb des Ortes gibt es auch einen Canyoning-Einstieg, der sich aber nur für Profi-Kletterer eignet.

Der Tag läuft hier noch aus in Richtung Roquebillière – Startort für die Seealpen-Fortsetzung nach dem außerplanmäßigen Nizza-Exkurs. Roquebillière wurde ja bereits mit Beginn Kapitel 8 besprochen, sodass hier jetzt wieder ein Zeitsprung stattfindet zum 20. Juli, als ich von St-Jeanette in das untere Var-Tal abgefahren bin (Ende PACA-9). Man denke sich nun vielleicht ein morgendliches Abgleiten durch die Vésubie-Schlucht ohne Bilder und erwarte den veloträumer wieder an der Brücke über den Var zwischen Carros le Neuf und La Manda bzw. etwas nördlicher in Les Moulins am Fuße des nächsten Aufstiegs.

Do 20.7. St-Jeanette - Col de Peyron (304 m) - Gattières - Carros le Neuf - Les Moulines - La Croix de Fer/Col de l'Olivier/Col de Galante (327 m) - St-Blaise - St-Antoine - Levens - Tourette-Levens - Col d'Aspremont/Col de la Prairie (530 m) - Aspremont - D14 - Falicon - Nice-Cimiez - Drap - La Pointe de Contes - Le Collet - Col de Pelletier (300 m) - Blausasc - Col de Nice (412 m) - L'Escarène - Gorges du Paillon - La Grave - Peille
92 km | 1665 Hm | 8:24 h | 10,9 km/h

AE: Pizza-R/Zelt-Imbiss (La Grave): Pizza Chicken, RW, Cafe 19 €
Ü: C frei

So sei es – das Frühstück bekam ich noch zur anderen Talseite in St-Jeanette –, dass der Weg sich gleich nach oben windet, eher mittlere Steigung. Gleich mehrere Optionen sind denkbar, je nachdem, welchen Bogen man fahren möchten zwischen Aspremont und Levens. An der Strecke, die sich im weiteren Verlauf auf und ab bewegt, in Nebentäler kurz hineinschaut, dann aber wieder in distanzierter Sicht zum Var-Tal verläuft, präsentieren sich Skulpturen einer Schäferin von Jean-Pierre Augier, der hier anbei in St-Blaise lebt. Es ist einer größeren Eintrübung aus Norden geschuldet, dass der Tag etwas an Glanz einbüßt, allerdings nur leichter Regen bis zur Küstenregion vordringt als ich von Aspremont nach Nizza abgleite. Erst gegen Abend stabilisiert sich wieder mildes Sonnenlicht.



Von Levens (ohne Ortsbesichtigung) gelange ich schnell zurück zum bereits aus den Vortagen bekannte Tourette-Levens, zur Tangente dort gleich wieder leicht hinauf nach Aspremont, daselbst auch Passhöhe. Hier treffe ich einen Radler, der sich im dortigen Hotel einquartiert hat, um Tagesrundkurse in der Nizzaregion zu absolvieren. Von Aspremont aus ergeben sich wiederum verschiedene Varianten des Nizza-Abstiegs, den man mit weiteren Querrouten hinausziehen kann. Durch die vielen Villengelände mit übermannshohen Schutzzäunen und Sicherheitsmauern hat man auf Nizza allerdings seltener Ausblick als es die Topografie hergeben würde. „Über den Dächern von Nizza“ ist also nicht nur ein Film von Alfred Hitchcock mit Grace Kelly und Cary Grant, sondern auch ein Wohlstandsprivileg von Villenbewohnern.

Ich streife Nizza nur am Rande beim Matisse-Museum, alles noch recht gut vom Stadttrubel abgeschirmt. An den verkehrsreichen Stadtrand stoße ich hier nur kurz, die Passage nach Norden bei der Autobahnbrücke kenne ich schon – nur diesmal schlage ich das breitere Tal ein in Richtung Col de Nice ein. Da es zwei parallele Straßen bis zum Abzweig in La Pointe de Contes gibt, fährt sich auch dieser Streckenteil erstaunlich idyllisch. Die folgende Route über den Col Pelletier ist nicht als Durchfahrt ausgeschrieben – Blausasc ist noch auf anderem Wege erreichbar. Diese folglich recht verschwiegene Strecke bricht sich Bahn durch Pinienwald mit angedeuteten offenen Erdschichtungen, die zwischen dem hellen Kieferngrün hervortreten – eine Art Bergsavanne. Den zweifellos lohnenswerten Umweg muss man sich aber mit einer heftigen Rampe erarbeiten. Kurz vor Blausasc gelangt man auf besser ausgebaute Straße mit Radweg (den man hier aber eigentlich nicht braucht) und passiert ein Boule-Zentrum, dass samt riesigem Zelt auch bei schlechtem Wetter Wettkämpfe mit der Nationalkugel der Franzosen erlaubt.



Blausasc ist dann ein Kleinod abseits der Transitachse über den Col de Nice, den Zusammenschluss mit der Passstraße erfolgt nur wenig unterhalb des Passes. Gleich zur anderen Seite öffnet sich schon der Blick auf L’Esacarène, dass wie auch Teile der folgenden Paillon-Schlucht durch gemauerte Eisenbahnbrücken der Pinienzug-Trasse geprägt ist. Die Paillon-Schlucht ist zwar nur eine kurze Passage bei leichtem Gefälle, beeindruckt aber mit imposantem nacktem Fels und einigen Gumpen im Flussbett.

Wähnt man sich ja eigentlich im Hinterland des metropolen Nizza und zeugen in La Grave eine große Abraumhalde mit Zementfabrik sowie eine recht umfängliche Besiedlung von Arbeitsplätzen ebenso wie von Pendlern, so setzt sich diese weiter oben bereits bemerkte Entkernung der Dörfer im Hinterland von Nizza auch hier fort. Nur wenige Dienstleister weisen bescheidene Öffnungszeiten aus, Gastronomie ist keine vorhanden (selbst in L’Escarène war das Angebot dürftig, aber vorhanden) und ersatzweise auch hier ein mobile Billiglösung: In einem Zelt werden mit angedocktem Imbisswagen laut Karte diverse Gerichte angeboten, Pizza zum Mitnehmen, aber auch zu Tisch. Letztlich ist das Angebot dann doch nur auf Pizza beschränkt – immerhin mit Sitzgelegenheit und einem Glas Wein. Auch hier fährt aber eher der moderne Stadtfranzose mit Auto vorbei und nimmt den Hefefladen im Karton mit nach Hause. Vorbei das Treffen der Dorfgemeinschaft in der gemeinsamen Lokalität, das Schwätzchen mit den anderen Bewohnern des Ortes bei Wein, Terrine und Entenbrust.

Das Schicksal zum Tage bei Tourette-Levens wiederholte sich hier auf eigenartige Weise noch weiter hin auch zur Nacht. Wieder konnte ich keinerlei Freifläche finden, in der nunmehr steilen Auffahrt nach Peille reihten sich in die Steillagen immer wieder Villengelände samt kläffenden Hundebestien ein – bis hinein in die Spitzkehrenausläufe. So trug es mich nicht ohne Schweiß im Mondlicht noch ganz nach oben nach Peille, wiederum ein Schwalbennest, trutzig in den Berg gebaut, mit dem stillen Charme nostalgischer Dorfidylle.



Fr 21.7. Peille - Col des Banquettes (741 m) - Col St-Sébastiene près Sainte-Agnès (605 m) - Ste-Agnès - Col de la Madone de Gorbio (927 m) - Col de St-Pancrace (711m) - Col de Guerre (555 m) - La Turbie - Col d'Eze (512 m) - Col des 4 Chemins (327 m) - Col de Villefranche (149 m) - Villefranche-s-Mer - Cap Nice - Nice
57 km | 800 Hm | 4:38 h | 12,2 km/h

AE: Casa Nizza: Muscheln in Weiweinsud, Kesselfleisch (Nizza-Spez.), Nudeln, Fleischfarce, eingelegtes Gemüse/Zweibeln/Pilze, Salat, Ananascarpaccio m. Ananassorbet, RoséW 34,50 €
Ü: Hostal Villa Saint Exupéry 32 oFr

Sa 22.7. Nice - Col des 4 Chemins (327 m) - La Trinité - Laghet - La Turbie - Cap d'Ail - Beaulieu-s-Mer - Col des 4 Chemins (327m) - Col de Villefranche (149 m) - Nice 20:05 || per Bahn || Paris-Austerlitz 7:38 h (So)
53 km | 940 Hm | 4:30 h | 11,7 km/h

AE: Woody’s Diner (Nice): Burger „Basque“, Pommes, Bier 22,10 €

Ganz davon fasziniert war der Chansonnier Leo Ferré, der sich häufig in dem Dorf aufhielt, ja ihm ein Lied-Hommage widmete: Peille (5:19 min.). Das Restaurant, in dem er gerne Gast war, verfügt allerdings auch nur über sehr ausgewählte Öffnungszeiten – keine Frage, dass die örtliche Bäckerei es nicht besser eingerichtet hat. Das ist nicht mal die Regel, sondern an bestimmten, nominell vermerkten Tage der Fall – ausgerechnet hatte ich mal wieder einen solchen Tag erwischt.

Pinienwald und immer wieder an Straße aufrückende Felsen begleiten den weiteren Weg mit zunächst ausgiebigen Panorama nach Norden. Bevor man das Wegekreuzplateau vom Col de la Banquette erreicht, durchfährt man noch einen kühlenden hellgrünen Laubwald. Hier nun weitet sich der Blick hin zum im Dunst liegende Meer, mehrere Schotterpisten zeigen Alternativen, sowohl von Peille, als auch nach Süden oder Südost in die Bucht von Menton, nach Norden darf man sogar noch ein Stück Asphalt in Anspruch nehmen, wenn man zum Col de Braus aufsteigen wollte (weiter Sospel/Col de Turini erreichbar). Die hier unmittelbar doch reizvollste Strecke ist die Straße nach Ste-Agnès, auf der sich aus der mediterranen Vegetation das Bild eines Dorfes wie ein Gemälde herausschält.



Ste-Agnès bezeichnet sich als das höchstes Küstendorf Europas, der historische Dorfkern liegt dabei etwa auf 800 m Höhe, wird aber nochmal von einem Burgberg überragt. Die offiziellen Gemeindegebiete reich von fast Meereshöhe bis auf über 1200 m. Die Burg deutet bereits die strategische Lage an, die dem Ort auch militärisch zugedacht wurde, noch in den 1930er Jahren wurde hier die südlichste Anlage der Maginotlinie mit Bunkern und unterirdischen Gängen eingerichtet. Heute zeigt sich der Ort in vollendeter Lieblichkeit und verlockt mit dem Prädikat schönster Dörfer Frankreichs als die Perle des Paillons-Landes. Der verwinkelte Gang durch die Treppengassen führt etwa zu Arpeca Spatium, ein Atelier von Frédéric Pélissier und Chrystine Cacciaguerra, die hier lichtdurchflutetes Kunsthandwerk von gefärbten Glas schaffen – vornehmlich als Lampen und Spiegel – von großem Wohnaccessoirs bis hin auch zu kleinen Schmuckkästchen oder auch Schmuck.

Von der gedimpten Lichtmalerie geht es alsbald weiter ins gleißende Sonnenlicht, gestreut vom Küstendunst, kraftvoll reflektiert von hellen Kalkfelsen, durch die man auch hindurchtaucht. Küstenwolken schaffen hier sogar ein eigenes Mikroklimat, unterbrechen für kurz den Sonnentag rundum, weil sie sich an den Graten des Bergmassivs verfangen. Zur Passhöhe findet sich mal wieder ein Devotional aus der Radsportszene. Der Col de la Madone diente Profis wie Tony Rominger und Lance Armstrong gerne als Trainingsareal – mehr noch galt der Pass als Gradmesser für seine Form, von ihm zu bestimmter Zeit gemessene Laktatwerte an diesem Berg sollen ihm hellseherische Fähigkeit ob seines Toursieges verliehen haben. Vielleicht war es aber auch nur die rechtzeitige Lieferung von der Hausapotheke, die er am Col de la Madone feierte?



Nochmal wendet sich Straße in den Talkessel von Peille, die Sicht weit hinunter bis zur Zementfabrik in der Talsohle. Weniger spektakulär der nun zweite Durchstoß zur Küstenseite. Weit oben ein gar größeres Häusermeer als unten an den Küstenstreifen, weil sich Monaco geschickt hinter dem Berg versteckt. Näher betrachtet überragt ein monumentales Bauwerk sogar die hiesige Kathedrale. Ist Rom nur 20 km von Nizza entfernt? – Ich lese nach, Kaiser Augustus ließ eine mächtige Siegessäule in La Turbie erreichten – als Zeichen des Sieges über die Alpenvölker. Na, wenn da Augustus nicht mal meine Sympathien eines Alpenradlers verspielt hat?

Ich darf hier vorwegnehmen, dass ich am morgigen letzten Tag La Turbie nochmal erreiche, einige Gassen erwandere in dem arg betriebigen Ort, wohl eine Art Balkon für die Monegassen, aber auch nahe der Transitachse gelegen, der Autobahn, die hier näher aus dem Hinterland ans Meer rückt. Die Küstenseite in Richtung Nizza verursacht leicht Verwirrung ob seiner Kleinteiligkeit, aber auch ob einiger namentlichen Überschneidungen. Die sog. Corniche gibt es hier nämlich gleich dreifach. Während die Basse Corniche zuunterst am Meer entlang führt, erhebt sich die Grande Corniche weit oben mit den besten Panoramablicken, diese auch durch La Turbie führt und der ich zunächst weiter in Richtung Nizza folge. Das Highlight dieser Strecke ist vielleicht der Blick auf den Felsenort Èze, der wiederum auf der zwischenliegende Moyenne Corniche thront. Letztere habe ich meist nur gekreuzt oder bin kleine Teile unmittelbar bei Nizza gefahren. So war ich auch nicht in Èze selbst. Zwar gibt es Verbindungstraßen zwischen den Corniches, aber auch nicht viele. Fährt man etwa von der Grande Corniche nach Èze runter, führt dort keine weitere Straße hinunter nach Èze-Bord-sur-Mer.



Es musste ja noch ein Meerbad sein, bevor ich mich auf das städtische Nizza einlassen wollte. Wegen der doch schlechten Zugangsmöglichkeiten etwa am Cap de Nice ließ mich mal ausnahmsweise an dem Massenstrand an der Promenade des Anglais nieder. Sogleich durfte ich mit meinem Weinkorkenzieher-Opinel ein paar Muslime beglücken, die sonst an ihren Wein nicht rangekommen wären – von dürfen war eh keine Rede.

Überraschend einfach fand ich Unterkunft gleich im ersten Hostel von dreien, die mir bei der Touristinfo in Fußweite zum Place Masséna angegeben wurde (die offizielle Jugendherberge wiederum liegt eher zentrumsfern am Berg der Corniche Moyenne). Das Ambiente der Herberge ist sehr angenehm und mit zahlreichen Kunstdrucken gestaltet, sogar noch etwas edler als die Herberge zu Anfang der Tour in Marseille. Nur ein paar Meter sind es zu Lokalitäten, wo ich noch vergnüglich Speisen genießen konnte, nachdem ich ebenfalls unproblematisch die Karte für das Konzert beim Jazzfestival Nizza erworben hatte.



Es waren nun nochmal nur ein paar Meter bis zum Eingangsareal zu den Bühnen an der Place Massèna, die mich ins Verderben ritten. Das Sicherheitspersonal verweigerte den Eintritt mit einer Kamera. Nach zähen Verhandlungen wollte ich schließlich die Kamera abgeben, nicht aber die Tasche mit den Objektiven, Geldbeutel, Windjacke etc. Bei der erneuten Diskussion mit einer Dame am Abgabetresen sprang der erste Kontrolleur erneut heran, bedeute mir mich rauszuschmeißen und riss die Tasche über den vom TIsch, sodass bei der Schleuderbewegung der Magnetverschluss aufriss und die Kamera zu Boden krachte. Das Display war komplett zersplittert und unbrauchbar. Kleine Schäden an der Sonnenblende (gerissen) und am Objektiv (kleine Delle) kamen hinzu. Zwar schien die Kamera weiterhin mit Sucher zu funktionieren, jedoch war ich mittlerweile mental so aufgewühlt, dass ich der Verzweiflung nahe war. Ein Unrechtsbewusstsein des Personals war nicht zu erkennen, im Gegenteil verhielt es sich weiter aggressiv, ich müsse die Sicherheitszone sofort verlassen. Das war jetzt die Entscheidung, ob überhaupt der Konzertbesuch noch Sinn machte. Da konnte ich aber das ohnehin nur halbe Konzert mit Herni Texier gar nicht richtig genießen, und selbst der inbrünstige Kamasi Washington vertrieb nur langsam meinen Groll. Übrigens: Hunderte von Handykameras klickten dann, drängten sich nah an die Bühne. Was nun macht den Unterschied?

Fotografierverbote hat man meistens den sog. Popacts zu verdanken, deren Managements über lizensierte Fotografierrechte für ihre Künstler verfügen. In den ärmeren Schichten der Jazzgemeinde sind die Künstler eher froh um jedes Bild, das von Ihnen geschossen wird und möglicherweise noch in einer Zeitschrift erscheint. Ein Akkreditierungsgesuch ist für mich aber aus mehreren Gründen nicht geeignet, u.a. steigen bei den Festivals da schnell die Erwartungen an Berichterstattung. Mit dem Eintritt hatte man automatisch Zutritt zu zwei Bühnen, wobei die eine poppiger bespielt wurde (u.a. Myles Sanko, Fatoumata Diawara/Lamomali). Die räumliche Trennung ist allerdings akustisch nicht ausreichend, überlagern sich gerne die lauten E-Bässe der Popbühne mit leisen Spielarten auf der Jazzbühne, die übrigens ein amphitheatrisches Rund bildet, was allerdings kein historisches Gestein ist.



Zum nächsten Morgen habe ich dann den Schaden bei der Polizei gemeldet, was über ein mehrsprachiges Alt-PC-Gerät anhand von unzureichend ausgedachten Fragen erfolgt. Letztlich scheitert eine richtige Anzeige an den unzureichenden Französischkenntnissen meinerseits bzw. den Fremdsprachenkenntnissen der Franzosen. Die Meldung ist dafür gedacht, dass die Hausratversicherung etc. zahlt, derer ich aber überhaupt keine abgeschlossen habe. Schuldige werden dabei nicht ermittelt. Letztlich darf ich den Schaden doch noch als geringfügig vermerken, fiel die Reparatur von Olympus günstiger aus als erwartet (ca. 100 €). Eher irritierend, dass sich meine Schubladen mit immer mehr Ersatzkameras füllen, was ja nicht diesem Vorfall zuzuschreiben war.

Natürlich ließ der Ärger nur langsam nach. Durch die morgendliche Verspätung wollte ich auch von ambitionierten Zielen absehen, den Tag nur noch mit kleiner Runde und Meerbad ausklingen lassen. Dazu nahm ich einen Bergübergang, der sich schon östlich des Observatoriums nach La Trinité ergibt. Dabei fällt man jenseits der städtischen Passhöhe durch idyllisches Naturgebüsch bei extrem steilen Gefälle hinab. Das kleine urbane Intermezzo in La Trinité weicht alsbald wieder einem ruhigen Talverlauf, der gegen Ende kräftiger ansteigt, um nach La Turbie zu gelangen.



Der Tag verströmte weniger Dunst, was die Panoramasichten auf das Meer noch eindrücklicher machten. Über die Serpentinentraße ist bald die Basse Corniche erreicht. Badegelegenheiten sind zuweilen etwas abgeschnitten durch die Bahnlinie, für die Geheimbuchten muss man etwas verwegene Zugänge suchen. Für ein krönendes Abschiedsessen erwies sich dann die Bahnhofsgegend als ungeeignet. Hier hat sich Globetrotterküche breit gemacht und was kann da auf den Tisch kommen? – Richtig: ein Hamburger! Mit Bier, versteht sich.

Das war Oktzitanien im mediterran-alpinen Südosten von Frankreich im Jahre 2017 – ein weiterer Mosaikstein in der okzitanischen Fortsetzungsgeschichte – meist ein Traum, nur selten ein Alptraum und in jedem Fall mehr als eine Reise wert, wenn es schon nicht das ganze Leben lang sein darf – Gott, wo hast du deine Menschen so willkürlich ausgesetzt ohne sie zu fragen?

Heimreise (nicht Teil des Berichts/der Statistik!):
So 23.7. Paris Gare d'Austerlitz - Paris Gare de l'Est 10:13 h || per Bahn || 13:12 h Strasbourg - Bischheim - Le Wantzenau - Drusenheim || Fähre || Greffern - Kriegersee - Rheinmünster-Söllingen - Rastatt 19:34 h || per Bahn || 20:58 h (+15) Stuttgart
68 km | 185 Hm | 3:39 h | 18,5 km/h

Bildergalerie PACA-10 (143 Bilder):




E N D E schmunzel
Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings!
Matthias
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#1363603 - 20.11.18 20:55 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
Keine Ahnung
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Nochmals: Toller Bericht! Ich werde später erneut etwas mehr Zeit investieren, um alles zusammenhängend zu lesen!

Danke! bravo
Gruß, Arnulf

"Ein Leben ohne Radfahren ist möglich, aber sinnlos" (frei nach Loriot)

Geändert von Keine Ahnung (20.11.18 20:55)
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#1363626 - 21.11.18 00:39 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
iassu
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Hallo Matthias,

du pflegst ja, mir eine opulente Bilderwelt zu bescheinigen, ich möchte nicht anstehen, dir meinerseits für deinen opulenten Bericht Anerkennung zu zollen! Respekt für die Reise und ihre Darstellung! bravo bravo

PS: wenn jeder von uns beiden topografisch kompromißbereit auf den anderen zugeht, könnten wir uns irgendwo im Mare mediterraneum treffen, vielleicht in Sichtweite von irgendeiner Insel, irgendwo im Großen Blau.... schmunzel
...in diesem Sinne. Andreas
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Off-topic #1363697 - 21.11.18 11:46 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: iassu]
veloträumer
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Als gieriger Erdkundebuchleser in der Schule hätte ich mir auch nicht träumem lassen, dass das Mittelmeer eine so große Pfütze ist, sind doch damals die Krieger mit Nussschalen so leicht hin- und hergeschippert - Griechen in Sizilien, Araber in Spanien - und die Alpen konnte man offenbar mühelos mit Elefanten überwinden. Mit der Erfindung des Rades wurde der Kosmos offenbar viel größer und schwieriger. An der Osterweiterung des Mittelmeeres hängen ja immer wieder meine Gedanken, zur Zeit kann ich aber keine echten Pläne schmieden.
Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings!
Matthias
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Geändert von veloträumer (21.11.18 11:46)
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#1364169 - 24.11.18 08:51 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: veloträumer]
natash
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Habe mich nun auch mal durchgewurschteld. Dank Dir für den launigen Bericht mit ein paar schönen Eindrücken.
Auf den Besuch von Nizza,das ist mir aber auf jeden Fall klar,kann jemand wie ich,die auf Städte und zersiedelte Gebiete generell nicht so viel Wert legt und im Urlaub auch kein Übermaß an Kultur benötigt,sehr gut verzichten.
Die Berge des Hinterlands erscheinem mir da ungleich reizvoller.


Gruß
Nat
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#1364456 - 26.11.18 14:06 Re: Alpes Occidentales „PACA“ [Re: natash]
veloträumer
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Ich würde jetzt das Szenario "Nizza" nicht überbewerten. Die erste Fahrt war eine Stresssituation und ungeplant, weil Abhilfe der defekten Kamera sonst kaum zu finden (so was hatte ich sogar schon vor Jahrzehnten mit einer kleinen Reparatur am Auto, gab da in Nizza eine Fiat-Werkstatt, die notwendig war). Die Festival-Situation war auch ein nicht übliches Pech. Insgesamt bin ich auf dieser Reise viermal reingefahren (zudem noch mehrfach auf anderen Reisen). Die Anfahrten aus Osten waren durchaus okay, etwas Verkehrstrubel in Villefranche. Fährt man über Cap Nice raus oder rein, ist es sehr gelassen. Die Promenade hat zwar viele Menschen, aber Radstreifen ist ja da, wenn auch nicht zum Rasen. Ein Problem entstand diesmal bei der dritten Einfahrt, als die Promenade teils komplett für einen Triathlon am nächsten Tag gesperrt wurde - sogar für Fußgänger. Da musste man entweder über den Sandstrand oder auf den Gehweg zur anderen Straßeseite hüpfen. Das ist allerdings auch nicht alltäglich. Die Einfahrt aus Westen ist nach Forumsbeiträgen an anderer Stelle auch problemlos - ich konnte aus verschiedenen Gründen diese Spur nicht finden bzw. nicht nutzen.

An Nizza kommt man evtl. aus verschiedenen Gründen nicht vorbei, denn es gibt da nicht nur Kunst sondern auch Infrastruktur: wichtiger Bahnhof, Flughafen (auch im Stadtareal im Gegensatz zu Marseille) oder auch Hafen (Fähren nach Korsika), in meinem Fall auch wichtige Geschäfte. Die Hostels in der Stadt sind eine Empfehlung auch im Vergleich zum stadtnächsten Camping im Var-Tal (dort laute Verkehrsachse) und einfach zu erreichen. Manche Routen in einsame Täler gehen nicht ohne den Stadtrand zu streifen. Vom Place Masséna bis zur ersten Schlucht sind es gerade mal 10 Kilometer. Zersiedelte Gebiete und Einsamkeit sind ziemlich krass nebeneinader - eine deutliche mehr nochmal gegenüber Rheinebene/Schwarzwald. Auch die Topografie ist extrem. Das Gemeindegebiet von Sainte-Agnès reicht von knappp 100 müM vom zersiedelten Küstenstreifen bei Menton bis zu über 1200 m rauf, das Bergdorf als solches auf ca. 800 m alles andere als zersiedelt (auch wennn mal Touristen vorbeischauen). Auch Nizza hat hoch aufragende Stadtgebiete wie das Observatorium usw. Der große Verkehr löst sich auch da erstaunlich schnell auf und fließt Richtung Autobahn oder vielleicht noch auf die Basse Corniche.

Mit Kunst hatte ich diesmal in Nizza wenig zu tun, habe es nicht mal zur Besichtigung der Altstadt geschafft, von Museen ganz zu schweigen. Die Kunsteindrücke im Bericht beziehen sich auf St-Paul, Vence und Tourrettes-sur-Loup bereits zur anderen Seite der Var und sind nur teils in zersiedelter Umgebung - alles alte Gemäuerflecken, die du vielleicht als Trubelorte bezeichnen würdest. Sie sind aber problemlos zu umschiffen - du musst nur auf den Verbindgungsstraßen bleiben, die belebten Altstadtkerne liegen ja bewusst abeseitig der Straße. In Vence mag es mehr Trubel und Verkehr geben als in Gernsbach oder Bad Herrenalb, aber zum Col de Vence hoch (gleich dahinter) "musst" du damit rechnen, dass es weniger Autos gibt als zur Teufelsmühle hoch.
Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings!
Matthias
Pedalgeist - Panorama für Radreisen, Landeskunde, Wegepoesie, offene Ohren & Begegnungen

Geändert von veloträumer (26.11.18 14:10)
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